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Jubiläum am Stadtrand

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Direktor Leon Epp nannte in seiner Ansprache vor der 100. Premiere die Gastspiele des Volkstheaters in den Außenbezirken eine „in der Welt einzig dastehende Aktion“. Seit 1953 konnte einem breiten Publikum, das kaum einen Weg in die im Innern Wiens gelegenen Theater findet, ein repräsentativer Querschnitt durch österreichische und die ernste und heitere Weltdramatik geboten werden. Für die Jubiläumsinszenierung fiel die Wahl auf „Kapitän Brassbounds Bekehrung“ von Bernard Shaw. Eigentlich erweckt dieses nur in jahrzehntelangen Abständen auf die Bühne gelangende Gelegenheitsstück (das mehr Lustspiel als Komödie ist) mit seinen Seitenhieben auf die britische Kolonialherrschaft von einst und die Arroganz der englischen Aristokratie zunächst doch mehr typisch englische Heiterkeit. Die haarsträubende Geschichte von dem Lordoberrichter und seiner reisewütigen Schwägerin, die für einen Ausflug nach Marokko die Eskorte des heruntergekommenen Offiziers, Räuber- und Schmugglerkapitäns Brassbound (ausgerechnet eines Neffen des Oberrichters) annehmen, enthält Klippen einer Dia-

lektik kahler Witze, die es zu überwinden gilt. In Leon Epps Regie gelang das. Mit Recht stellte er in den Mittelpunkt die sonderbare Weltreisende und Bekehrerin Lady Cicely, die den gefährlichen männlichen Stolz mit ihrem gesunden Menschenverstand zu zügeln weiß und den Käpten von den starren Grundsätzen der „Gerechtigkeit“ kuriert. Sie tut das nicht durch moralische Vorhaltungen, sondern durch eine die Gewalt ihrer Macht beraubende Liebenswürdigkeit, die von allen Menschen — Predigern, Banditen und Berbern gleichermaßen — findet, sie hätten „so nette Gesichter“; die ihnen allen die Hand reicht, wenn auch reichlich zerlumpte und zweifelhafte Existenzen darunter sind. Wobei Shaw, der ja ein gründlicher Moralist war, seiner Lady auch Gelegenheit gibt, ihrer eigenen Angstlosigkeit auf den Grund zu gehen: auf dem Grund nämlich liegt die Freiheit von der Selbstsucht.

Julia Gschnitzer spielt die aus Vorurteilslosigkeit, Witz und schwer definierbarer Sicherheit des Wesens zusammengesetzte Lady voll natürlichem Charme, dem man den Sieg über den männlichen Geist wohl glaubt. Ihr zur Seite die beiden Gegenspieler: Hanns Kraßnitzer als rachedurstiger Brassbound, eine gewisse männliche Überlegenheit nicht durch poltrige Lautstärke verdeckend, und Egon Jordan, ein Sir Harward mit Humor und so viel Anstand, als die Rolle es erlaubt. Um sie herum das bunte Geschehen unter Freibeutern und Arabern (Hans Weicker, Albert Rolant, Friedrich Jores, Heinrich Trimbur, um nur einige zu nennen). Benno Smytt gibt den Prediger, Herbert Probst einen köstlichen Schlichtungskapitän aus Amerika. Das Publikum zeigte sich recht beifallsfreudig. Trotz allem bedauert man ein wenig die Stückwahl: ob ein Nestroy oder ein anderer österreichischer Klassiker zum Jubelanlaß nicht besser gepaßt hätte?

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