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Grandseigneur und Staatsmann

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LEOPOLD GRAF BERCHTOLD. Von Prof. Hugo Hantsch. 2 Bände. Verlag Styria, Graz-Wien-Köln, 1963. XIV und 896 Seiten, 27 Bildtafeln. Preis 358 S.

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LEOPOLD GRAF BERCHTOLD. Von Prof. Hugo Hantsch. 2 Bände. Verlag Styria, Graz-Wien-Köln, 1963. XIV und 896 Seiten, 27 Bildtafeln. Preis 358 S.

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Der Minister, welcher beim Ausbruch des ersten Weltkriegs für die auswärtigen Angelegenheiten Österreich-Ungarns verantwortlich war, hat seinen Biographen gefunden: und dies ist der österreichische Historiker von heute, der Gelehrte, dem Österreich eine gründliche, handliche Darstellung seiner ganzen Geschichte zu danken hat. Wer an der Geschichte Österreichs, an der Geschichte des Donauraums, an der neueren Geschichte Europas irgendein Interesse hat, wird das Erscheinen dieser zwei Bände mit Freuden begrüßen. Mehr noch! Wer in der Geschichtsschreibung auch moralische Kategorien kennt — wer ein Gefühl hat für Wahrheit, Irrtum und Lüge, für Gerechtigkeit, Verkennen und Verleumdung,, der wird wahrhaft Genugtuung empfinden beim Anblick dieser Lebensgeschichte aus. dieser Feder.

Denn bisher hat Leopold Berchtold wenig Gerechtigkeit erfahren. Man begreift es freilich, wenn ein Karl Kraus seine Gestalt betrachtet mit Augen, getrübt von heißem Haß. Er sah die Greuel, die man damals für unübertrefflich hielt, die Greuel des ersten der Weltkriege, und dachte an den Mann, der die Kriegserklärung verantwortlich unterzeichnet hatte… Begreiflich (doch in einem anderen Sinn!) ist auch die Darstellung eines Emil Ludwig: wie dieser Biographienkonfektionär, nachdem er Bismarck, den wissentlichen, Erreger wohlüberlegter Kriege, als monumentalen, großen Mann gefeiert hatte, natürlich mit hämischer Verdammung des Herrschers, der einen solchen Mann zu entlassen sich erfrecht hatte, nun in seinem „Juli 1914“ den trottelhaften Vertreter des wurmstichigen Österreich für dessen Kriegserklärung in den Kakao zog. (Ein weniger trivialer Ausdruck wäre der Darstellung nicht angemessen.) Und doch wußte man, wie Berchtold im Urteil der kompetenten Zeitgenossen, der Fachgenossen dastand. Man wußte in informierten Kreisen, wie der alte Kaiser und Aehren- thal — beides keine nachsichtigen Beurteiler! — seine Begabung hochgehalten hatten. Da war eine wissenschaftliche Lebensgeschichte wohl fällig. Zudem gibt es ja — wie der Autor in der Vorrede hervorhebt — von den allermeisten wichtigen oder auch zweitrangigen Akteuren des ersten Weltkrieges Biographien oder .Selbstbiographien; sollte gerade der Mann ohne eine solche bleiben, den man oft direkt als den Schuldigen am Krieg bezeichnen wollte? Nun also liegt sie vor — selbstverständlich mit Literaturangaben und Fußnotenapparat —, verfaßt von einem Autor, dem der geschichtliche Hintergrund wie wenigen anderen vertraut ist.

Verwendet wurden vor allem die eigenen Tagebücher und handschriftlichen Memoiren Berchtolds, seine Akten im Staatsarchiv, seine Korrespondenzen: man muß es anerkennen, daß diese von der tschechoslowakischen Archivverwaltung zur Verfügung gestellt worden sind (wenn sie schon den Erben entzogen bleiben). Auch wußte der Autor vieles von Familienangehörigen und Zeitgenossen mündlich zu erfahren. Die Vorbedingungen seiner Arbeit konnten also kaum günstiger sein.

