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Intellektuelle zuerst!

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Rom, im Februar 1957

Eine linksbürgerliche Zeitung brachte diese Karikatur: ein sinkendes Schiff — die Kommunistische Partei. Die Passagiere springen über Bord, um sich zu retten. Der Parteisekretär Togliatti auf der Kommandobrücke ruft: „Zuerst die Intellektuellen!” Die Karikatur kennzeichnet einen Tatbestand: die Flucht der intellektuellen Mitläufer aus dem Kommunismus Italiens. Sie wird jedoch nicht der echten moralischen Krise gerecht, in die viele Intellektuelle gestürzt sind, gerade jene, die sich einst aus einer instinktiven Liebe für die Niedrigen und Beleidigten zum Kommunismus bekannten und jetzt, durch die Tatsachen überzeugt, sich in ihrem aufrichtigen Enthusiasmus enttäuscht fühlen. Ein Bild dieser Krise des „fellow-travellers” des Kommunismus gibt uns eben das Buch des neapolitanischen Schriftstellers Domenico R e a, das unter dem Titel „Geständnisse eines Mitläufers” erschienen ist. Rea, der selbst Arbeiter war, ist allerdings schon vor den Ereignissen in Ungarn an seinem Glauben irre geworden. Als Mitarbeiter des kommunistischen „Paese-Sera” ist er nach Prag geschickt worden, und der sensible Neapolitaner spürte sofort die andere Luft: Nach der freien Heiterkeit Roms, nach dem bürgerlichen Wohlstand atmenden Zürich, die bleierne Eintönigkeit dieser Stadt mit ihren leeren Schaufenstern und schlechtgekleideten Menschen, wo niemand den Namen Franz Kafkas gehört hat und Dostojewskis „Schuld und Sühne” auf den Umfang eines Kolportageromans zusammengestrichen dem Leser angeboten wird. „Ich erkannte plötzlich, daß Kommunismus gleichbedeutend ist mit Düsterkeit und Elend. Ich fand, daß der Sozialismus seine Untertanen zu lange auf das versprochene Paradies warten läßt.”

Domenico Rea war einer jener Intellektuellen, die in der parteioffiziellen Deutung der ungarischen Tragödie eine Beleidigung der Vernunft sahen und in einem Brief an das Parteiorgan „Unitä” dagegen protestierten. Der Brief ist natürlich niemals veröffentlicht worden, und seither verschwand sein Name, wie andere auch, aus der Mitarbeiterliste der kommunistischen Presse. Wie Rea protestierte der Florentiner Schriftsteller Vasco Pratolini, der Verfasser sehr hekąnnt gewordener, auch verfilmter Roman , tiafüntef VChrd.rt’k der armen Geliebten”. Er wehrte sich gegen die Lüge, die Sowjets hätten in Ungarn intervenieren müss-n, um das Land von den konterrevolutionären Ennden zu retten. „Die sowjetische Intervention ist nicht nur eine schmerzliche Tatsache, sie ist eine Bekräftigung der tragischen Irrtümer des Regimes.” Und wie Pratolini wehrte sich der römische Maler und Dichter Carlo Levi, der auf den tiefen, inneren Widerspruch des russischen Vorgehens in Ungarn hinwies: die Revolution der ungarischen Arbeiterräte, der ungarischen Sowjets also, habe die russischen Sowjets nicht an ihrer Seite, sondern gegen sich gesehen. „Die Kanonen in Budapest feuerten auch gegen die Mauern Moskaus”, meint er. Die These des Verfassers von „Christus kam nur bis Eboli” ist sehr anfechtbar, zeugt aber von der grenzenlosen Verwirrung unter den kommunistischen Intellektuellen.

Weder Pratolini noch Levi sind aus der Partei ausgetreten; ebensowenig taten es die Regisseure Lizzani und De Santis — von diesem haben wir den Film „Bitterer Reis” gesehen — noch der Maler Renato Guttuso. Guttuso hat seine Haltung so gerechtfertigt: „Ich begreife die Gewissenskonflikte, aber was ich nicht begreife, ist, warum uns einige Parteifreunde gerade jetzt verlassen wollen, in der Stunde der Erneuerung, wo die Fehler korrigiert, der Dogmatismus und die Bürokratie überwunden werden sollen und der Beitrag aller freien Geister notwendig ist.” Der Maler sieht also alle Fehler, aber er hofft noch auf die Wirksamkeit der inneren Opposition, er glaubt an die Macht der „freien Geister” in der Partei. Das hält ihn und andere ab, die letzten Konsequenzen aus der Erkenntnis seines Irrtums zu ziehen.

Andere haben diesen Glauben verloren und die Konsequenzen gezogen: der Ma’er Purificato zum Beispiel, die Universitätsprofessoren Sa- pegna und Crisafulli, der Literaturkritiker Tom- batore. Sie sind die bekanntesten Fälle der öffentlichen Lossagung geworden. Aber viele Intellektuelle haben es vorgezogen, sich leise auf den Zehenspitzen zu entfernen; sie brauchen bloß die Mitgliedskarte nicht mehr abzuholen, die in Italien mit jedem Jahr erneuert werden muß.

Der große Auszug der Intellektuellen aus der Kommunistischen Partei vollzieht sich im allgemeinen unter Schweigen und ohne äußere Wirkungen. Die Partei hat ihnen nie so recht getraut und ihnen keine einflußreicheren Stellen übergeben. Togliatti ist, wenn man will, der, einzige Intellektuelle der KPI von’ Einfluß. Doch eigneten ‘sich die intellektuellen Schriftsteller, Maler und Regisseure wunderbar, um die Fassade des Kommunismus zu verschönern. Und diese Fassade bröckelt jetzt ab.

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