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ES IRRT DER MENSCH ...

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Festgelegte Begegnungen der Presse irniit Filmdarstellern haben ihre Geschichte. Die Pressechefs der Verleihfirmen zittern davor, denn sie wissen niemals, ob und wieweit auch eine bestens vorbereitete Veranstaltung gelingt. Dahinter steht die Frage auf, was denn eigentlich der Künstler vor solchem Forum au sagen hat, noch schärfer: ob er der beste Beurteiler seines eigenen Werkes ist oder nicht gerade hierin der Bef angernste ist.

Als Emil Jannings noch labte, schickte es sich einmal, daß er im Wiener Deutschen Volkstheater auftrat und sein jüngster Film „Stürme der Leidenschaft“ gleichzeitig im Wiener Kinoprogramm anlief — Grund genug, dem großen Künstler die Presse dressiert vorauiführen. Nun hatte der inzwischen verstorbene Pressechef der damals sehr geachteten Tobis-Sascha-Film den originellen Einfall, eine ganze Woche lang je einen bevorzugten“ Filmjcwirnialisten (unter denen sich auch der Verfasser befand) täglich ins Hotel Imperial in Wien zum Frühstück und au zwanglosem Geplauder mit Emil Jannings einzuladen. Wie der Pressechef das bei dem etwas .heiklen“ und der Presse im ganzen nicht sehr holden Jannings erreicht hat, ist heute noch jedem Fachkundigen ein Rätsel.

Kurz und gut: Eines Morgens saß ich Emil Jannings im Imperial gegenüber. Er war sehr aufgeräumt, in Wort und Geste immer etwas Schauspieler (sein Frühstück schien eher eine atitbuallle Zeremonie), und plauderte unaufgefordert über den talentierten Regisseur Sioclmak, über die Zukunft des Farbfilms, au dem Jannings überraschenderweise positiv Stellung nahm, und ähnliche Dinge. Ich weiß nicht mehr, wie plötzlich meine nicht eben geistvolle Frage aufflatterte, welchen Film seiner Laufbahn Jannings selbst für den bedeutendsten halte. Die Antwort des Künstlers kam wie aus der Pistole geschossen und war besitünzeod: „Die Abenteuer des Königs Pausole“ (übrigens ein ausnehmend schwaches und stilloses Lustspiel). Und diese Antwort zu einer Zeit, da Jannings schon drei Stufen von Wellterfolgen durchlaufen hatte: die deutsche Stummfilmepoche, das amerikanische Zwischenspiel mit „Der Patriot“, „Der letzte Befehl“ und „Der Weg allen Fleisches“ — und (last not least) den stürmischen deutschen Tonfllmauftakt „Der blaue Engel'“ mit der vordem unbekannten preußischen Offiaierstochter Marlene Dietrich.

Frage: Sind Künstler, auch große, kritische Künstler, wirklich die verläßlichsten Beurteiler ihres eigenen Wertoes?

Das heute nicht mehr existierende Rxitenturmkiino am Fleischanarkt in Wien hatte einmal — so erzählte mir sein Geschäftsführer — einen englischen Großfilm in deutscher Sprachfassung anlaufen lassen, von dem er sich einiges versprach. Aber die Launen des Kinogeschäftes sind diabolisch. Der Film „ging“ nicht, auch die Pressetorilik war flau. Er zog am Freitag in alle Vorstellungen ein paar hundert Zuschauer hinein, zum Wochenende etwas mehr, daran alber ging es rapid bergab. Der Kinobesitzer war verzweifelt, desgleichen die Verleihfirma.

Der Chef der letzteren machte am Dienstag vormittag dem Kinobesitzer einen Vorschlag, der einem Harakiri glich: „Weißt du, schlechter kann es nicht mehr werden. Ich habe da eine Kopie in original-englischer Fassung liegen. Häng' sie ein! Du hast gar keine andere Wahl.“

Gesagt, getan. Die englische Fassung lief an und lockte am Dienstag 600, am Mittwoch 1000, am Donnerstag 1200 Zu-

schauer an. Vom Freitag an war das Kino ausverkauft, und zwar eine unvorslteillbare Zahl von Wochen lang, täglich, wochentags, sonn- und feiertags (übrigens wie in den anderen Städten Europas) und machte nicht nur ein Bombengeschäft, sondern auch Fiikngeschdchte.

Denn der Film war — „Heinrich VIII. und die Frauen“!

Wer irrte hier: Verleih, Kino, Kritiker — oder Seine Majestät das Publikum?

Die Verantwortung für die folgende Geschichte muß der Verfasser einem bedeutenden Wiener Filmregisseur überlassen, der nicht mehr unter den Lebenden weilt.

Ein piekfeiner Berliner Ku-Damm-Filmpaiast geriet anfangs der Tonflfaizeit in Terminnot, das heißt, durch die Verzögerung einer Fertigstellung eines Films in Balbelslberg war ein gültiger Ersatz in dieser Zeit nicht autrzutreifoen. „Sie“, sagte da ein Vertreter zum Boß des Großlkinos, „ich habe da eine französische Kopie .liegen, mit der Sie es versuchen könnten. Der junge Regisseur hatte zwar ursprünglich einen Stummfilm gedreht. Als diesen der Pariser Auftraggeber sah, schlug er die Hände über dem Kopf zusammen: „Himmelherrgott, halben Sie denn geschlafen? Der Tonfilm ist da! Wer kauft mir denn heute einen 'stummen Film ab? Wie komme ich jetzt zu meinem Geld? Warten Sie einmal: Zurück ins Atelier und munter einen Ton hineingeflickt, vielleicht auch ein paar Lieder, einen Schlager und so, na Sie wissen ja, also los, machen Sie schon!“

Und nun wiederholte sich das neckische Spiel von vorhin. Der solcherart ,jnachgefliclcte“ Film wurde eingehängt und trat 'auf der Stelle einen beispiellosen Siegeszug an.

Er hieß übrigens „Die Dächer von Paris“, hatte seinen „Schlager“, und die zünftige Kritik in aller Welt stellte ihm in höchsten Superlativen das Zeugnis aus, daß sein Schöpfer Rene Ciaire hier erstmalig das Geheimnis der Tarrfflimdrama-turgie an der Wurzel erfaßt halbe! Si non e veno...

Wer irrte hier? Die Kritik? Die Ffflmgeschichte?

Die Histörchen könnten fortgesetzt werden. Willi Forsts „Leise flehen meine Lieder“ war das größte FMmgeschäft in Italien, Qhapliras Weliterfölge endeten eindeutig mit dem Stummfilm das „Wachauer-Mariandr-Lied war in Skandinavien noch populärer als bei uns, ebenso die „Trapps“ to USA, den großen Neoverismo goutierten seine italienischien Landsleute erst über den Umweg vom Riesenerfolg in Amerika, und auf einer katholischen Fiimfestwoche in Wien erzielte der protestantische Beitrag Besucherrekord. Warum, warum? Wahrheit oder Irrtum? Es irrt der Mensch...

„Ich halbe zehntausend Filmlkritiken geschrieben“, sagte ein Filmkritiker bei einem Fesltvortrag und fügte demütig hinzu: ,;und habe zehntausendmal geirrt,“

Auch der Film ist nicht die sture, starre „Phantasiemaschine“', deren Produktionserfolge an der Hand oder durch einen Computer auszurechnen sind. Er ist vielmehr unberechenbar und „kein ausgeklügeltes Buch“, sondern ein Menschenwerk „mit seinem Widerspruch“. ,■ Das ist das Gefährliche an ihm. Aber auch das Geheimnisvolle. Und das Schöne.

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