Ist sein Werk zwar eine Wiedergutmachung älterer Schmähschriften, so ist es doch gewiß keine patriotisch-panegyrische Reinwaschung: Es ist eben ein wissenschaftliches Geschichtswerk. Dabei hatte der Autor die Schwierigkeit zu bewältigen, daß ein Typ wie Berchtold dem heutigen Publikum gar nicht leicht zu erklären ist: Unsere heutigen Leser sind an ganz andere Gestalten des politischen Lebens gewöhnt. Auch hatte ein Berchtold seine zwei Seiten. Das korrekte, bürokratische Arbeiten hatte ihn Aehrenthal selbst gelehrt, wie Hantsch erzählt (und worüber es noch allerhand Anekdoten gibt). Doch war er das Gegenteil von jenen Tüchtigen, die in tierischem Ernst sich nur als Schwerarbeiter sehenlassen wollen. Als echter Österreicher (staatsrechtlich aber Ungar — was für die Situation auch bezeichnend ist!) war er, in typischem „understatement“, bereit, sich der Öffentlichkeit lieber nur als Pferde- und Kunstliebhaber zu zeigen. Damit erreichte er denn, daß ihn — wie vorhin angedeutet — ein Emil Ludwig als Playboy und Graf Bobby darstellen dürfte.

Woher aber hätten solche Kritikei die Anhänglichkeit kennen sollen, die Berch- told im Familienkreis, im Bekanntenkreis, in der engeren Heimat genoß — sicherer Maßstab für Charaktere! Man wollte nur das Renngigerl sehen…

Die Berichtigung, die der' Autor solchen Verzerrungen widerfahren läßt, ist um so nachhaltiger, als er sich ja eben jeder apologetischen Tendenz enthält. Berchtolds Begründung der eigenen Taten wird nur berichtend wiedergegeben — nicht etwa verfochten nach der Art mancher Biographen, die einen „Helden“ darstellen zu müssen glauben. Ja, der Autor betont es ausdrücklich, wo er in Berchtolds Art eine Schwäche sieht. Davon abgesehen ist es klar, daß dem Fernstehenden schon seinerzeit manche Eigenheit komisch vorkam, die Berchtold mit seinen Standesgenossen teilte oder wohl auch besonders ausgeprägt hatte. Schon die Zeitgenossen fanden den Gebrauch der Fremdwörter in der Sprache der Wiener Gesellschaft exaggeriert (wie dies Berchtolds Kollege Mensdorff ausdrückte); in den hier publizierten Niederschriften Berchtolds ist dieser Zug stärkstens wahrnehmbar. Aber das gehört eben zu jenem kosmopolitischen Charakter dieser Gesellschaft, über den sich die Völkischen aller Nationalitäten denn auch gebührend entrüsteten.

Und doch war er so sehr altösterreichischer Staatsbeamter, so sehr Diener Kaiser Franz Josephs, daß auch ihn — wie wir hier sehen — ziemliches Mißvergnügen ergriff angesichts der Art, wie es Kaiser Karl nicht gelingen wollte, eine geregelte, kräftesparende Arbeitseinteilung für sich selbst und seine engste Umgebung zu schaffen. (Wobei es sich aber versteht, daß der junge, verständnisvolle Kaiser bei seinen Rettungsversuchen in allerletzter Stunde nicht so arbeiten konnte wie der alte Kaiser im abgeschlossenen Schönbrunn …)

Der Autor hat sich die Amtstätigkeit Berchtolds zum eigentlichen Thema gewählt; etwas zu kurz kommt dabei das Privatleben und das Otium cum dignitate des langen Lebensabends. Was ergibt sich nun aus seiner Arbeit für die Ergebnisse von Berchtolds Ministerschaft? Das sollen möglichst viele Leser aus dem Buch selbst entnehmen; die hier berührten Probleme sind so weitreichend, daß es lächerlich wäre, das Thema 1914 hier zu besprechen. (Und uns wenigstens will es immer scheinen: der wahre Schuldige war Metternich, als er die Befreiung Serbiens nicht Österreich vorbehielt.)

Es ist natürlich nicht nur die tragische Wendung, die ,«Katastrophe";dramatischen und im. politischen,.Sinh des Wortes — .es ist nicht-,pur der Juli-JÄLA, der hier dargestellt wird, sondern der ganze Ablauf der Außenpolitik, wie er mit Berchtolds Wirken als Botschafter und Minister verbunden war. Und gewiß wird und soll ein Buch wie dieses nicht auf deutschsprachige — geschweige auf österreichische — Leser beschränkt bleiben. Es ist eigentlich überflüssig, auf die Wichtigkeit der Fragen eigens hinzuweisen, die hier besprochen werden, auf den Wert, den diese so reichlich belegte Darstellung für den Historiker hat. So wollen wir mit einer Bemerkung für den Nichthistoriker enden: Die gefällige Ausstattung, die reichlichen, hübschen Bilder, der mit einer richtigen (!) Wappendarstellung geschmückte Einband machen diese Bände zu schönen Büchern, die auch äußerlich einem Bücherkasten zum Schmuck dienen können.

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