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Fremdländische Poesie

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DIE TAUBE DER MOSCHEE und andere syrische und libanesische Ersahlungen. Auswahl und Redaktion Sam Rabbani. 844 Selten. DM 18.60. — DIE BUNTEN SCHUHE und andere koreanische Erzählungen. Redaktion und Übersetzung Tschang Boum R h I e. 384 Selten. DM 18.00. — DIE REIHER und andere brasilianische Erzählungen. Auswahl und Übersetzung Curt Meyer-Clason. 399 Selten. DM 18.60. Alle Bande sind erschienen im Horst-Erdmann-Verlag. Herrenalb.

Die vom Stuttgarter Institut für Auslandsbeziehungen herausgegebene Buchreihe „Geistige Begegnung“ wurde um weitere interessante Bände bereichert: zeitgenössische koreanische und brasilianische Erzählungen, und schließlich, in einem Band zusammengefaßt, syrische und libanesische kleine Prosa.

Bleiben wir gleich bei dieser zuletzt genannten, von dem in Deutschland lebenden syrischen Schriftsteller Sam Rabbani zusam-

mengestellten Publikation, die durch die Ereignisse im Nahen Osten besondere Aktualität gewonnen hat. Wer hier die bunte Märchenwelt von „Tausendundeiner Nacht“ erwarten mag, wird sich freilich getäuscht sehen. Syrien und Libanon sind vor wenigen Jahrzehnten unabhängige Staaten geworden, die nicht nur in politischer und sozialer Hinsicht um einen eigenen gangbaren Weg ringen. Der abrupte Einbruch westlicher Vorstellungen in Gebiete, deren Struktur teilweise noch mittelalterliche Züge aufweist, hat einen Zustand des Überganges und vieler Spannungen geschaffen, der sich in der modernen syrischen und libanesischen Literatur widerspiegelt. Konflikte zwischen den Generationen, konservative Rückständigkeit der Alten; neue Wege der Jungen; ihr Kampf um politische und persönliche Freiheit und gegen überholte Vorurteile; Auflehnung gegen soziale Mißstände; Flüchtlingsschicksale — diese Themen stehen neben den traditionellen: Schilderung des von der modernen Welt noch unberührten Lebens auf dem Lande; poetisches Lob der Natur; Islamischer Schicksalsglaube in seiner Auswirkung auf das persönliche Leben; dunkle und süße Liebesgeschichten. Die libanesischen Schriftsteller zeigen sich, besonders auch in der Form, moderner und revolutionärer als die syrischen, in deren Erzählungen teilweise noch alter orientalischer Geist lebendig ist. Einige Geschichten bleiben unverwechselbar im Gedächtnis: „Der Hirt“ von Rames Nudschaim — eine archaische Gestalt rückt da ins Blickfeld, die sehr ursprünglich auf eine moderne Tragödie reagiert. Voll düsteren Schreckens „Das Brautbett“ von Gibran Khalil Gibran — hier triumphiert die Liebe erst im Tod. Beide Schriftsteller sind Libanesen. Mitten in die Problematik der heutigen Situation führt die syrische

Erzählung „Gott ist gnädig“ — der Gewissenskonflikt eines Gefängnisbeamten, als er vier zum Tode verurteilten Freiheitskämpfern zur Flucht verhilft. Die Auswahl ist so getroffen, daß sie die menschlichen, politischen und sozialen Probleme von Ländern sichtbar macht, die sich gerade wieder als Krisenherd unserer Welt erwiesen haben. Erstaunlich übrigens, daß der Konflikt mit Israel unmittelbar gar nicht und am Rande nur ganz selten gestreift wird.

Koreanische zeitgenössische Erzählungen werden dem deutschsprachigen Leser durch den von Tschang Buom Rhie zusammengestellten und übersetzten Auswahlband „Die bunten Schuhe“ zum erstenmal zugänglich. Eine sehr bereichernde Begegnung, die den unverfälschten Einblick in eine Welt erlaubt, mit der wir meist nur durch recht einseitige Propaganda konfrontiert werden.

