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Ein Buch von Grete Wiesenthal

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Ein großer österreichischer Dichter hat sein Volk das der Geiger und Tänzer genannt. Eine, wenn nicht d i e Repräsentantin österreichischen, besonders Wiener Tanzes ist Grete Wiesenthal. Ihr war es gegeben, das Beschwingte im Wesen ihrer Heimat sichtbar zu machen, all da6, von dem Musiker in Tönen, Dichter in Versen, Maler in Farben geträumt haben, zu verkörpern. Was Grete Wiesenthal von der «eltsamen, an Widersprüchen wohl nicht armen, aber dann doch immer wieder gewinnenden Stadt an der Donau geschenkt bekommen hat, das dankt sie ihr nun auch in Worten: mit dem Roman einer Tänzerin „Iffi“. Um es vorwegzunehmen: der Name Iffi ist nicht gleichzusetzen mit dem der Autorin. Es ist keine „autobio-graphie romancee“ geworden, die Geschichte de« jungen, begabten Mädchens, das eine große Künstlerin wird, ist nicht die Hauptsache, wenn sie auch viel frauliche Einfühlung verrät. Der eigentliche Reiz dieser 450 Seiten liegt in etwas anderem: in der Schilderung eines Wien, das bereits jetzt in die Regionen einer verklärenden Erinnerung hinabzusinken beginnt. Da wird ein Wien bewahrt, dessen Menschen von Kunst begeistert waren, die das Leben zu nehmen und zu genießen wußten, ohne nur materielle Probleme zu kennen. Mit bemerkenswertem 6chriet6tellerischem Takt ist jedes Spiel mit mehr oder weniger verschlüsselten Figuren vermieden, das hindert aber nicht, daß sie doch Züge überzeugender Echtheit tragen. Uber die persönlichen Erlebnisse der Schreiberin erfährt man also ndcht6, um so mehr von ihrem künstlerischen Erleben; mitunter auch von ihren menschlichen Erfahrungen. Die haben manchen Niederschlag gefunden, besonders gern wird der aufmerksame Le6er interessante Aufschlüsse über Grete Wiesenthals künstlerisches Credo aufspüren und das allein wäre schon viel. Ein

Märchen von Wien also? Vielleicht. Aber ist nicht auch der Wiesenthalsche Walzer eine ins Märchen erhöhte Verwandlung des im Alltag getanzten? Und bleibt nicht auch er ein Sinnbild dieser Stadt? Guido Gay.vr

Orpheus. Der Dichter und die Toten. Selbstdeutung und Totenkurt bei Novalis, Hölderlin, Rilke. Von Walter Rehm. Schwann-Verlag, Düsseldorf. 704 Seiten.

Grundanliegen dieses Buches ist, eine Strukturform der neueren Dichtung isoliert zur Darstellung zu bringen: das Orphische. Rehms Buch wendet sich somit zunächst an die an geschichtlichen Strukturen interessierten Leser. Der methodische Ansatz, Dichtung in antiken Mytihologemen zu spiegeln und den Auf- und Durchbruch eines solchen Mythos in neueren Dichtern klar darzustellen, zeigt wieder seine ganz besondere Ergiebigkeit. Rehm stellt die Erscheinung des „Orphischen“ nicht der Breite (hier wären gewichtige Werke und Namen wie Wagners „Tristan“ oder Trakl zu nennen), sondern der Tiefe nach dar. Damit gewinnt der Leser eine gediegene und erschöpfende Auskunft über alle geistigen Dimensionen des Orphischen. Wir sind mit ihr in der Lage, den ganzen Komplex der aus der Beschwörung der Totenseelen und abgeschiedenen Heroen gespeisten Pathik von dem zentralen Begriff des „Sängers“, des Künstlers als Kitharöden, geistig durchzugMedern. Es muß betont werden: Orpheus ist ein Mythos der Ordnung, des als heilig erachteten Geistes. Orpheus ist der Zähmer der wilden Tiere durch die Macht des Gesanges. Damit ist Orpheus ke 1 n e Seelenmythe im Sinne von Klage« und kein Mythos des Chaos, des Triebes oder des Lebens. Erst weT den wichtigen Abschnitt „Messias der Natur“ verstanden hat und weiß, daß Orpheus der Erlöser der Natur ist, der wird imstande sein, den orphischen Dichter von zwei geistigen Fronten im 19. Jahrhundert deutlich abzuheben: von der homerischen Klassizität und vom radikalen Irrationalismus. Erst von dieser Warte aus können Novalis und Hölderlin verstanden werden, mag auch für Rilke das Orphische keinen erschöpfenden Symbol- und Erlebnisrahmen darstellen.

Ich halte die Kategorie der durch das Orpheus-Ideal verbundenen Dichters für einen hochbedeutsamen und außerordentlichen Gewinn für die neuere deutsche Literaturgeschichte, die es sich doch nicht immer wird leisten können, scheinbare Epocheneinheiten mit Stiletiketten wie Klassik, Romantik, Realismus usw. zu belegen und alle, die sich diesem Prokrustesbett nicht fügen, als „Einzelgänger“ zu isolieren. Rehm hat mit seinem fesselnden und tiefgreifsnden Werk der Literaturwissenschaft eine neue Strukturidee geschenkt. Der klare und sachliche Vortrag spricht eine voraussetzungslose und allen verständliche Sprache.

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