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GENERAL HELMUT POPPE / ER LIESSE SCHIESSEN

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Als Moltke und seine Schule einst die im übrigen auch vom österreichischen Generalstab übernommene Devise formulierten, daß „Generalstäbler keinen Namen hätten“, dachten sie nicht an ein dem einzelnen übergeordnetes, ihm die Verantwortung abnehmendes Kollektiv. Ihr Ideal war die ausgeprägte Persönlichkeit, die sich mit allen voll entwickelten Fähigkeiten in den Dienst des Zusammenwirkens stellte, ohne sich jemals von der Instanz des eigenen Gewissens zu dispensieren. Es war ein Stadtkommandant von Berlin gewesen, der in altpreußischem Gehorsam gegenüber jenem „inneren“ Befehl den Henkerstod auf sich genommen hatte. Generalmajor vom Haase hatte in den Untergangsjahren dieses Moltkeschen Ethos, da es einvernahmt und eingeschmolzen werden sollte durch das gewissenswidrige Kollektiv des Nationalsozialismus, seinen Widerstand mit dem persönlichen Opfer besiegelt,

Won dem Mann, der nun nach dem Untergang des Dritten Reiches und dem burokratisch-leise zu Ende gegangenen Zwischenspiel der sowjetischen „Komanäatura“ seine Nachfolge antreten soll, weiß man zunächst nur, daß er bislang auch „keinen Namen“ hatte. Helmut Poppe, der mit sechsunddreijiig Jahren den Generalsrang innehat, trägt die Uniform der Streitkräfte der sogenannten DDR. Sie ist in Farbe und Schnitt der vergangenen Wehrmacht ähnlicher als die Mon-tur der westdeutschen Bundeswehr. Aber auch das ist eine durch die propagandistischen Psychologen mit klugem Bedacht akzentuierte Äußerlichkeit. Helmut Poppe trug das „Landsergrau“ in seinem Leben schon einmal. Damals, als der ausgelernte Elektriker aus Mitteldeutschland 1944 zum letzten Aufgebot des Hitler-Krieges einberufen wurde. Den Hoheitsadler hat er sich in der darauffolgenden dreijährigen sowjetischen Kriegsgefangenschaft wohl selbst heruntergetrennt. Vielleicht nicht in einer Aufwallung spontaner Empörung, die ja seiner Generation ohnedies nicht liegt, sondern sachlich und zweckbewußt. Er hatte zu denen gehört, die bei der kommunistischen Lagerumschulung als verwendbar aufgefallen waren.

Bestimmt war und ist er nicht das, was sich Liebknecht und Lenin unter einem „Marxisten“ vorstellten, kein debattierfreudiger Dialektiker, kein Revolutionssoldat nach dem Stil der von Trotzkij geschaffenen „Roten Armee“, bestimmt auch kein Soldatenrat nach Art der Revolutionäre von 1918. Das, was Koestler dem Exekutor der „zweiten Generation“ des Kommunismus als auffallendsten Charakterzug zuspricht, die „korrekte Brutalität“, spricht aus diesen der Welt bis zum Tage seiner Ernennung noch vollständig unbekannten Porträtzügen. Ein Mann, der den Marxismus, wie er ihm in den Jahren des Stalinismus beigebracht wurde, nicht als Welterlösungsdoktrin begreift, nicht als kompliziertes Modell der Wirtschaftsentwicklung, sondern zunächst einmal als handfeste Alternative für eine bestimmte Generation seines Volkes. Was er in seinen davorliegenden Jahren erlebt hatte, die Endzeit des Nationalsozialismus, mag legitim oder nicht legitim, gut oder böse gewesen sein. Eines stand für alle Fälle fest: es hatte mit dem totalen Zusammenbruch allgemeiner und persönlicher Existenz geendet. Horizonte der deutschen Geschichte vor Hitler gibt es für diese Generation keine. Im übrigen hatte man ihnen ja auch in pointierter Geschichtsbetrachtung beigebracht, daß alles, was davor lag, Kaiserreich und liberale Republik, nicht viel besser gewesen war und auf Umwegen konsequent zu Hitler, besonders aber zur Niederlage Hitlers geführt hatte.

Marxismus war für Helmut Poppe wie für manchen seiner Jahrgänge die konkrete Chance, nicht nur zu überleben, sondern irgendwie heraus- und weiterzukommen. Er nützte sie auf dem geradesten Weg.Der führte nicht über das Intrigenkarussell der ständig um „Linien-einheit“ bemühten Funktionäre, bei dessen unerwarteten Drehungen doch immer wieder einer von der Sprosse fiel. Der Weg über die Exekutive, über die stumm gehorchende, Fakten setzende Macht, war sicherer. Hier war jeder Schritt vorberechenbar. Niemand kennt die spezifische Begabung Helmut Pop-pes, die ihn in einer selbst für eine neue und an kein Kastenzeremoniell gebundene Armee überraschend schnell Karriere machen ließ. Man wird sie vielleicht schon in nächster Zeit kennenlernen. Zwei Bataillone sind dem neuen Kommandanten unterstellt, der in den Räumen von Karlshorst, dem „Zwing-Uri“ der sowjetische Besatzungszone, residieren wird.

Man kennt einzelne Gesichter dieser Soldaten. In dem einen oder anderen glaubt man nicht nur korrekte Brutalität lesen zu können. Und immer wieder fragt man sich, ob im bewußten Ernstfall jeder von ihnen auf den deutschen Bruder von drüben schießen würde, kalt und gezielt, oder ob nicht am Ende doch etwas durchbrechen könnte, was elementarer ist als alle kommunistische Schulung. Betrachtet man das Bild des neuen Generals, dann erstarrt diese Frage in Schweigen. Der würde schießen und schießen lassen. Ohne Haß und ohne Sadismus, bestimmt, aber auch ohne Zögern. Die Verantwortung trägt jenes Kollektiv, das für ihn das einzige wahre und zukunftsweisende Deutschland ist. Eine Minderheit? Bei Lenin findet sich die Antwort.

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