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Digital In Arbeit

Mensch und Leben

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ALS ICH IM STERBEN LAG. 243 Seiten. Leinen. Preis 17.50 sfr. — DAS HAUS. 481 Seiten. Leinen. Preis 25 sfr. - Zwei Romane von William F a u I k n e r. Verlag Fretz und Wasmuth, Zürich.

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ALS ICH IM STERBEN LAG. 243 Seiten. Leinen. Preis 17.50 sfr. — DAS HAUS. 481 Seiten. Leinen. Preis 25 sfr. - Zwei Romane von William F a u I k n e r. Verlag Fretz und Wasmuth, Zürich.

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„Schall und Wahn“ und „Als ich im Sterben lag“ sind die beiden Werke, die Faulkners entscheidende Hinwendung zu letzter innerer Verdichtung der Lebensvorgänge markieren. Die eine, nahezu schlackenlose Dichtung, die er hier erreicht, leitet die Periode seiner Meisterschaft ein, in der er seine großen Romane als einen erratischen Block hinstellt, vor dem das übliche Literaten- und Kritikergewäsch verstummt. „Das Haus“, als dritter Band der Snopes-Trilogie, bezeichnet einen Höhepunkt der Reife.

Wie Hemingway hatte Faulkner seine journalistischen Anfänge, doch bereits im Ursprung gabelten sich ihre Wege. Hemingway, der Mann des amerikanischen Nordens, der dynamischen Aktion, der facts, denen er stets in der vordersten Front des Zeitgeschehens nachjagte, packte die Realität in der Extroversion. Er schuf Kunst, Tatsachen in geschriebenen Lebensfilmen von bedrängender Eindringlichkeit summierend, und als er sich dabei zur Disziplin hoher Einfachheit zwang, erklomm er mit „Der alte Mann und das Meer“ seinen Gipfel.

Faulkner, der Mann des amerikanischen Südens, wo über dem Mississippi eine gnadenlose Sonne den Körper des weißen Mannes mattsetzt, wo im trägen Fleisch Gedanken und Leidenschaften kochen, begann alsbald hinter der sichtbaren nach der inneren Realität zu schürfen, ihm erschlossen sich Zeit und Raum, ohne daß er sich von der Stelle zu rühren brauchte. Er brauchte nicht die aktuellen Kriegsschauplätze aufzusuchen, seine Bestalten tragen ihre vorderste Front in sich und dort auch ihre Etappe und ihr Niemandsland. Die alten Familien und die Emporkömmlinge, die Farbigen und die Weißen sind durch dieselben Gesetzlichkeiten aneinandergekettet, in ununterbrochen währenden Kausalketten, in einer Welt, in der explosive Aktion und ebenslanges Warten auf den „Augenblick ler Wahrheit“ derselben Dimension an- ‘ehören.

i In „Als ich im Sterben lag“ hat Addie,

: die Mutter, vor ihrem Ende folgende i Gedanken: „Mein Vater sagte, der Sinn • des Lebens sei die Vorbereitung auf ein i langes Totsein. Endlich wußte ich, was er meinte, aber auch, daß er selbst nicht hatte wissen können, was er meinte, weil ‘ ein Mann nichts wissen kann vom

Reinemachen eines Hauses nachher. So hab ich denn mein Haus rein gemacht. Mit der Geburt Jewels — ich lag neben der Lampe, hielt den Kopf empor und schaute zu, wie er abband und zunähte verströmte das wilde Blut und sein Rauschen erstarb. Dann blieb nur noch die Milch, warm und ruhig, und ich lag ruhig in der trägen Stille und machte mich bereit, mein Haus rein zu machen.“

Allein schon Stellen wie diese würden eine Reihe analytischer Essays recht- fertigen, in denen über die Vielschichtigkeit von Faulkners Seh- und Denkweise gehandelt wird. Da läßt sich die Verschränkung von Zeit und Raum demonstrieren, in Gebilden, in denen das Wort und das Bild, der Sinn, der Gedanke und das Ziel des einzelnen, sich der Welt,

dem Sein, das das Werden umgreift, anvermählen. Da läßt sich die Intensität einer Objektivation erleben als Frucht zäh geübter Entselbstung und Hand in Hand damit eine Schlichtheit des Ausdrucks und Einfachheit der Motive und der Sprache, die ihresgleichen in der neueren Literatur nicht finden.

