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Die doppelte Angst

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WENN ICH DU WÄRE. Roman. V«« Julien Green. Übertragen von Rosemarie von J a n k 6 und Karl Ranch. Jakob-Hegner-Verlag, Köln und Ölten, 1961. 260 Seiten. Preis 16.80 DM.

Das Geheimnis der menschlichen Identität ist eines der Grunderlebnisse luljea Greens. Die Unentrinnbarkeit des Ich, die Unabänderlichkeit des an einen bestimmten Leib und eine bestimmte Seele gebundenen Daseins, machen ihm von jeher zu schaffen, und er sinnt auf Auswege, diese dem Menschen gesetzten Grenzen zu überwinden. Im Vorwort des 1947 abgeschlossenen Romans „Wenn ich du wäre“ stehen die Sätze:

„Ich erinnere mich deutlich, daß ich schon in einer Zeit, da ich noch kaum fähig war, ein Blatt Papier zu bekritzeln, mich fragte: Warum bin ich eigentlich ick selbst, warum nicht ein anderer? Diese Frage hat bis heute keine Antwort gefunden, aber sie hat nie aufgehört, mich in Atem zu halten. Sie ist, wenn ich so sagen darf, in und mit mir gewachsen und hat sich mit anderen Fragen verbunden, um deren Lösung ich bemüht war ...“

Eine der hier angedeuteten Fragen hat wiederholt ihren Niederschlag in Tagebuchnotizen Greens gefunden, nämlich die Fähigkeit des Dichters, sich in seine Gestalten zu verwandeln und damit die Grenzen seiner Persönlichkeit zu sprengen. Sosehr Green diese Möglichkeit des Entkommens aus dem Kerker des Ich fasziniert, sosehr belastet sie anderseits sein Gewissen als christlicher Schriftsteller. „Kann man in die Welt der Sünde hinabtauchen, wie es der Romanschriftsteller tut, ohne selber Schaden davonzutragen?“ fragte er einmal.

In dem Roman „Wenn ich du wäre“ sinnt Green nun anderen, außerhalb des literarischen Bereiches gegebenen Möglichkeiten nach, über das eigene Ich hinauszuwachsen. Sein Held, Fabien, gehört zu jenen von ihm so oft gezeichneten unruhigen und lebenshungrigen Jünglingen, deren beschränkte äußere Verhältnisse in Widerspruch zu ihren Wünschen und Träumen stehen. „Ich erlebe einfach nie etwas“, dachte er. „Das ist doch kein Leben. Und noch weniger eine Jugend...“ Fabiens Versuch, nun im Schreiben einer Geschichte, „in der er selber die Rollen aller darin auftretenden erfolgreichen Personen spielen würde“, das zu finden, was das Leben ihm vorenthält, scheitert. „Es lag nicht in seiner Macht, jene Unbekannten zu werden, die er in seinem Roman zum Leben zu erwecken sich erträumte. Dazu hätte er aus sich selber heraustreten müssen..., in die Persönlichkeit eines anderen hineinschlüpfen müssen... und schließlich die Welt mit anderen Augen sehen, dem Wind eine andere Stint darbieten müssen, nicht denselben Mund, nicht dieselbe Haut, dieselben Hände haben dürfen ...“

Genau dieser Wunsch wird Fabien erfüllt. In einem Augenblick tiefster innerer Unsicherheit und Gefährdung — in seiner Unzufriedenheit offen für alle Versuchungen, die ihn aus der Gleichförmigkeit und Eintönigkeit seines Alltags befreien könnten — macht sich der Teufel an ihn heran.

„In dieser Nacht werden Sie durch eine besondere Gunst die Gabe erhalten, Ihre Persönlichkeit gegen eine andere auszutauschen ... Sie werden zu demjenigen werden, der Sie sein möchten. Die gesamte menschliche Erfahrung steht Ihnen zur Verfügung. Von einem Menschen zum anderen werden Sie reisen dürfen... Sie werden nur soviel an Leid und Schmerz kennenlernen, wie Sie davon zu erfahren wünschen, und Sie werden alles nur erdenkliche Glück auskosten...“

Fabiens Lebenshunger siegt über alle Bedenken, er nimmt die Gabe an, und wir erleben nun im Fortgang der Geschehnisse seine verschiedenen Verwandlungen. Seine Seele geht über in den Leib des jeweils von ihm Auserwahltcn, aber seine vielfältigen Erfahrungen machen ihn nicht glücklicher. Sie lehren ihn letztlich nur, wie arm der Mensch ist; und sie lassen ihn erkennen, daß es kein Entrinnen gibt: Auch in den Verwandlungen bleibt Fabien seinem ursprünglichen Ich verhaftet.

Dieser Roman Greens, in den so viel von seiner Unrast und Zwiespältigkeit eingegangen ist — vor allem die immer neue Erfahrung der Gespaltenheit des Menschen zwischen diesseitiger Verhaftung und der Sehnsucht nach dem Absoluten —, hinterläßt im Leser ein Gefühl tiefer Traurigkeit.

„Wenn ich das Thema dieses Buches in einem einzigen Wort zusammenfassen wollte, würde ich vielleicht sagen, daß es die Angst ist, jene doppelte Angst, daS keiner von uns weder seinem Schicksal entgehen kann noch der harten Unausweichlichkeit des Todes, und daß er sich einsam, allein auf sich gestellt, inmitten eines unfaßbaren, unbegreiflichen Weltalls vorfindet.“

Wenn das ein Nihilist sagt, könnte man vielleicht dagegen aufbegehren. Aber Green ist ja Christ, ein Christ unserer Zeit, dem auch sein fester Glaube an Gott und seine Gnade keine endgültige Sicherheit zu geben vermag. Darin liegt der Grund für seine Schwermut, die sich den Lesern seines Buches mitteilt.

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