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EIN BRIEF AUS BASEL

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Verehrter Herr . . . I

... Wir sprachen während meines letzten Besuches bei Ihnen von dem „zur Großstadt demolierten Wien”. Wir sprachen von der schlimmen Ohnmacht der Behörden, dem oft unverzeihlichen Frevel in der Behandlung des Städtebaues und der Landschaftsgestaltung zu begegnen. Die Wissenden, die Liebenden können sich in dieser volutaristischen oder utilitaristischen Welt nicht durchsetzen. Es fehlt nicht am Geld, sondern an der Lenkung des Geldstromes.

Als Boisseree nach Weimar reiste, um Goethe den Plan für den Ausbau des Kölner Domes zu unterbreiten, hat ihm der greise Dichter beim ersten Besuch nicht die Hand, sondern nur einen Finger hingehalten. Die ablehnende Geringschätzung, die Goethe damit zeigen wollte, hat Boisseree sehr wohl wahrgenommen, aber er ließ sich nicht entmutigen. Er trug seinen Plan, den fragmentarischen Dom fertig zu bauen, mit solcher Begeisterung vor, daß er den argwöhnischen Alten doch für seine Sache gewinnen konnte.

Aus Wien heimkehrend, erfüllt mich eine Sorge. Mit besonderer Freude habe ich die Karlskirche wieder gesehen, ist sie doch unter allen österreichischen Gotteshäusern sehr wahrscheinlich, wenn auch nicht das schönste, so doch das erstaunlichste Bauwerk. Zufälligerweise mußte ich in der Hoyosgasse einen Besuch machen und hatte nun die seltene Gelegenheit, den utachtvollen Bau und, seine:Ad.ntg£bjf’M£Jritten Stock auch von hinten zu betrachten

Wer vor die Karlskirche tritt,- empfindet es störend, daß’-auf der rechten Seite am Ende des 19. Jahrhunderts wenig schöne und außerdem zu hohe Bauten aufgeführt worden sind, so daß die Mächtigkeit der Kirche darunter leidet. Zum Glück stehen auf der linken Seite noch alte Häuser, die im Ausmaß ihrer Höhe genau richtig zu den Proportionen der gewaltigen Kirche gewählt sind. Ich habe mit Schrecken den schlechten Zustand dieser Anwesen wahrgenommen, in denen Franz Schubert und Moritz von Schwind gewohnt haben. Ich schreibe Ihnen, weil nichts mich so sehr in Wien bewegt und erregt hat wie der Gedanke, daß diese vortrefflichen Gebäude vielleicht der Spitzhacke weichen könnten. (Der Teil gegen die Hoyosgasse ist schon verschwunden.) Den noch stehenden Komplex zu retten, ihn zu erhalten, sollte eine der vornehmsten Aufgaben des wienerischen Denkmalschutzes sein.

Ich selbst komme aus einer Stadt, die mit ihren wertvollen Baudenkmälern aufs schmählichste umgegangen ist. Das Zentrum von Basel könnte durch einen Bombenangriff nicht gründlicher zerstört worden sein, als durch die Bodenspekulation. Wenn ich Fremde durch die Stadt führe, dann kommt mir der Verlust immer besonders deutlich zum Bewußtsein, und das Kopfschütteln der Freunde läßt das Verschwinden schöner Bauten schmerzlich mitempfinden.

Möglicherweise gehen die meisten Wiener achtlos an den gefährdeten Häusern vorüber. Sie sehen vor allem und in erster Linie die Fassade der Karlskirche und beschäftigen sich sehr wahrscheinlich mit den Reinigungsarbeiten, die, wie mir scheint, unnötigerweise, an dem dunklen Gebäude vorgenommen werden. Erst wenn einmal diese schlichten und schönen Häuser nicht mehr still und richtig an der Flanke der bewegten Front stehen, wird auch der naive Betrachter spüren, daß hier etwas Unwiederbringliches verloren gegangen ist.

Ich schreibe Ihnen, um zu erfahren, wie wir oder wo wir dieses „Memento” vor einem möglichst großen Publikum vortragen könnten. Man weiß, die ängstlichen Behörden lieben es nicht, wenn altertumsfreudige Menschen mit ihrem unzeitgemäßen Begehr angestürmt kommen und scheinbar Unmögliches verlangen. Aber wir wollen uns Boisseree als Beispiel nehmen und zudem nicht vergessen, daß im Wiederaufbau in Österreich und in Deutschland, in Italien und in Frankreich großartige Leistungen vollbracht worden sind, daß Denkmäler, die man 1945 für ewig verloren gehalten hat, schon nach zehn Jahren eine Auferstehung erlebt haben. Ich denke an den Stephans- dom, an Eure Oper, an die Residenz in München und vieles andere mehr. Wäre es nicht am schönsten, wenn diese alten Wohnhäuser auch heute wieder zu Wohnhäusern ausgebaut würden? Für viele Wiener müßte es ein Traum sein, dort eine Bleibe finden zu können. Aber weit über das Zweckmäßige hinaus würde die Erhaltung dieser schlichten ¡Häuser dem Manne eine Reverenz erweisen, der österreichische Architektur in einen europäischen Rang erhoben hat, Fischer von Erlach.

Wir haben die Tage in Wien ganz außerordentlich genossen. Mit zum Schönsten gehören die Stunden mit Ihnen, in denen wir von Mozart gesprochen haben.

Mit den besten Empfehlungen und mit einem schönen Gruß bin ich Ihr

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