Geburt Eines Schriftstellers

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In den erinnerungen Julien Greens kann man weniger nachlesen, was dem Autor widerfahren ist, denn wie er zum Schriftsteller geworden ist.

Seltsam, da schreibt einer Romane, die zum Düstersten gehören, was das 20. Jahrhundert hervorgebracht hat, und kaum breitet er sein eigenes Leben aus, strahlt dieses vor Glück.

Dabei sind Julien Greens Erinnerungen an Kindheit und Jugend kein Werk abgeklärt-verklärten Alters. Als sie veröffentlicht wurden, war er noch keine 42 Jahre alt. Die Besetzung Frankreichs durch die Nazis nahm er zum Anlass für diese Aufzeichnungen. Er, der als Sohn amerikanischer Eltern im Jahr 1900 in Paris geboren wurde, schrieb das Buch für ein amerikanisches Publikum auf Englisch, um es von der Kraft und der Herrlichkeit Frankreichs zu überzeugen. Es sollte als Widerpart zur durchlittenen Erniedrigung des Landes seine Wirkung entfalten, "niemals wollte ich, dass es ein trauriges Buch wird".

Green verfügte zu diesem Zeitpunkt schon über einen ausgezeichneten Namen. Große Romane, darunter "Leviathan" und "Mitternacht", waren bereits erschienen, und in seinen Tagebüchern, die in zwei Bänden den Weg an die Öffentlichkeit gefunden hatten, erwies er sich als subjektiver und unbestechlicher Kommentator seiner Zeit. Und plötzlich versank er schwärmerisch in holdes Gedenken an unbekümmerte, behütete Jahre. Das klappt nur, weil er sich über Familientragödien hinwegmogelt. Der Tod seiner Schwester Retta 1918, der Tod der Eltern: Ereignisse, die im Text wie nebenbei verzeichnet werden.

Melancholisches Licht

Ebenso stehen die Jahre der Unentschiedenheit, als Green nicht weiß, was er aus sich machen soll, ob er sich der Malerei oder Literatur hingeben soll, in einem friedlich melancholischen Licht der müßigen Sinnsuche. Ein junger Mensch ist drauf und dran unterzugehen, weil es scheint, dass für so jemanden wie ihn kein Platz auf dieser Welt ist, und im Buch - kein Konflikt, nirgends. Dafür lernt man den Buben als ganz schönen Racker kennen, der zu einem kühnen Streich immer aufgelegt ist.

Die Neigung zum Anekdotischen macht die Lektüre zu etwas befremdlich Harmlosen. Lauter kleine Albernheiten werden verzeichnet, in denen die Gemütlichkeit einer verlorenen Zeit aufgehoben ist. Das ist nicht der Julien Green, wie man ihn kennt. Green nimmt als Sanitäter am Ersten Weltkrieg teil, der aber kaum der Rede wert ist. Erzählt wird, wie sich der junge Soldat in seiner Freizeit zurückzieht ("ich hatte immer einen Baudelaire in der Tasche") und seine ästhetischen Erfahrungen macht. Das Buch ist ein verkappter Bildungsroman, der die frühen Prägungen durch Schönheit und die Kunst preist. So gelesen haben die Behelligungen durch die harte Lebensrealität keinen Platz.

Immer spannender

Doch je näher die Erinnerungen an die Gegenwart heranreichen, umso spannender werden sie. Mit zunehmender Reife nehmen Reflexionen an Gewicht zu. Wie wird einer zum Schriftsteller? Wie geht einer vor, der Romane schreiben will, ohne zu wissen, wie man das anstellt? Von Nachahmung der bedeutenden Geister seiner Zeit hält Green sowieso nichts. Der Autodidakt, zeitenthoben geschult an klassischer Kunst, vermag der Auflösung der Form, wie sie von seinen Zeitgenossen betrieben wird, nichts abzugewinnen.

Green ist gezwungen, seinen eigenen Weg zu gehen. Es bedarf einiger Zeit, bevor er weiß, dass es für ihn nicht Sinn macht, sich im Voraus den Plan eines Romans zurechtzulegen. Sein Schreiben kommt aus der Intuition und nicht aus dem Kalkül. Als er über einen möglichen Romanstoff nachdenkt und sich Bücher in Erinnerung ruft, die in ihm einen starken Nachhall hinterlassen haben, merkt er, dass ihm die eigentlichen Geschichten kaum in Erinnerung geblieben sind. Aber bis ins Detail vermag er Charaktere nachzuzeichnen. Jetzt weiß er, dass er nur starke Figuren braucht, denen er sich anvertraut und von denen er sein Schreiben leiten lässt. Eine Geschichte stellt sich dann von selbst ein.

Die Erinnerungen erzählen von der Geburt eines Schriftstellers: die Angst des Kindes vor den eingebildeten Geistern im nächtlichen Schlafzimmer, die frühen Versuche, Szenen aus der Bibel als Theater zu inszenieren, die Jahre des Vagabundierens …

Die Übersetzung greift, aus welchen Gründen auch immer, auf Julien Greens eigene Übertragung des englischen Originals ins Französische zurück. Elisabeth Edl hat die Arbeit gewohnt überzeugend bewältigt.

Erinnerungen an glückliche Tage

Von Julien Green

Aus dem Franz. von Elisabeth Edl Hanser 2008. 269 S., geb., e 20,50

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