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Liebe und Tod in „Süd“

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Das Linzer Landestheater hat unter der Oberspielleitung seines neuen Direktors Oskar Walleck einen schnellen Aufstieg genommen. In den letzten Wochen brachte es jetzt zwei neue Theaterstücke französischer Dichter, die lebhaften Widerhall fanden: „Die Ritter von der Tafelrunde“ von Jean Cocteau in der Regie von Alfred Stögmüller, und „S ü d“ von Julien Green in der Regie von Hermann Kurtenbach. Während sich das neue Stück Cocteau in Gesprächen am runden Tisch verlor, legte das Schauspiel des katholischen Dichters Green Dinge unseres Lebens frei, über die wir nachdenken sollten.

Julien Green faßt die Exposition von „Süd“ (das Stück hieß in der deutschen Uebersetzung von Friedrich Schreyvogl ursprünglich: „Der Mann, der aus der Fremde kommt“) in wenigen Worten zusammen: Am Vorabend des amerikanischen Sezessionskrieges 1861 enthüllt sich einem nordamerikanischen Leutnant, dem aus Polen stammenden Jan Wicziewski, seine eigene abgründige Natur, indem er sich von einer unausweichlichen Liehe zu einem jungen Mann ergriffen fühlt. Er wird von einer panischen Angst gepackt, aber es gelingt ihm, Sie zu beherrschen. Um seinem Schicksal zu entgehen, bittet er um die Hand eines jungen Mädchens, Angelina. Er beleidigt den jungen Mann, um ihn zu einem Duell herauszufordern, im Augenblick dieses merkwürdigen Zweikampfes aber bietet er sich als Opfer dem Mann an, den er zu seinem Feind gemacht hat, und er stirbt von seiner Hand.

Julien Green hat in „Süd“ ein Thema, das wir als „heikel“ zu bezeichnen übereingekommen sind, in ebenso vornehmer wie zurückhaltender Weise behandelt, wie er es in der Exposition skizziert. Es besteht kein Grund, es nicht auf der Bühne darzustellen, außer dem einen, daß Green, dessen ..Tagebücher“ sehr viel zu geben haben, dafür zu wnig dramatische Begabung besitzt. In „Süd“ wird episch gesprochen; die Dialoge könnten genau so in eine! Roman stehen. Es ist Green nicht klar geworden, äaß das Theater mit seiner Dimension des Agierens mmschlicher Personen auf einem sichtbaren Podium ehr viel zu sagen überflüssig macht. Alle wichtigen Ereignisse geschehen in „Süd“ hinter der Bühne und werden bloß erzählt. Trotzdem werden wir gefesselt, und das nicht nur durch die Grundkonzeption der Handlung und ihre Stimmungswerte, sondern auch dadurch, daß hier echte Menschen auf der Bühne stehen, deren Probleme uns betreffe, weil jeder Mensch unser Bruder ist. Bedenkt man das Stück nach der Aufführung noch einmal, so erscheint es an einigen Punkten unklar und nicht folgerichtig entwickelt. Regisseur Kurtenbach hat schon intensiv gestrichen; weitere Kürzungen hätten nicht schaden können; vor allem das immer wieder angeschnittene Thema des amerikanischen Bürgerkrieges, das mit dem Gehalt, des Stückes überhaupt nichts zu tun hat, hätte viel stärker in Jen Hintergrund treten müssen.

3er Rest, der bleibt, ist eine Frage: ob Leutnant Wic4ewski nicht doch Regina liebte, das Mädchen, das i'n liebt, und mit dem er das unglückliche Schicksal teilt. Und eine Einsicht: Daß Liebe — und wir verstehen hier mehr darunter, als wir darunter für gewöhnlich zu verstehen übereingekommen sind — irgendwo viel tiefer beginnt und viel weiter reicht als jede Veranlagung unserer Triebe. Diese ihrem Wesen nach mystische Einsicht rührt uns an diesem Abend an. Es wäre an Green gelegen, sie in den Mittelpunkt seines' Stückes zu stellen.

Die Aufführung ist mit einem Wissen um Nuancen geführt, wie wir es gerne öfter sehen möchten. Bühnenbild und sparsame, aber eindrucksstarke Beleuchtungseffekte geben einen zarten Rahmen für das Spiel der Darsteller, die Kurtenbach überlegt zu führen weiß. Hier wächst ein intellektueller und kluger Regisseur heran. Von den Schauspielern seien die Leistungen von Hanny Götte als Regina und Wolfgang Weiser als Erik MacClure hervorgehoben. Kurtenbach, der selbst die Hauptrolle spielt, scheint zunächst ein wenig gehemmt, gibt aber Leutnant Wicziewski dann jene menschliche Wärme, die diese Figur braucht, um uns verständlich zu werden.

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