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Ein Volk hungert nach Bchern

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„Erst leben, dann philosophieren“, sagt ein Satz der römischen Klassik. Ein japanischer Student erklärte mir aber: „Lesen ist wichtiger als Essen.“ Er hungerte, um für seine Bibliothek die neuesten Erscheinungen der Wissenschaft und Literatur gewinnen zu können.

Menschenschlangen vor den Kaufläden waren während des Krieges und nach Kriegsschluß in Japan ein alltägliches Bild. Ungewöhnlicher war es, sie regelmäßig auch vor Buchhandlungen zu sehen. Nicht nur Nahrung und Genußmittel, auch Bücher und Zeitschriften galten als Mangelware. Bei der starken Papierknappheit waren die kleinen Auflagen sehr oft rasch vergriffen.

Nach dem Kriege erlebte die Philosophie Nishidas, des gefeierten Gelehrten der Universität Kyoto, ihre Glanzperiode. Die Intelligenz Japans schien damals das Heil von ihm zu erwarten. Als damals ein neues Werk des Philosophen erschien, konnte man es erleben, daß sich begeisterte Nishida-Jünger bereits am Vorabend des Verkaufstages vor den Buchhandlungen einfanden und dort in Decken gehüllt die Nacht verbrachten, um in den Besitz eines kostbaren Exemplars zu gelangen.

Der ungeheure Lesehunger macht heute Japan zum Eldorado der Buchhändler. In kunterbuntem Angebot werfen die Verlage Bücher und Zeitschriften in großen Mengen auf den Markt. Es gibt zahllose Buchläden in allen Städten Japans. Wer unachtsam seines Weges geht, stößt buchstäblich auf die Ladentische, die weit über den Bürgersteig hinausgerückt werden. Bleibt man nur stehen, so ist man sozusagen schon im Laden, da die Frontseite fast immer offen ist und nur bei schlechtem Wetter Glastüren eingesetzt werden. Die Auslagen sind vollgepackt mit Zeitschriften aller Art, die mit vielfarbigen und pikanten Titelbildern die Vorübergehenden anlocken.

Es ist selbstverständlich, daß die Gefahren des Zustandes groß sind. Wenn den Mann aus dem Volk niemand berät, greift der Lesebegierige nach jedem Buch, das ihm eine Propaganda gerade anpreist. Vielen vergiftet die schrankenlose Lesegier Herz und Seele. Die Gefahr ist um so größer, als Zeitschriften und Bücher aller Richtungen in wahllosem Durcheinander auf dem Lesemarkt erscheinen, und die Buchhandlungen programmlos alles zum Verkauf anbieten, was ihnen Gewinn bringen kann. Mit derselben lächelnden Miene reicht dem Kunden der Buchhändler die Hl. Schrift wie die Werke Spinozas. Auf dem gleichen Bücherbrett stehen die „Nachfolge Christi“, wie ein Roman von Balzac, die „Bekenntnisse“ des hl. Augustinus und die Schriften französischer Aufklärer. Man ist erfreut, an den Bücherständen Uebersetzungen des „Lebens Jesu“ von Mauriac und Papini zu sehen, muß aber sofort daneben Renan und Strauß in viel zahlreicheren Exemplaren. entdecken. Oft kommt es vor, daß ein Ungetaufter ein „Leben Jesu“ in bester Absicht kauft und dabei nichtsahnend, irregeführt durch den Titel, nach Renan gegriffen hat. — Den meisten Absatz finden Romane. Japan rühmt sich zahlreicher Romanschriftsteller, die einen Namen haben, doch der sittliche Tiefstand vieler ihrer literarischen Erzeugnisse wird in letzter Zeit auch von ernsten Japanern bedauert.

Es fehlt dem japanischen Buch nicht an anziehender Ausstattung und fesselnder Reichhaltigkeit, wohl aber sehr in der Behandlung weltanschaulicher Probleme, an Tiefe und Klarheit. Da ist eine Abhandlung über Menschenwürde. Es wird nichts bewiesen, sondern nur behauptet und gefordert. Ueber die Begründung der Menschenwürde kein Wort. Der Verfasser fordert lediglich, es sei zu achten, daß des Menschen Recht geschützt, dem Menschen mit Güte und Hochachtung begegnet werde. Ueber das Warum, mit dem die Forderungen stehen und fallen, schweigt der Autor. Hier liegt die Chance des katholischen Buches, seine Anziehungskraft für suchende Menschen. Denn der Lesehunger vor allem der japanischen Jugend ist vielfach wirklicher Hunger nach Wahrheit, Gewißheit und Führung. Jedes gute Buch ist Rufer und Wegbereiter zugleich. Als wirksamer Bundesgenosse des Missionärs dringt es still in die Stellungen des Heidentums ein, in diesem Japan, das nicht selten dem Evangelium Christi wie eine unbezwingbare Bergfeste zu trotzen scheint. Heute gehört eine reichhaltige Bibliothek, die versorgt ist mit den Neuerscheinungen, für jede Missionsstation in Japan zu deren fast unerläßlichem Waffenarsenal des Geistes.

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