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Faulkners Abschied?

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DAS DORF („The Hamlet”). Roman von William Faulkner. Deutsch von Helmut M. Braem und Elisabeth Kaiser. Verlag Fretz & Wasmuth, Zürich. 416 ‘S.eiten. Preis 22.50 sfr.

Während vom heute 59jährigen Hemingway seit sechs Jahren kein neues Buch mehr herausgekommen ist (angeblich, weil er der Steuer nichts schenken will, vielleicht aber, weil er den „Alten Mann und das Meer” nicht mehr übertreffen wird), scheint die Schaffenskraft und Erfindungsgabe William Faulkners, der im September 61 Jahre alt wurde, beinahe unerschöpflich. Deutsch erschienen zuletzt die zusammengehörenden Romane „Das Dorf” und „Die Stadt”.

In das Dorf, den „Franzosenwinkel” (es liegt etwa 20 Meilen entfernt von Faulkners Distrikthauptstadt Jefferson) kommen eines Tages ein paar arme Teufel: Ab Snopes mit seinen Leuten. Von dessen Sohn, Flem Snopes, geht ein eigenartiger Zwang aus. Er fordert nichts, er pflanzt sich nur unübersehbar auf und ist da. Er schweigt. Der andere, mit dem er gerade zu tun hat, spricht, fragt, droht, flucht — und wirft schließlich alles, um das es geht, diesem Mann zu Füßen. Flem Snopes ergreift es, als wäre es die selbstverständlichste Sache der Welt — ohne aufzuhören, gleichmäßig seinen Kiefer zu bewegen, zu kauen, Tabak zu spucken. Schließlich beherrscht er das ganze Dorf: immer mehr Snopes, nahe und entfernte Verwandte, tauchen auf und nisten sich ein. Als er dies erreicht hat, bricht Flem auf — in die Stadt, nach Jefferson.

Das Buch besteht aus mehreren Episoden, es ist nicht straff komponiert; Menschen und Episoden sind durch nichts anderes verbunden als das Dorf. Die einzelnen Gestalten leben zufällig nebeneinander, nur durch Flem Snopes immer wieder in Unruhe gebracht.

DIE STADT („The Town”). Roman von William Faulkner. Deutsch von Elisabeth Schnack. Verlag Fretz & Wasmuth, Zürich. 388 Seiten. Preis 22.50 sfr.’

Auch dies ein Buch der Episoden, oft schon Anekdoten: Jefferson-Histörchen aus den zwanziger Jahren. Doch der Hintergrund ist ernst: Flem Snopes ist ein Sinnbild der neuen, hastigen Zeit, die in Jefferson einzieht und die alte Ordnung zerstört; nicht von heute auf morgen, sondern langsam untergräbt, unterhöhlt, unterwühlt, bis sie plötzlich in Nichts zusammenstürzt.

Wie im Dorf, so breiten sich auch in der Stadt die Snopes wie eine Seuche aus, Jefferson spricht von der „Snopese”. In seiner Ablehnung der Zivilisation, die für ihn nichts als eine Krankheit ist, gleicht Faulkner Knut Hamsun. Nur daß nicht e i n August Weltumsegler da ist, der die neue Zeit verkörpert, sondern zehn, hundert, mit Hydraköpfen, Sippen von Augusts, wie Mississippis ergießen sie sich über Land und Stadt. August hatte noch Seele, war bei aller Erfindungsgabe, Neuerungs- und Sensationslust ein Träumer; er ve-lor; er wurde ze-- treten von taufenden, zehntausenden Schafen, die ihn in einen Abgrund hinunterdrängten, auf ihn stürzten, begruben — ein großartiges Bild. Die Snopes aber triumphieren; sie sind quallig und nicht zu fassen. Faulkner resigniert; vielleicht ist dieses Werk, 1956 geschrieben, 1957 in Amerika publiziert, sein Abschied.

EINE LEGENDE („A Fable”). Von William Faulkner. Deutsch von Kurt Heinrich Hansen. Verlag Fretz & Wasmuth, Zürich. 510 Seiten.

William Faulkner hat die meisten seiner Bücher in einem Zuge niedergeschrieben; dieses bildet eine Ausnahme. Er hat neun Jahre daran gearbeitet. Es machte ihm Schwierigkeiten wie kaum ein anderes — wenngleich er manche mehrmals geschrieben hat.

Das Thema: Die Wiederkehr Christi in unserer Zeit. Die Handlung spielt während einer einzigen Woche, von Montag bis Sonntag. Die Darstellung leistet nicht ganz, was die Konzeption verspricht. Gedankliche Klarheit ist nicht Faulkners Stärke; aber er gibt Einsichten in das Wesen des Menschen, des leidenden, frierenden, ausgesetzten, immer wieder schuldig werdenden Menschen. Faulkner wird von einer heftigen Empfindung getrieben (man könnte sie am ehesten als Mitleid bezeichnen), und er will sich von „seinen Stoffen befreien”. So schreibt er drauflos, wie im Rausch. Aber er bleibt in der Wirklichkeit stecken, die ursprünglichere Konzeption setzt sich nicht immer durch. Die Wirklichkeit ist ein zäher Schlamm, in dem jede Handlung, Wenn man präzis schreibt und nicht bereit ist, die kleinste Kleinigkeit umzubiegen, zurechtzubiegen oder zu fälschen, nur sehr langsam vorwärtsgeht; und oft nicht in die Richtung, die dem Autor zunächst vorschwebte. Es ist, wie wenn man durch hüfthohes Wasser geht; oder durch Morast. Daß Faulkner die Wirklichkeit so sehr achtet, daß er lieber seine Konzeption opfert, als sie zurechtzubiegen, ist Ausdruck höchster schriftstellerischer Lauterkeit.

