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Erlösung in einer Gesellschaft ohne Religion

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Ein Mann, starr auf seinen Weg fixiert, fällt in einen Traum: Konfrontiert mit allerlei Unvorhergesehenem hält er dennoch sei -nen Kurs. Und der unvermeidliche Absturz am Ende - ist sein Erwachen. Er ist aufgerüttelt, geheilt, hat an Menschlichkeit gewonnen. Die Idee ist uralt und seit jeher faszinierend. Calderon, Grillparzer, Dostojewski haben sie literarisch entfaltet. In der Filmversion von Charles Dickens' „Christmas Carol" hat sie vielleicht die größte Breitenwirkung erlangt. Auch wenn die Geschichte vieltau-sendmal verheizt und verkitscht ist: Kann ihre Idee uns noch erreichen?

Wer träumt heute noch? Und gibt es noch große Träume, stark genug, ein Leben zu verändern? Träume sind heute wie das Leben: ein Strobosko-plicht unvermittelter Lichtblitze, die so schnell vergessen wie registriert werden, wenn sie überhaupt noch die Schwelle des Bewußtseins durchbrechen. Das Zusammen weben zu großen Träumen besorgt eine gut funktionierende Industrie: Traumfabriken von Hollywood bis Disneyland, von Nintendo bis Club Mediter-ranee. Lassen sich in solchem Umfeld Calderons „Das Leben ein Traum", Grillparzers „Traum ein Leben", Dostojewskis „Traum eines lächerlichen Menschen" oder eben Dickens' Be-' kehrung des geizigen Mr. Scrooge überhaupt noch erzählen?

Das Experiment wurde durchgeführt. Seit einigen Wochen läuft in den Kinos „The Game": Einem Multimillionär (Niklas van Orten, überzeugend gespielt von Michael Douglas) schenkt sein Bruder zum Geburtstag einen rätselhaften Gutschein. Eine unbekannte Firma namens CBS - Consumer Becreation Services - bietet damit ein Spiel an, das Abwechslung in das Leben ihrer Kunden bringen soll. Nach einigem Zögern gibt der gelangweilte van Orten die geforderte Blanko-Unterschrift als Zustimmung zu einem Spiel, von dem er so gut wie nichts weiß. Was dann folgt, ist eine Kette zunehmend irritierender Störungen seines Lebens, die ihn zuletzt bis in den Selbstmord treibt. Doch sein Todessturz wird von den umsichtigen CBS-Technikern durch einen riesigen Airbag aufgefangen. Was auf(er)steht, ist ein zu neuer Ibens-freude und Humanität gewandelter Niklas van Orten.

Der Film kann als Aktualisierung der Idee vom „Traum - ein Leben" verstanden werden. An die Stelle des Traums tritt dabei das Spiel, das zum Alptraum wird. CBS wird zum mehrdeutigen Gleichnis: Als undurchschaubare Organisation, die alle Schicksalsfäden bis ins letzte Detail souverän manipuliert wie in Orwells „1984"; oder als Geheiminstitution zur moralischen Verbesserung von Menschen, mit derselben Ambivalenz, wie sie Goethe im „Wilhelm Meister" am Beispiel der Freimaurerei ironisiert; oder als logisch nächster Schritt einer Freizeitindustrie, welche die Grundbedürfnisse von Erholung, Unterhaltung, Thrill und Sinnfin-dung in innovativen Kombinationsangeboten arrangiert. „Es ist wie Urlaub, nur mit dem Unterschied, daß Sie nicht hinfahren müssen, sondern daß er zu ihnen kommt, mitten in den Alltag", erklärt der CRS-Manager Feingold dem skeptischen Niklas van Orten. CBS hat alles im Griff. Selbst der mögliche Mißerfolg, das Umkippen des Spiels in eine nicht mehr steuerbare chaotische Wirklichkeit wird als feil des Spiels eingeplant. Die extreme quantitative Steigerung von Technik, Mittelaufwand, aber auch Kreativität der Spielleiter vermittelt die Illusion einer göttlichen Vorsehung.

Daß das nicht überzeugen kann, ist eine der unvermeidlichen Schwächen des Films. Es ist einfach unmöglich, in einem radikal säkularisierten Umfeld religiöse Ideen überzeugend zu codieren. Und auf einer seiner vielen Bedeutungsebenen versucht der Film genau das: Im Club will Niklas van Orten Informationen über die rätselhafte Firma einholen. Und die Antwort des Befragten (natürlich eines eingeschleusten CBS-Agenten) lautet kryptisch: „Ich ging hin, wusch mich, und konnte wieder sehen" (Joh 9,11). Dieser Erlösungsanspruch wird von CBS durch ein Arrangement von Ereignissen eingelöst, das nur den Vergleich mit dem Spiel göttlicher Vorsehung zuläßt.

Bereits der Einstieg ist religiös kon-notiert: durch die Unterschrift unter den CBS-Vertrag, mit Blut, wie Mr. Feingold vom Unterschreibenden scherzend verlangt. Ein Gleichnis für einen Pakt mit dem Teufel? Offenbar nicht, denn CBS entpuppt sich ja letztendlich als „gute Macht", die den verpanzerten Niklas zu einem humanen Menschen erlöst. Nein, die Unterschrift variiert eher den Akt religiöser Lebenshingabe: „Ich gebe mich ganz in deine Hände, mache mit mir was du willst." Was Gläubige damit bewußt auf sich nehmen, das löst van Orten allerdings ahnungslos aus.

Biskant ist das Spiel allemal: Wer alles aufs Spiel setzt, dem können bereits beiläufige Zeichen hochbedeutend werden, um ihn zuletzt aus den gewohnten Bahnen des Lebens hinauszukatapultieren. Hier van Ortens beinahe-ausbrechende Paranoia, dort die Gefahr des religiösen Wahns, der in allem Gottes Vorsehung zu entziffern meint. Und doch ist das Spiel reizvoll und der Einsatz vielleicht sogar lohnend, zumindest für Menschen, denen ihr abgesichertes Leben zu einem langweiligen System der Konventionen versteinert ist, und die dabei „auf dem besten Weg sind, ein großes Arschloch zu werden", wie Conrad van Orten seinem Bruder zu verstehen gibt. Die Sehnsucht nach Abwechslung, Herausforderung und Aufbruch wurde früher auch religiös beantwortet.

„Was schenke ich einem Menschen, der schon alles hat?" Diese weihnachtliche Frage stellte sich Niklas van Ortens Bruder. Mit CBS fand er die Antwort: die Möglichkeit, ein neuer, besserer Mensch zu werden. Und auch diese Antwort ist weihnachtlich: Weihnachten ist das Fest der Menschwerdung, der Mensch-lichwerdung; der Menschwerdung Gottes in der Seele, wie der Mystiker Jakob Tauler sagte. Erst dieses ahnende Streben macht die Geschichte von Dickens zum „Christmas Carol" und „The Game" zum Weihnachtsspiel, wenn auch der seltsamen Art. Denn daß besagtes Ziel kommerziell nicht zu erreichen ist, auch nicht durch die perfektesten „Consumer Becreation Services", darin hat die Geschichte ihren Haken.

Der Autor ist

Assistent am Institut für üogmatik und Ökumenische Theologie der Universität Innsbruck

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