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Fremde in dieser Welt

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LEVIATHAN. Roman. Von Julien Green. Hegner-Verlag, Köln-Olten, 1963. In der Reihe „Die Bücher der Neunzehn”. 304 Seiten. Preis 9.80 DM. — IN DEN AUGEN DER GESELLSCHAFT. Roman. Von Julien Green. Hegner-Verlag, Köln-

Olten, 1962. 239 Seiten. Preis 15.80 DM.

Der Hegner-Verlag legt Julien Greens Roman „Leviathan” in einer neuen ausgezeichneten Übertragung von Eva Rechel- Mertens vor. Das 1929 geschriebene und erstmalig 1930 in deutscher Übersetzung erschienene Buch, das dem Autor den Harper-Preis einbrachte und seinen Weltruhm begründete, gehört zu den großen Frühwerken Greens, in denen er den Menschen gefangen sieht „im Kerker des Ich”, ein Opfer des Schicksals und seiner Leidenschaften, beherrscht von Angst und Grauen, immer am Rande des Abgrunds balancierend. Die Allgewalt des Bösen — nicht als moralische, sondern als metaphysische Macht gesehen — feiert da Triumphe. Und die bei Green immer gegenwärtige Spannung zwischen Geist und Sinnen, die in den späteren Werken dem Individuum einen schmalen Raum, der Entscheidungsfreiheit läßt, ist hier unüberbrückbar, führt in den sicheren Untergang:

Wie in so vielen Werken Greens ist eine französische Kleinstadt Schauplatz der Handlung. Eine vergiftete, leere und entseelte Welt, die im Leser Furcht und Entsetzen auslöst, und, seltener, sein Mitleid herausfordert.

Drei Personen stehen im Mittelpunkt der Geschehnisse. Monsieur Guėret, ein in seiner Ehe und seinem Beruf Gescheiterter, der in den Bann des Mädchens Angele gerät, eines jener bei Green immer wieder auftauchenden Opfer der Gesellschaft, für die es keine Rettung gibt. Guėret treibt seine aus Liebe, Abscheu und Haß gemischte Leidenschaft für das Mädchen ins Verbrechen; er wird zum Mörder und Gewalttäter; doch auch die unheilvollsten Verstrickungen vermögen ihn nicht von seiner Abhängigkeit von Angele zu befreien.

Ungehemmte Begierden und Leidenschaften treiben ihr unseliges Spiel in diesem Buch, Begierden, die in ebenso ungehemmten Triebhaß münden. Ein Alptraum das Ganze, dessen Sinn verborgen bleibt.

Auch der Roman „ln den Augen der Gesellschaft” (der französische Titel heißt viel treffender „Le Malfaiteur”), gehört in seiner Anlage und düsteren Problematik in die gleiche Schaffensperiode. Green hat ihn zwischen 1936 und 1937 geschrieben, jedoch erst 195 5 vollendet und publiziert.

Es geht in diesem Buch wie in Greens erstem, 1953 geschriebenen Bühnenstück „Sud” (in deutscher Übersetzung • unter dem Titel „Des Mann, der aus, der Fremde kommt” erschienen) um das Verhängnis der Homosexualität. Ja, als Verhängnis, als Fluch und Geißel wird diese unglückliche Veranlagung hier gesehen, die Jean, den Helden des Buches, zum Selbstmord treibt. In seinem Gegenbild, dem Herrn Dolange, dem Jean verfallen ist, zeigt sie sich freilich als Laster, mit dem sich Geschäfte machen lassen und unbedenklich zu leben möglich ist. Aber im Grunde steht hier die Tragik derjenigen zur Debatte, denen die Natur böse mitgespielt hat, die Gefangene eines unseligen Schicksals sind und ihm nicht entrinnen können.

Auch diese Geschichte spielt in der zwielichtigen Öde einer französischen Provinzstadt. Hier gedeihen hinter einer glatten, wohlbehäbigen Fassade dunkle Leidenschaften. Gespenstisch die Atmosphäre im Hause Vasseur, in dem Jean als armer Verwandter seiner reichen Cousine lebt, ebenso wie die Waise Edwige, ein naives, unschuldiges Mädchen. Beider Schicksale verketten sich auf tragische Weise.

Ulrike, Edwiges Cousine, lädt — aus Langeweile und eigener Unerfülltheit, für andere bewußt Verhängnisse heraufbeschwörend — Gaston Dolange ins Haus ein, den „Freund” Jeans, in den sich nun auch Edwige verliebt. Jean, der in den Augen seiner Verwandten ein stiller Gelehrter ist. flieht, als die Entlarvung seiner Abwege droht, nach Italien, wo er sich, nachdem seine Lage ausweglos geworden ist, das Leben nimmt. Edwige versucht er mit dunklen Andeutungen zu retten. Aber die Dinge sind zu weit gediehen; als das Mädchen die Zusammenhänge zu durchschauen beginnt, ist es in einem Netz innerer und äußerer Zwänge gefangen, aus denen es keine Befreiung gibt. „Ich zürne nicht diesem Mann, der die Liebe keiner Frau zu erwidern imstande wäre, aber ich zürne dem Schicksal, ich zürne dem grausamen Schicksal, das mich zermalmt”, schreibt sie an Jean. Auch ihr bleibt nur mehr die „Freiheit”, ihrem Leben ein Ende zu machen.

Das mag in dieser summarischen Wiedergabe fragwürdig klingen. Aber Green macht ein großes Drama daraus, die Tragödie des in seinen Anlagen und den äußeren Umständen ausweglos gefangenen Individuums. Jean, der „Übeltäter”, ist ein armer gequälter Mensch, ebenso wie die kleine unschuldige Edwige, über die Verhängnisse hereinbrechen, denen sie nicht gewachsen ist. Der Autor hat seine dunkle Geschichte unter das Motto „Richtet nicht” (Matth. 7,1) gestellt, und er erzählt sie so, daß dem Leser jede Anwandlung, hier mit moralischen Maßstäben zu messen, vergeht, daß ihm nur Anteilnahme und Mitleid bleibt.

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