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Fremde Komödien in Wien

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Die Scala bringt „Glück“ von Pjotr P a w 1 e n k o. Man wird diesem in der sowjetischen Gegenwart spielenden Stück nur gerecht, wenn man seine Gattung erkennt: es ist ein Schulstück, ein Lehrdrama, das in seiner didaktischen Prosa ein wichtiges Erziehungsmittel in der politischen und kulturellen Arbeit der UdSSR an ihren Völkern darstellt. Auf seine Weise also durchaus zu vergleichen dem protestantischen Schuldrama der Reformation und dem jesuitischen der Gegenreformation. Hier wie dort ein Held, der, geführt durch den Leitstern unwandelbarer Maximen, gegen mannigfache Widerstände das Heil erkämpft: das ist hier das Reale, Wirkliche, die salus publica, das Heil des Ganzen, des Sowjetvolkes. Die Menschen sind Statisten, elende heimatlose Gesellen, wenn sie ihr „eigenes" Spiel spielen wollen! Spezifisches Gewicht, Substanz, Heilskraft gewinnen sie erst, wenn sie sich in den Dienst des All-Heils stellen, ihm ihr Leben opfern und weihen.

Der Held des „Glücks" ist nun so ein Mensch, der in der Gefahr steht, sein Gesicht zu verlieren und herauszufallen aus der Heilsgemeinschaft, Ein im Krieg zusammengeschossener Oberst a. D., der nun auf die Krim geht, um dort „s e i n“ Leben zu leben — er will nichts mehr wissen... Um ihn bangen seine Vorgesetzten und Freunde, Militärs, Politiker, Frauen. Keine Sorge! Als unser Held die Not des Volkes im kriegsverwüsteten Krimland sieht, stellt er sich sofort an die Spitze der Aufbaubewegung und erkämpft dieser erste, begeisternde Siege. Um ihn herum ein Rudel Menschen aus dem Volke, fast durchwegs liebenswürdige, ja liebenswerte Typen: Menschen, die darauf warten, daß jener kommt, der ihre ganzen seelischen und geistigen Kräfte einfordert, zur Arbeit, zum Werk.

Interessant für den außerhalb dieser Heilswelt lebenden Beschauer die hier im Stück gezeigten Typen der sowjetischen Hierarchie: der General, der frühere Kampfgefährte des Obersten, gehört nicht zu ihr; er ist ein tapferer, anständiger Kerl, aber durchaus befangen in der Enge nur-militärischer Aspekte, vermag er die Größe des neuen zivilen Werkes seines Kameraden von gestern nicht zu erkennen und wird erst durch das Machtwort des allerhöchsten Kriegsherrn eines Besseren belehrt. Der politische Leiter des Krimortes gehört ebenfalls nicht in direktem Sinne zu ihr: er ist ein tüchtiger Geselle, sein Blick ist aber gehalten durch Betrieb und Bedrängnis seiner Tagesarbeit. Erst im letzten Bild des letzten Aktes erscheint uns ein echter Prälat dieser neuen Kirche: eine vornehme, kluge, überlegene Erscheinung, gewandet ganz in weiße Seide, (die Bluse) und feierliches Schwarz, eine Mischung von Professor, Pastor, Polit-Techniker, mit jenem Air des Ganz-Anderen, das diese neue Führerklasse zu zeichnen scheint; er weiß jedem das Seine zu geben, ein weiser Lenker, Ordner und Walter über die kleinen individualen Geschicke.

Der Gott dieser neuen Welt tritt nicht auf: von ihm wird aber nicht nur gesprochen, ihm strömen alle Gefühle und Gedanken dieser Menschen zu — er ist der primus motor, der Erstbeweger dieser von einer ungeheuren Leidenschaft des Schaffens ergriffenen neuen Welt: Stalin.

Dekadenz in Reinkultur — W. S. Maughams „Rondo" in der Josefstadt. Man hätte hier ruhig beim ursprünglichen Titel — The Circle — bleiben können. Alles dreht sich im Kreis. Im Kreis von gestern und vorgestern. Die englische Gesellschaft, die hier gezeigt wird, hat in den letzten dreißig Jahren nichts gelernt und nichts vergessen. Die Kinder wiederholen die Spiele der. Eltern. Diese kommen gerade zurecht, um die Reprise des Spektakels von 1905 zu besehen: die Frau des Sohnes wird die Ehe ebenso brechen wie die Frau des Vaters. Da die Alten völlig unfähig sind, diese Affaire zu verhindern, spielen sie sich, den Jungen und dem Publikum zum Vergnügen, die Kavalkade ihrer neckischen Nichtigkeiten von ehedem vor.

Hervorragend Adrienne Geßner: der Lichtblick der Aufführung.

Besser findet man sich noch zurecht in der Komödie der Insel die „Schule für Steuerzahler von Louis Verneuil und Georges Berr. Auch sie glaubt zwar nicht ohne die Staffage der Ehebrüche auskommen zu können, illustriert aber wenigstens amüsant ein Thema, das wirklich zeitgemäß ist: das Steuerzahlen. Etwas also für bilanzversorgte graumelierte Geschäftsherren, für den Mann von Welt. Die Steuermoral also, bei Rampenlicht besehen; ja, nun, sie ist eben nicht besser. — Verständnisvoller Beifall des Publikums.

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