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Figaro wird wieder Barbier

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An seinem 38. Geburtstag wohnte Giselher Klebe der Uraufführung seiner fünften Oper, „Figaro läßt sich scheiden”, in Hamburg bei. Der gebürtige Mannheimer und derzeitige Kompositionslehrer an der Nordwestdeutschen Musikakademie Detmold schrieb sie im Auftrag der Hamburgischen Staatsoper und speziell für deren Ensemble, das heißt also: für ausgesuchte Stimmen und Bühnentemperamente. Dieses früher selbstverständliche Verfahren bewährte sich erneut. Gewonnen ist ein sehr sangbares Werk, an dem Klebe seine serielle Handschrift in neuartiger Weise fortbildet. Während er im melodischen Verlauf möglichst der Handlung folgte und die Reihen nach den dramatischen Gegebenheiten zusammenstellte, suchte er die Zwölftönigkeit im harmonischen Bereich kompromißlos zu verwirklichen. Damit schuf er sich selber ein Handikap: Das überwiegend spröde Klangbild steht der unmittelbaren Wirkung seiner „Figaro”-Oper entgegen. Spontan reagierten die Besucher auf den von sanften Ironien durchzogenen, von lockerem Charme und humanem Emst gleichermaßen erfüllten Text Ödön von Horvaths. Klebe hat die Komödie des aus dem altösterreichischen Sprachraum stammenden, 1938 tödlich verunglückten Dichters, deren Titel er übernahm, für seine musikalischen Zwecke geschickt eingekürzt. Nach einer komischen Oper herkömmlicher Art stand ihm offenbar nicht der Sinn, wohl aber nach einer sublimen, mit der reinen Empfindung eins werdenden Heiterkeit.

Es gibt in seiner Oper eine Szene von unendlicher Zartheit: Graf Almaviva und seine Frau Rosina, beide Emigranten und zerrieben von ihrer Unfähigkeit, sich in den harten Lebensumständen zurechtzufinden, sprechen sich gegenseitig Trost und Illusionen zu. Die alternde Gräfin verzichtet ihrem Mann zuliebe auf das Essen, und er antwortet: „Heut’ bin ich wieder mal dein Sohn.” Auf dieser Szene verweilt Klebe. Er setzt sie an den Schluß des ersten Aktes, vor die große Pause, zweifellos, um ihre Bedeutung hervorzuheben. Im musikalischen Ausdruck nähert sich die Gräfin ihrem engelgleichen Ebenbild bei Mozart. Das weitgespannte Duett, mit Alban-Berg-Stimmungen im Orchester,

schwermutvollen Tönungen, mag heute als „sentimental” mißverstanden werden. Ein solches Urteil würde Klebes Eigenart verkennen. Heiterkeit ist für ihn ein Wunschtraum, ein Moment des Übermenschlichen, ja Übersinnlichen, die geträumte Auflösung einer in Wirklichkeit unauflösbaren Spannung. Es ist die zwischen Schönheit und Wahrheit, zwischen dem Belkanto, dem schönen Gesang, der melodischen

Linie als Spiegelung menschlichen Empfindens, und der autarken Konstruktion, der die Zwölftonordnung als technisches Vehikel dient.

Die vertrauten Figuren sahen sich einer hintergründigen Metamorphose ausgesetzt. Orte der Handlung sind irgendein Land, in dem Revolution war, und ein Nachbarstaat. Das gräfliche Paar flieht, begleitet von Figaro und Susanna, über die Grenze. Graf Almaviva kann im Exil nicht Fuß fassen: Zunächst verschleudert er sein Vermögen im eleganten Winterkurort,

dann geht es von Stufe zu Stufe abwärts mit ihm; am Ende sieht er sich mit der Gräfin in einem schäbig möblierten Zimmer, seine Memoiren von der Zeitung abgelehnt, ohne Geld für das Nötigste, und schließlich zur Veruntreuung getrieben. Figaro, der revolutionäre Geist von ehedem, sorgt sich rechtzeitig um die Sicherheit seiner Existenz: Er wird wieder Barbier — in Großhadersdorf, einem emporstrebenden mittleren Ort mit dreitausendvierhundert Seelen. Herr von Cherubin, dicklich und rosig, hat sich auf seine Weise eingerichtet: als Chef einer Nachtbar. Statt der Canzonette für die Gräfin gibt er Schmalzlieder an Susanna, seine Kellnerin, zum besten. Sie hat sich von Figaro, der ihr die Mutterschaft versagte, getrennt. Happy-End auf dem ehemals gräflichen Besitz: Schloßverwalter Figaro schließt seine Susanna wieder in die Arme —, der Graf, jetzt Witwer, darf sich ausruhen von aller Mühsal.

Was leistet die Musik, sofern man sich mit dem Kontrast ihrer relativ strengen Faktur zu der liebenswürdigen Nonchalance des Textes nicht zufriedengeben will? Horvath vermochte die Handlung bruchlos in die Gegenwart zu transponieren, weil Mozarts zeitlose Menschenzeichnung ihn auf den Weg der Antithese führte. Aber die musikalische Antithese zu Mozart ist noch nicht gefunden. So blieb eine leichte Enttäuschung. Ihr wirkte die exzellente Aufführung entgegen. Unter Leopold Ludwigs Leitung wurde intensiv musiziert, unter Egon Monks feinsinniger Regie komödienhaft agiert, und Alfred S i e r c k e hatte seine hundertste Ausstattung mit gewohnter Stilsicherheit entworfen. Toni Blankenheim war ein prächtiger Figaro, Melitta M u s z e 1 y eine echt feminine Susanna. Besonders herzlicher Beifall galt Clara Ebers und Mathieu Ahlersmeyer als dem gräflichen Paar, und schließlich konnte auch Giselher Klebe sich, schmal und ernst, einem ihm freundlich akklamierenden Publikum zeigen.

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