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Die Klage des Gerechten
DER LETZTE DER GERECHTEN. Roman. Französischen von Mirjam Josephson.
DER LETZTE DER GERECHTEN. Roman. Französischen von Mirjam Josephson.
Die Legende der „Lamed Waw“: die Weltgeschichte beruht auf 36 Gerechten; von Gott auserwählt, wissen sie meistens nicht einmal, daß sie zu den Säulen der Erde gehören. Ihre Aufgabe ist furchtbar: „Sie sind das vervielfachte Herz der Welt, und alle unsere Schmerzen ergießen sich in sie wie in ein großes Gefäß“; „ein Gerechter errät alles Leid, das auf der Erde ist, er nimmt es in seitj Herz auf .. Aber was nützt es, zu erraten, wenn das nichts ändert?… Aber es ändert etwas für Gott“; „ein Gerechter, ein Untröstlicher, einer von denen, die Gott nicht einmal mit dem kleinen Finger zu trösten wagt…“ Diese Legende ist die Quintessenz der Auserwählung von Gott und Verfolgung durch die Menschen — Übereinsicht in das Schicksal der Juden. Ob die
In dem neuen Buch des Herold-Verlages Wien werden die Illusionen angesprochen, jene, denen ein laues Christentum den Magen verdorben hat, jene, die Gott nicht kennen. Für diese Menschen Gott suchen und finden zu helfen, ist die schwierige Aufgabe, die sich dieses kleine Buch stellt.
Legende wirklich gerechte einzelne meint, die zum stellvertretenden Leiden ausgesondert sind, oder ob sie das gesamte Volk darunter versteht, das für die ganze Menschheit schicksalhaft zu leiden hat, ist nicht zu entscheiden; das ist auch nicht zu wichtig, denn wichtig ist die eschatologische Kunde, die durch diese Legende in der Welt aufklingt: es gibt immer das Leiden auf dieser Erde und es sammelt sich immer bei den „Gerechten , die für alle anderen stehen, denen weniger abgefordert wird.
Der Roman des Franzosen Schwarz- Bart berichtet über den letzten der Gerechten aus der Familie der Levy. Seit der am 11. März 1185 in der englischen Stadt York grausam beendeten Judenverfolgung lebt in der Familie Levy die Tradition, daß immer einer aus der weitverzweigten Familie ein Gerechter sei, weil für Gott die Seelenqual des damaligen
Von Andrė Schwarz-Bart. Aus dem S.-Fischer-Verlag, Frankfurt 1960.
Rabbi Yom Tows unerträglich geworden sei, daß sie auf einem einzigen der Familie ruhen könnte. Der letzte dieser Gerechten aus Levy war Emi Levy, dessen Geschichte in Zemyock beginnt und in Auschwitz endet. Poesie, Humor, Bericht, ins einzelne gehende Erzählung sind in geradezu genialer Weise zu einem Ganzen zusammengetragen. Es ist nie Anklage, die erhoben wird, sondern Klage des Gerechten vor Gott, die aus allen Seiten dieses Buches erschütternd aufsingt. Etwas von der prophetischen, psalmensingenden Kraft des Judentums liegt in diesem Roman, Dieses Buch ist ein Trostbuch: es gibt noch Überzeugte und wenn es auch nur der Autor dieses Romans wäre, das genügte! —, daß das Leid einen göttlichen Sinn hat: „O ihr Gefährten unserer alten Verbannung, wie die Flüsse ins Meer, so ergießen sich alle unsere Tränen in Gottes Herz.“ Verfolgt in Polen, in Frankreich, in Deutschland, in Amerika — immer verfolgt und verstoßen aus politischen oder religiösen Gründen schreit dieses Volk ins unendliche Ende seiner jahrtausendelangen Sehnsucht: „O Herr, so sind wir vor Tausenden von Jahren ausgezogen. Wir sind durch trockene Wüsten gegangen und durch das von Blut Rote Meer, in einer Sintflut bitterer, salziger Tränen. Wir sind sehr alt. Wir gehen. Oh! wir würden gern endlich ankommen!“
Die Faszination eine; Legende, die grausame Wirklichkeit der zeitgenössischen Geschichte und die Kraft eines Dichters sind in diesem Werk zusammengekommen und haben — hoffentlich nicht nur den Prix Goncourt, sondern — unser Herz gewonnen.
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