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Father Campkell

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„Warum sind Sie nicht draußen bei den andern und erteilen Ihren Angehörigen und Ihren Freunden den Segen?“ fragte der Erzbischof den Neupriester Campbell, als er ihn verlegen dastehn und den über dem Paramenten-schrank in der Sakristei angebrachten Zettel

NOMEN ARCHIEPISCOPI: JOANNES in Augenschein nehmen sah, diese Ankündigung, die zu Besuch weilende Priester mahnen sollte, beim Beten des Te igitur nach Pius X. auch des hochwürdigsten Herrn John Macdonald zu gedenken.

„Ich habe niemand, Exzellenz. Wissen Sie, ich bin Konvertit, und meine Eltern waren nicht damit einverstanden“, sagte der junge Priester und errötete, da er davon sprechen mußte.

Der Domherr Poustie kam aufgeregt herein. „Ihr Zug, Exzellenz!“ mahnte er.

„Einen Augenblick noch, mein Lieber. Ich unterhalte mich gerade mit dem jungen Mann hier. Wo wohnen Sie denn? Doch kaum bei Ihren Eltern?“

„Nein, Exzellenz. Im Distel-Hotel.“

„Nett und in der Nähe, wenngleich ich Bedenken habe, ob Sankt Paulus den Timotheus dort untergebracht hätte. Und wie steht es mit Ihrem Französisch?“

„Leidlich, Exzellenz.“

„Nicht so gut wie mit Ihrem Italienisch, wie? Aber mir wird es wohl genügen. Ich muß heute morgen nach Paris zur Beerdigung eines Weihbischofs und könnte einen Dolmetscher brauchen. Hätten Sie Lust, mitzukommen? Ihr Gepäck können wir auf dem Weg zum Bahnhof mitnehmen. Gut. Jetzt aber runter mit Albe und Stola! Wir haben nicht mehr viel Zeit.“

Der Erzbischof wartete draußen vor dem Distel-Hotel, während Father Campbell seine Rechnung beglich, und darnach gingen sie, wobei sie ihre Handkoffer selber trugen, zur nächsten Haltestelle der Straßenbahn.

„Junge, Junge, hat Ihnen noch niemand gesagt, daß Sie wie eine Ente watscheln?“ fragte der Erzbischof. „Sie nehmen mir eine solche persönliche Bemerkung hoffentlich nicht übel. Bei näherer Bekanntschaft mit mir werden Sie merken, daß ich's nicht lassen kann. Als der gute alte Jimmie Stuart starb, wurden zwei schottische Bischofssitze frei, und die Geistlichen beider Diözesen hielten eine Novene, Gott möge sie vor mir bewahren. Bekanntlich sind

Inchkeith und die Pentlands dabei hereingefallen.“

Der Vikar Campbell lächelte ein wenig; vor einer knappen halben Stunde hatte Gott einen Teil seines Selbst ihm auf Lebenszeit in die Hände gegeben, und er wollte lieber besinnlich schweigen, statt zu reden.

„Baron von Hügel bezeichnet das kirchliche Christentum als ein härenes Büßerhemd. Wenn Sie nicht wissen, warum, werden Sie bald dahinterkommen. Das kirchliche Christentum ist für die Religion ebenso notwendig wie eine Flasche für den Wein. Die Leute leben irrtümlich in der Einbildung, daß sie auch die Flasche mittrinken; sie begreifen nicht, daß man die Form haben muß, um den Geist zu fassen, und den Geist, um die Form auszufüllen. Eins ohne das andere taugt nicht viel. Schottland hat ja nun freilich den Geist — um das festzustellen, brauchen Sie sich nur die anständigen Gesichter in den Straßen anzusehen; aber die Form hat Schottland einzig und allein in winzigen Diö-zesankirchen wie der unsern, eingeklemmt zwischen Billardklubs und Fisch-, Kartoffelbratbuden. Spanien, Frankreich. Italien, diese Länder haben alle die Form, aber soweit ich es beurteilen kann, ist da vom Geist bitter wenig zu finden. Mit andern Worten: die Welt geht in die Brüche, weil die Protestanten ihren Nächsten lieben, ohne Gott zu lieben, und die Katholiken Gott lieben, ohne ihren Nächsten zu lieben.“

Das zerklüftete Gesicht wandte sich dem jungen Priester zu, verhärmt und hager vor hilflos flehender Einsamkeit. „Sie verstehn mich doch, Father, wie?“

„Freilich, Exzellenz. Die beiden großen Gebote.“

„Und wir müssen sie beide halten, Father. Ich entschuldige mich nie wegen unserer Religion; aber ich habe oft das Gefühl, ich müsse für uns um Nachsicht bitten. Es hat keinen Zweck, daß wir uns zu unserer Glaubenslehre über Jesus beglückwünschen, solange wir die von Jesus verkündete vernachlässigen. Als Kardinal Wiseman seine Priester darauf hinwies, sie würden den anglikanischen Klerus in allem ihnen überlegen finden, außer im Depositum Fidei, war er damit mehr im Recht, als er ahnte. Nicht nur im Lateinischen und Griechischen sind die Ketzer besser bewandert als wir; auch in der erdfesten Paulinischen Nächstenliebe übertreffen sie uns.“

Aus: „Der rote Hut“. Roman. Aus dem Englischen von Jakob Hegtier. Verlag Jakob Hegner, Kdln.

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