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Land der Seele
FERNES LAND. Von Julien Green. Aus dem Französischen von Eva Rechel-Mertens. Jakob-Hegner-Verlag, Köln-Olten 1966. 266 Selten, Leinen. DM 17,80
FERNES LAND. Von Julien Green. Aus dem Französischen von Eva Rechel-Mertens. Jakob-Hegner-Verlag, Köln-Olten 1966. 266 Selten, Leinen. DM 17,80
Im dritten und letzten Band seiner Jugenderinnerungen berichtet Julien Green über seine drei Studienjahre in Virginia, vom Herbst 1919 bis 1922. Eine Zeit, in der sich endgültig der Weg entschied, den er zu gehen hatte. „Ich war nicht gefragt worden, ich hatte nicht gewählt ...“, heißt es dazu einmal.
In Virginia wird es Green bewußt, welche Faszination die Schönheit, insbesondere die männliche Schönheit, auf ihn ausübt, wie sehr er ihr verfallen ist. Aber es handelt sich dabei um recht unbestimmte Wünsche und Gefühle; denn der immer noch sehr naive und im Grunde unwissende Jüngling ist völlig unerfahren im Bereich des Sexuellen. Erst als in einer Vorlesung der Professor vom „großen Schandfleck des Altertums, der Knabenliebe“, spricht, wird ihm klar, daß diese Leidenschaft auch in ihm wohnt, und, ein wahres Verhängnis, er vermeint mit ihr in seiner Zeit allein dazustehen. „Der Schandfleck des Altertums!... Wenn er gesagt hätte: .Dieser Schandfleck, der allen Zeiten angehaftet hat...', wäre meine Reaktion eine ganz andere gewesen, aber so, wie ich nun die Dinge sah, hatte ich meinen Platz in der vorchristlichen Welt... Nur von Toten wurde ich verstanden... Kein Wunder, daß mein Gemüt verdüstert war...“
Es ist typisch für Green, daß er seine unseligen Anfechtungen durch religiöse Übungen zu überwinden versucht. Aber seine damals noch ein wenig schwärmerische Frömmigkeit vermag ihn nicht von seinen sehr irdischen Begierden zu befreien. Er quält sich erbärmlich mit der Anziehung, die die schöne Welt auf ihn ausübt, ohne sich von seiner fast krankhaften Furcht vor der Sünde losmachen zu können.
Green rettet sich aus diesem Zwiespalt durch eine „ideale Leidenschaft“, eine „reine“ Liebe zu dem Studenten Mark, mit dem er lange Zeit keinen persönlichen Kontakt hat. „Ich liebte ohne fleischliche Verfehlung ein Wesen meines eigenen Geschlechts und hatte dabei das Gefühl, daß diese alles überwiegende Neigung im allerbesten Teil meiner Seele verwurzelt war...“ Auch als sich dann endlich eine leidenschaftliche Freundschaft zwischen den beiden jungen Männern anspinnt, erschöpft sie sich in der inneren, seelischen Verbundenheit. Ein reines Glück ist diese Erfahrung nicht. Denn darüber ist sich schon der immer noch in seiner geistigen Kindheit befangene und von ihr geschützte Student klar: Je weniger er seinen Leidenschaften nachgibt, ein um so stärkeres Eigenleben führen sie in seinem Herzen.
Green schildert den tragischen Konflikt, in den ihn seine Anlagen, bis zu einem gewissen Grad auch seine Erziehung, führten, mit einer Kühnheit und Redlichkeit, die dem Leser Anteilnahme und Bewunderung abnötigen.
Den äußeren Rahmen für die hier angedeuteten Geschehnisse bildet die Welt der amerikanischen Südstaaten, aus der Greens Eltern stammten. Die Atmosphäre der kleinen Universität Charlottesville, die er einmal mit „douceur de vivre“ bezeichnet, die von der großen Vergangenheit erfüllte Gegenwart in den Häusern seiner Verwandten in Savannah, Georgia und Virginia, strenges puritanisches Lebensgefühl, und, als Reaktion, der Ausbruch in ungehemmte Leidenschaften — all das ist sehr unmittelbar eingefangen.
Das Buch ist ein bedeutendes Dokument der Memoirenliteratur.
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