Tschouk Pek gibt in seinem Vorwort einen Überblick über die Geschichte der koreanischen Erzählung, die, im Vergleich zum Roman, kurz ist: Sie entstand erst um 1920 unter dem Einfluß des europäischen Naturalismus. Die Autoren der dreißiger Jahre gingen eigene Wege, besannen sich unter dem Druck der damaligen japanischen Herrschaft auf das überkommene koreanische Erbe. Helmische Umwelt und persönliche Intimsphäre werden liebevoll und detailliert, aber doch auch mit asiatischer Distanz geschildert. Gesellschaftliche Probleme nehmen einen breiten Raum ein: soziale Ungerechtigkeiten des feudalen Systems, Mühsal und unermeßliche Geduld der Armen, unglückliche Liebe, die oft situationsbedingt ist. Der Grundton schwermütiger Trauer wird hörbar. Bei den jüngeren Schriftstellern finden sich existen-tialistische Züge. „Die Leere herrschte — nur die Leere ...“, heißt es in der Titelerzählung. In der großartigen Geschichte „Im Kreis der Gegenwart“ steht stich ein Mann vor Erfahrungen gerillt, die sein Ich zerstören; es gibt für ihn keinen Ausweg als den Tod.

„Der ganze Schmerz, den er erlebt hatte, seit er mit dem Totenzettel seiner Mutter aus dem Hause gegangen war, und der sein Herz tief verletzt hatte, diesen ganzen Schmerz

hatte er nicht allein erlitten ... sondern an diesem Schmerz leiden alle Menschen mit ihm: Ihnen allen, die in dieser Zeit leben, geschieht Unrecht. Sie alle werden beleidigt, sie alle werden im Innersten verletzt. Nur haben sie es vielleicht nicht so sehr gemerkt wie dieser hier, da ihr Herz sich schon an diese-Gift gewöhnt hat...“

Auch Form und Stil der koreanischen Erzähler sind manchmal erstaunlich modern im westlichen Sinn. Verwandlung der unerträglichen Wirklichkeit in Träume und Visionen, Fluchtwege nach innen und keine Ankunft, Schweben im Leeren — das alles wird mit den uns geläufigen Stilmltteln transparent gemacht. Zusammenfassend meint Tschouk Pek: „Die koreanische Erzählung weicht einerseits der Wirklichkeit nicht aus, sondern bemüht sich um genaueste Erfassung; aber die Wirklichkeit wird andererseits als Stoff an sich betrachtet, dem der Schriftsteller Form und Dauer gibt.“

Ein Teil der umfangreichen brasilianischen Literatur ist hierzulande bekannt, nicht zuletzt dank der hervorragenden Übersetzungen von Werken bedeutender Romanciers des Landes durch Curt Meyer-Clason, der auch die uns hier vorliegende Anthologie zeitgenössischer brasilianischer Erzählungen zusammengestellt und eingeleitet hat. Der Herausgeber beschränkte sich dabei auf Werke von Autoren, die zwischen 1882 und 1937 geboren wurden, und auf Beispiele, die nach 1922 geschrieben worden sind, jenem Jahr, in dem eine Gruppe brasilianischer Dichter den „Modernismo Brasileiro“ ins Leben rief.

In der Auswahl spiegelt sich die unsägliche Vielfalt des riesigen Landes, die Kontraste zwischen Stadt und Land, zwischen airm und reich, das Miteinander auch von Menschen verschiedener Rassen und Hautfarbe.

Gefahr und Tod sind in den meisten Erzählungen ganz hineingenommen ins Leben, unentrinnbar, aber nicht die Freude am Dasein vergiftend. Das gibt eine Spannweite und Tiefe, die wir bei unserer Literatur so oft vergeblich suchen.

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