Faulkner gelingt, und auch dies geht aus dem Beispiel hervor, die Kontempo- ranität der Dingwelt, hier des Hauses, der Lampe, der Milch, des Blutes, mit , jener der Leidenschaften und der geisti- ,

gen Welt in eins zu schauen und damit •3

zu unerhörtem Aufeinanderwirken zu ent- , fesseln. Im selben Atemzug evoziiert er i eine Wirkgleichheit der Kräfte (hier der ] Erinnerung an den Vater und seine Worte über Tod und Leben, des zurückliegen- ( den Geschehens der Geburt mit der da- , mit verbundenen zweiten Erinnerungs- Schicht, der augenblicklichen Erlebnis-

Schicht, der äußeren und inneren Vorgänge, die einander bedingen, der damit verbundenen Reflexionen) von äußerster Radikalität. Dies aber führt bei ihm, im Gegensatz zu anderen Autoren, die ähnliche Versuche anstellen, keineswegs zu einer Nivellierung der Werte, sondern vielmehr zu überraschenden, bestürzen- den Neukonfrontationen. Daraus resultiert eine alt-neue Werthierarchie, in der die aite Tragödie des Menschen auf Erden auf neue Weise virulent ist. Sein Wort- und Bildvokabular, obwohl im Original wie in den ausgezeichneten Übersetzungen identisch mit dem unserer Zeit, ist plötzlich weder müde noch verschilften, sondern strahlt, wie aus einem Jungbrunnen gefischt, in neuem, tief bedeutungsvollem Glanz.

Faulkner hat sich ferner, wir sprechen jetzt von der Perspektive seiner Romane, vom Thron der bislang üblichen Autoren- omnipotenz herabbegeben, von dem aus der allwissende Feldherr seine Figuren bewegt und ihre Auftritte mit Zwischenbemerkungen versieht. Er schreibt also nicht etwa: „Dr. Zündmilch entschritt dem Patio, dachte an die Operation und sagte zu seiner Begleiterin: ,Leonore, wenn Sie wüßten “ Nein, diese Art der Schilderung, bei der der Autor so vorgeht, als vermöchte er jederzeit etwas wie eine Elektrosonde in die Hirne und Seelen seiner Opfer einzuführen, ist heute aus guten Gründen passe, denn sie entspricht nicht der modernen Hingabe an das Objekt und erweist sich in die-

sem Sinne als ein die intensivierte Wahrheitssuche störendes Instrumentarium. Faulkner war einer der ersten, der den Autor, also sich selbst, aus dem Werk ausmerzte. Er bemächtigte sich des „single point of view“, den bereits Henry James meisterlich entwickelt hatte, und operiert allein mit den inneren Monologen seiner Gestalten, und zwar durch die Erzählung in der jeweiligen Ichform. Diese Optik ist wie keine andere unserer Epoche angemessen, sie ermöglicht wieder Poesie ohne falsches Pathos, Dramatik ohne künstlichen Zwang, ermöglicht in Form von Lebensfunktionen Ausflüge in alle Wissens- und Geisteslandschaften, eine elastische Herrschaft über Zeit und Raum und, nicht zuletzt, jede Menge Ironie.

Und wie weiß Faulkner die Ichmono- loge seiner Gestalten anzuwenden! Wir meinen, mit allen Sinnen an der Schlagader des Lebens selbst angeschlossen zu sein, als Zeugen innerster Vorgänge, die erschreckend und tröstlich, furchtbar und verheißungsvoll zugleich sind. Sturm und Windstille, Jagende und Gejagte packen uns, in einer Welt, in der selbst noch das Lächerliche erhabene Züge trägt und unter dem Anruf der Majestät der Letzten Dinge auch noch das Lächeln gedeiht. Unter Faulkners Griff, der ebenso behutsam ist wie gnadenlos, in einem Kosmos strengster Diesseitigkeit, transzendieren Mensch und Leben absichtslos, kreisend in einem Sonnensystem, das einfach das der Wahrheit ist.

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