Dieser Sinn für Wirklichkeitsschilderung ist es wohl auch, der Faulkner zu jenem Schriftsteller macht, bei dem, vielleicht nur Cervantes und Dostojewski ausgenommen, am meisten sichtbar wird. Was uns bei Faulkner plastisch vor Augen tritt, sind aber nicht Menschen, sondern einzelne Situationen ohne ein Vorher und ein Nachher. Am längsten von seinen Büchern bleibt die Erinnerung an einige nicht zusammenhängende Szenen, die wir so deutlich sehen, als hätten wir sie selbst erlebt: Lastwagen, die sich langsam in die Menge schieben; das Gesicht einer Frau inmitten der Masse auif dem Marktplatz, die unablässig ein Stück trockenes Brot kaut, das ihr irgend jemand gegeben hat; oder ein dreibeiniges Rennpferd, das von dem Mann, der es betreuen soll, gestohlen wird, damit es weiter Rennen laufen kann, und das mit seinen drei Beinen im Westen Amerikas Rennen um Rennen gewinnt.. . Das alles bleibt.

SOLDATENLOHN („Soldiers Pay”). Roman von William Faulkner. Deutsch von Susanna Rademacher. rororo - Taschenbuch. Rowohlt - Verlag, Hamburg. 250 Seiten. Preis 1.90 DM.

Einer der ersten Romane Faulkners, dessen Veröffentlichung Sherwood Anderson 1926 durchsetzte. Das Thema der „lost generation” klingt hier an, das Hemingway etwa gleichzeitig in „The Sun also Rises” („Fiesta”) ähnlich gestaltete. Deutsche Erstausgabe.

EIN GRÜNER ZWEIG. Gedichte von William Faulkner. Zweisprachige Ausgabe. Deutsch von Hans Hennecke. Verlag Fretz & Wasmuth, Zürich. 80 Seiten. Preis 10.80 sfr.

Hans Hennecke hat viel Mühe und Sorgfalt auf die Verdeutschung der frühen Gedichte Faulkners verwendet (später schrieb er, seine Begabung richtig abschätzend, keine mehr) und ein sehr informatives Nachwort zu ihnen geschrieben.

DER MENSCH UND DIE LEUTE. Von Jose Ortega y Gasset. Nachlaßwerk. Uebersetzt von Ulrich Weber. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart. 371 Seiten. Preis 14.80 DM.

Solange wir Menschen über uns Menschen nach- denken — seit wieviel Tausenden von Jahren und in wie vielen Milliarden von Köpfen? —, haben wir nur immer das Kreuz von „Ich und Wir” entdeckt. Kreuze muß man tragen oder man stolpert über sie; das heißt für den Denker: er kann die Frage nach „Ich und Wir” als unlösbar dem bewußten Leben anheimstellen — oder er gibt eine unhaltbare Lösung (im buchstäblichen Sinne), indem er die Wirklichkeit auflöst. Es gibt Daseinsgeheimnisse, die sich denkerisch nicht bewältigen lassen.

Ortega y Gasset merkt man den Aerger an, mit dem er in den letzten zwanzig Lebensjahren das Einsam-Gemeinsam verfolgte, das ihn verfolgte. „Menschen” und „Leute” — unter diesem Aspekt setzt er die Vielfalt der Lebewesen seiner eigenen Art gegen die Einsamkeit und die Individualität ab. Der Mensch ist ein „etymologisches Lebewesen”, soweit er schicksalhaft in die Gesellschaft eingeordnet ist. Die Etymologie der Sprache und die der menschlichen Bräuche verrät die Wandlungen des gesellschaftlichen Lebens und enthüllt sie als notwendige und unüberwindliche Funktionen. Gesellschaft ist darnach nicht eine eigene Wirklichkeit, sondern eine von außen stammende Not-Wende, aus der keiner herauskommt. Das ist eine geistreiche Methode; sie ist dem Schreiber aber sehr ernst. Es geht aber doch nicht an, die „Leute” gegen den individuellen Menschen zu stellen, sie funktionell voneinander abhängig zu sehen und ohne letzte Einheit. Die relative Einheit der Menschen: Geschöpf- Sein, im Kosmos-Sein, in Erd-Natur zu stehen, sagt doch nur die Wurzeln aus, in denen der einzelne seine Begründung hat. Von außen und vom individuellen Subjekt her (nicht einmal von der „Person” her) läßt sich dieses Fragen, das sich Ortega y Gasset stellt, nicht beginnen. Eher von „Oben” und von „Inpen” — aber dann entsteht wiederum am Ende des Nach-Denkens das Kreuz von „Ich und Wir”, dem der Denker entgehen wollte . . .

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