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Diskussion wie im Westen

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In Jugoslawien steht man erst am Anfang. Nun behandelt Tito die Intellektuellen zwar sehr geschickt, wird aber auf längere Sicht doch nicht vermeiden, daß die größere Freiheit des Westens, wo man eben seinen Paß stets in der Tasche trägt, ihre Faszination ausübt. Man kann sich mit fast allen jüngeren Autoren in Belgrad und Zagreb über die neuesten westlichen Bücher, über das geistige Leben von Paris, London, Wien, Westdeutschland unterhalten, es wird laufend „Die Zeit“, der „Merkur“, „Wort in der Zeit“ gelesen, und über den „Nou-veau Roman“, die „Beatniks“ und sämtliche Avantgardismen ist alles bekannt. Man kann sozusagen ein in Paris begonnenes, in Wien weitergeführtes Gespräch, ob über „hermetische Poesie“ oder die Eranos-Jahr-bücher, in Belgrad fortsetzen — im gleichen begrifflichen Vokabular, vor den gleichen Büchern in den Regalen an der Zimmerwand. Dies sind immerhin Zeichen einer vielversprechenden Entwicklung, die noch an Bedeutung gewinnt, da die dort lebenden Intellektuellen sich mit den sehr realen

Problemen des kommunistischen Staates auseinanderzusetzen haben.

Neue Namen

Außer den im Westen bereits bekannten Autoren Ivo Andric, Miroslav Krleza, Miodrag Bulatovic, Petar 5e-gedin nannte man mir in Belgrad noch Rade Konstantinovic, Namcilo Milankow, Jara Ribnikar und Beno Zupancic als Romanautoren der jüngeren Generation, Oskar Davico und Mihajlo Lahe als etwa fünfzigjährige Verfasser bedeutender Prosawerke. Als Lyriker werden Vasko Popa, Miodrag Pavlovic, Ivan Lalic an erster Stelle erwähnt, unter den Dramatikern Jovan Hristic, Sasa Petrovic und ebenfalls Miodrag Pavlovic; sie alle sind weniger als vierzig Jahre alt. In Zagreb führte man folgende Prosaautoren an: Ivica Ivanac, Slobodan Novak, Antun Soljan, Ivan Slamnig von der jüngeren Gener-ation, an Lyrikern älteren Jahrgangs Zlatko Gorjan, Gustav Krklec, unter den jüngeren Vesna Parun, Miliwo Slavicek, Irena Vrkljan. Zwei Dramatiker der mittleren und jüngeren Generation sollen ungemein begabt sein: Marijan Matko-vic und Vanca Kljakovic. Ich stellte die Frage, warum der Belgrader Meinung nach im Westen von diesen Autoren nichts übersetzt sei: „Ach, wissen Sie“, erhielt ich zur Antwort, „diese Angelegenheiten besorgt hier die Staatsagentur, und im Westen geht auch bereits alles über Agenturen. Sie können sich vorstellen, was dabei herauskommt.“ In der jugoslawischen Literatur gäbe es für uns wohl noch einiges zu entdecken.

Die Malerei und Plastik, von der ich eine reichhaltige Schau im Belgrader „Oktobarski Salon“ sehen konnte, steht der westlichen Avantgarde um nichts nach. Man findet Tachismus, Monochromie, natürlich Surrealismus, allerdings wenige Collagen. Der Erinnerung nach gab es kaum 20 Objekte von den 240, die man als halbwegs realistisch hätte bezeichnen können. Gerade die politisch durchorganisierte konkrete Situation führte die Künstler — im straflosen und ungefährlichen malerischen Bereich — zum Extrem. Und wer im Westen gegen abstrakte Kunst noch skeptisch sein mag: jenseits der Grenze der westlichen Welt atmet man auf. wenn man ihr begegnet. In dieser Ausstellung war freie Luft; hier hatte man experimentiert, und dies mit vertrauten Gedanken und einem unverbrauchten slawischen Farbensinn. Einige durchaus experimentelle Bilder waren prämiiert und von offiziellen Stellen angekauft. Unter den Künstlern, die mir besonders auffielen: Sinsina Vukovic, MiliS Stankovic, Vladimir Velickvic, Ljubo Popovic, Vera Bozickovic-Popovic. Ganz allgemein war die Qualität der Ausstellung mit westlichen guten Veranstaltungen ähnlicher Art ohne weiteres konkurrenzfähig.

Als ich den Salon verlassen wollte, strömte eben eine Schulklasse von elfjährigen Kindern herein; sie verstreuten sich im Raum, stellten sich vor die Bilder und Plastiken und zeichneten sie auf die weißen Seiten ihrer Hefte. Als ich nachsah, merkte ich, daß sie sich gerade die extremsten, die abstraktesten als Modelle gewählt hatten. Eine Lehrerin ging von einem zum anderen, verbesserte da und dort. Was wohl aus dieser Generation werden mag? Ob sie sich, deren Blick und Erleben sich an solchen Formen individueller Freiheit herausbildet, im realen Alltag politisch durchorganisieren läßt, wie die Partei es wünscht? Man darf es wohl bezweifeln.

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