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Ein junger Österreicher

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Im Rahmen eines Festaktes im Schön-brunner Schloßtheater fand die erstmalige Verleihung der österreichischen Staatspreise für Theaterdirektoren statt. Der wohlbegründete Zweck dieser Stiftung ist die Förderung österreichischer Dramatiker: die Theaterdirektoren sollen ermutigt,,und angeeifert werden, nicht nur ausländische Autoren auf ihre Bühnen zu bringen. Ein ungemein lobenswertes Unternehmen, hoffen wir, daß ihm Erfolg beschieden ist, in der Spielplangestaltung dieses Jahres. — Den ersten Preis erhielt der Direktor der Grazer Kammerspiele für die Uraufführung der Komödie „Zeitgenossen“ des jungen hochbegabten Tirolers Raimund Berger. Die Aufführung in Wien durch da6 Grazer Ensemble bestätigt den guten Eindruck, den das Stück bei seiner Premiere machte. E6 i6t müßig, dem jungen Autor, der durch ein schweres Leiden seit vielen Jahren an sein Krankenlager gefesselt ist, dramaturgische Schwächen vorzurechnen. Die meisten bedeutenden und alle erfolgreichen Dramatiker haben ihre Kunst al6 Handwerk erlernt, im intimen täglichen Umgang mit der Bühne, ihren Chancen und Tücken. Fehlt es hier noch an diesem Handwerklichen, so fehlt nicht ein anderes, das vom ersten Moment an froh berührt und gefangennimmt: das Charakterliche. Berger weiß, was er will — und drückt sich vom ersten bi6 zum letzten Bild, von der größten bis zur kleinsten Figur 6ehr direkt au6. Es geht ihm, wie er selbst sagt, um ein Wort vom Mensch zum Menschen. Und er findet dieses Wort in dieser Komödie von der Torheit und Lüge „politischer“ Leidenschaften, von Wankelmut und Schwäche, von Täuschung und Enttäuschung kleiner Leute, die in den Strudel der „Ereignisse“ geraten. So manches, was wir alle erlebt haben in diesen letzten Jahren an Streberei, Konjunkturrittertum, Beutegier und Narrheit, wird durchsichtig im Spiel dieser französischen Kleinbürger von 1851, die es sich eben „richten“ wollen, nachdem ein neuer Mann, Louis Napoleon, zur Macht und sie mit oder gegen ihn zu Amt und Geld kommen wollen. Mitten in diesem kleinen Hexenkessel 6teht aufrecht, in wundersamer Humilität, ein „kleiner Mann“, ein Schneider, der zuletzt sogar noch in der „Welt“ recht behält, weil er tief innen recht steht, in der Mitte seines Charakters. — Berger trägt mit viel Liebenswürdigkeit und Humor seine Moral vor, das Publikum nimmt 6ie ihm nicht übel, weil es spürt, daß dieser Scherz gut, ernst, ehrlich gemeint ist. — Das Grazer Ensemble spielte natürlich, flüssig, leider manchmal zusehr in Kammertönen, so daß man 6ein Wort nicht im ganzen Hau6 immer und überall verstand.

Das Neue Theater in der Scala bringt in einer glänzend gespielten Aufführung ein Stück, das aus dem Repertoire einer Schulungsbühne für politische und militärische Bürgerkriegsrekruten zu stammen scheint. Todernst wie eine Moritat, eifern die Masken des Spieles „Titus Kondor und seine Brüder“ von August Jacobson wider einander. Leibliche Brüder 6ind . 6ie, dem Fleische nach, hier aber kämpfen sie al6 nachtschwarzer kapitalistischer Teufel und rotgoldene Proletengel den großen Endkampf um das Neue Reich Gottes auf Erden vor: im Streik einer estnischen Fabrik. Jedes Wort, jede Geste, jede Figur hat hier eine heilsgeschichtliche Bedeutung, ist genau vorgeschrieben in diesem Theater, das sich als schlichter Diener in einem Wettkampf um die

Formung eines neuen Menschen weiß. Welche Härte, welche Enge, welche Verwerfung jedweder natürlichen Menschlichkeit! Hier steigt der Kult eines düsteren Gottes herauf, der nur bedingungslose Hingabe oder Verdammung kennt. Alle Schrecken, die das späte Mittelalter in seiner Lebensangst ins Jenseits projizierte, werden hier auf Erden festgehalten und in beschwörender Drohung auf die Bühne gebannt.

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