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Hermann u. Dorothea — ein Drama?

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Wer bis jetzt der Meinung war, Goethes „Hermann und Dorothea“ sei ein Epos und demnach zum Lesen oder Hören bestimmt, der muß sich nun eines besseren belehren lassen. Ludwig Berger will mit seiner Bearbeitung dem Werk nun auch die Bühne erobern. Er tut dies mit dem fadenscheinigen Hinweis auf das „epische Iheater und die Aktualität des Flüchtlingsproblems. Keine der beiden Begründungen ist stichhältig. Das sogenannte Epische Theater kann ohne Aktion und ohne ein Minimum an Dramatik nicht auskommen. Bergers Bühneneinrichtung bringt aber nicht mehr als ein Rezitieren der Goetheschen Hexameter durch kostümierte Schauspieler, die ihre endlosen Berichte und Reflexionen durch ein paar Gesten und zuweilen durch einen kleinen Stellungswechsel untermalen, während ein Erzähler in Goethe-Tracht die einzelnen Monologe miteinander zu verbinden sucht. Stellt man so die Figuren des Epos leibhaftig auf die Bretter, so nehmen sie sich aus wie Puppen aus einem Wachsfigurenkabinett. Von einer gültigen Vorformung des Flüchtlingsproblems unserer Tage durch die klassischen, in diesem Zusammenhang beinahe weltfremd anmutenden Verse kann überhaupt keine Rede sein. Neben der Not und dem Elend der Völkerwanderung unseres Jahrhunderts wirkt die Goethesche Behandlung wie eine unverbindliche, rein theoretische Mitleidsbezeugung aus dem wohlig warmen Stübchen des Spießbürgers. Die Grazer Aufführung in den Kammerspielen (Regie Klaus Gmeiner) hat gezeigt, daß es für das Theater heute weiß Gott wichtigere Aufgaben gibt als die Bemühung um solch überflüssige Dramatisierungsversuche.

Seit eüi paar Jahren wirkt an.den Gra-, zer Bühnen ein junger Schweizer Schauspieler namens Kaspar Fischer, der mit seiner sehr persönlichen und manchmal eigenwilligen Rollenauffassung Interesse zu wecken versteht. Den theaterbesessenen jungen Mann ließ es offenbar nicht ruhen, daß die Märchenstücke, die man den Kindern im Theater vorzusetzen pflegt, in den meisten Fällen weder in künstlerischer noch in psychologischer Hinsicht etwas taugen. So setzte er sich also hin und schrieb selbst ein Märchenspiel „D i e Bremer Stadtmusikanten“, reicherte die einfache Grimmsche Fabel mit einer ganzen Menge lustigen und auch abenteuerlichen Geschehen an, personifizierte markante Gegenstände aus der Kinder- und Bilderbuchwelt (Kasten, Windmühle, Auto) und ließ sogar das Wasser und das Feuer in treffenden Masken mitspielen. Die Verse sind einfach und kin-dertümlich, viele Vorgänge werden zur Sch'-crzeugbegleitung leicht choreographisch wiedergegeben — der Einfluß des Zirkus und semer Clowns, oder wenn man will: des absurden Theaters mit seinen grotesken mimischen Zügen — ist unverkennbar, Elemente des chinesischen Theaters (der prächtige tänzerische Kampf des Wassers mit dem Feuer) standen Pate. Frei'ich ist das Stücklein und seine Inszenierung durch den Autor noch nicht völlig zur Perfektion gefeilt. Aber was macht das schon? Wir haben hier statt der pseudokindlichen, aufdringlich belehrenden oder sich albern anbiedernden Märchenstücke endlich ein phantasieanregendes, streng antiillusionistisches, im besten Sinn modernes Spiel, an dem nicht nur die Kinder, sondern auch die erwachsenen Theaterkenner ihre helle Freude haben (Kammerspiele im Rittersaal).

Ein Bühnenbild der offenen Geheimnisse baute Wolfram Skalicki für Mozarts „Hochzeit des Figaro“ im Gräser Opernhaus: Die Farben der Dekors und der Kostüme sind bestrickend. So reizvoll die Transparenz der Innenräume auch ist, so bleibt doch die Frage offen, ob ein Werk, in dem eine verschlossene Tür eine so wichtige dramaturgische Rolle spielt, nicht doch eine kleine Spur Realistik in der Bühnengestaltung vertragen hätte. Der Regisseur Fritz Z e c h a ist den Beziehungen der einzelnen Figuren zueinander nachgegangen und hat auf diese Weise ein fesselndes, unkonventionelles, stets ein wenig tänzerisch aufgelockertes Spiel erreicht. Das Orchester musizierte unter Gustav C z e r n y sauber, aber manchmal ungraziös.

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