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Die russischen Stürmer und Dränger

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Eine interessante Ausstellung in den Schauräumen der Oesterreichischen Staatsdruckerei-„Wiener Zeitung“ in Wien, Wollzeile, ist dem Thema „4 0 Jahre sowjetisch-e Filmkunst“ (mit einem Anhang „UdSSR im Bild“) gewidmet. Der Titel ist etwas willkürlich, indem er den Geburtstag des neuen Staates auch dem des Sowjetfilms gleichsetzt. Der russische Film an sich wäre heuer schon 50 .Jahre alt (1908: Romaschkows „Stenka Rasin“). Lenins berühmter Aufruf zum „Film als der wichtigsten aller Künste“ dagegen stammt erst aus dem Jahre 1919. Zwischen 1918 und 1924 überwiegen noch konservative Einflüsse, nur vereinzeltes Donnerrollen (Dsiga Wertows Kinoki-Gruppe und Kino-Prawda) kündigt die Revolution auch im Film an. Sie wäre mit 1924/25 zu datieren (Kuleschows „Mr. West“ und Eisensteins „Der Streik“) und gipfelt bekanntlich 1926—1929 in Eisensteins „Panzerkreuzer Potemkin“, „Zehn Tage“ und „Generallinie“ sowie Pudowkins „Mutter“, „Ende von Sankt Petersburg“ und „Sturm über Asien“.

Der Beitrag der Russen zur Entwicklung des Films ist bedeutend: er ist dem französischen und amerikanischen gleichzusetzen und übersteigt den Anteil der Skandinavier, Deutschen, Engländer und Italiener beträchtlich. Die Dynamik des Revolutionsstiles und des sozialistischen Realismus hat völlig neue Inhalte und Formen in den Film eingeführt. Von Wertows und Pudowkins selbständiger Fortführung des Grif-fithschen „Montagebegriffes“ zehren wir heute noch. Die negative Problematik des Sowjetfilms, die antiwestlichen und antireligiösen Züge, haben sich abgeschwächt.

Die Ausstellung selbst sieht im Sowjetfilm vier Epochen der Entwicklung: die Stummfilmära 1917 bis 1930, den Tonfilm 1931 bis 1940, den Krieg 1941 bis 1945 und den neuen Realismus 1946 bis 1957. Die Bilder und Photomontagen sind gut gewählt und instruktiv. Da und dort wünschte man sich etwas „Theorie“ eingestreut, die gerade im Sowjetfilm eine bedeutende Rolle spielt, so etwa die klugen und für die ganze Filmkunst richtunggebenden Hauptthesen Pudowkins aus dem (auch in deutscher Sprache vorliegenden) Buche „Manuskript und Regie“. Eine kostbare Bereicherung wären natürlich Vorführungen älterer Archivstreifen.

Gegenwart und Zukunft des russischen Films sind

für uns schwer überschaubar geworden. Es scheint aber (ein Vergleich der ausgestellten Bilder der ersten und letzten Epoche bestätigt die Vermutung), daß dem aggressiven Sturm und Drang sowie dem recht trockenen Sozialrealismus allmählich Formen eines verbindlicheren Sozialhumanismus folgen. Die gewaltigen Potenzen des Riesenreiches und seiner intuitiv-schöpferischen Menschen lassen jedenfalls noch gewichtige Beiträge für die Entwicklung des Films, besonders in der Richtung des echten und mit Spielfilmzügen vermischten Dokumentarfilms, erwarten.

Die Spielfilmwoche steht ganz unter dem Eindruck der gewaltigen Kazantzaki-Passion „D e r Mann, der sterben muß“, die wir schön mehrmals würdigen konnten.

Deutschland ist in der „I t a 1 i e n r e i s e — Liebe inbegriffen“ eine originelle Variante des heute so beliebten „Reiselustspiels“ gelungen; die Garnierung mit Bildern aus Venedig, Florenz, Neapel usw. ist appetitanregend, die Besetzung mit Cramer und Schroth, Hubschmied und Giller ideal. Weniger „zu Hause“ sind die Amerikaner in Süddeutschland und Salzburg („D er letzte Akkord“). Schwach sind diesmal die Franzosen: „Die Nacht bricht an“ (trotz Jean Gabin) und „Liebe, Frauen und Paris“. Lauten Krach macht die deutsche Groteske „W e n n die Bombe platzt“: aber es platzen zumeist nicht Lachbomben, sondern nur Knallfrösche.

Fi1mschau (Gutachten der Katholischen Filmkommission für Oesterreich), Nr. 3, vom 18. Jänner 1958- IV (Für Erwachsene): „Blut an meinen Händen“, „Gruß und Kuß vom Tegernsee“, „Der Mann, der sterben muß“, „Spionagenetz Hamburg“, „Wenn die Bombe platzt“ — IV a (Für Erwachsene mit Vorbehalt): „El Hakim“, „Frauenarzt Dr. Bertram“, „Liane, die weiße Sklavin“, „Liebe in der Stadt“, „Quantez, die tote Stadt“ — V (Abzuraten): „Die Pariserin“.

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