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Im Herbst 1947 kehrte der Währinger Alfred J. Ellinger, nach siebenjähriger Abwesenheit, als Dreißigjähriger aus der russischen Kriegsgefangenschaft in seine Heimat zurück. Während des Frankreichfeldzuges hatte er für seinen Vater, der aus Südmähren stammte, „Südmährische Erzählungen“ verfaßt. In den russichen Lagern hatte er den „Postmeister“ und die „Zigeuner“ von Puschkin dramatisiert und mit seinen Mitgefangenen aufgeführt und zu Weihnachten, weil ein Weihnachtsspiel verboten war, das Schneewittchen in Szene gesetzt Die Musik schrieb ihm dazu sein mitgefangener Kamerad, der österreichische Mundartforscher Dr. Franz Roitinger. Sollte er die Gefangenschaft glücklich überleben, so würde er in all seinem Dichten künftig dem Herrgott die Ehre gelben; so hatte er es sich vorgenommen.

Im Sommer 1948 konnte Ellinger bereits mit einer wie aus dem Boden gestampften Laienspielgruppe zu St. Leopold, Klosterneuburg, sein „Spier vom Laienchristen“ aufführen. Und zu Weihnachten 1948 gab es auch schon ein Hirtenspiel, das in St. Othmar (Mödling) in Szene ging. Ein Vierteljahr später folgte „Der Herr in Schwarz“ nach der biblischen Erzählung vom „Reichen Prasser und vom armen Lazarus“ in St. Canisius, Wien: Kein schlechter Anfang für einen jungen Dichter, dessen Familie stetig wuchs und der sich nach all den Jahren des Krieges erst eine bürgerliche Existenz schaffen mußte!

Da waren mehrere Dinge in seinem Leben: ein großes Gottvertrauen, ein echt wienerisches Mundwerk, ein dramatisches Urtalent und eine unbändige Liebe zur Kunst. Die alte Tradition des Laienspiels schrieb zwar Volksverbundenheit vor. Aber das, was sich nunmehr Bahn brach, war mehr: ein Dichten in der „niedrigsten“ Sprache des Volkes, im urwüchsigsten Dialekt. Fast jedes Jahr gab es ein neues Spiel, fast jedes Jahr wurde auch eine der überkommenen Fesseln abgeworfen: die traditionelle gehobene Sprache des Spiels, der Reim, der vierhebige Vers, der festtäglich gestimmte Ernst. Alles auf einmal geht nicht und sollte auch nicht sein. Aus dem Hirtenspiel wurde ein vielbegehrtes mundartliches Weihnachtsspiel — gelegentlich wegen zu großer Derbheit von provinziellen Kaplänen zurückgewiesen. Inzwischen hat man aber wohl bis ins letzte Dorf erkannt, daß der wahre Feind der Kirche nicht im urwüchsigen Wort verborgen lauert. Zwischendurch wurde eine nieder-österreichische Bauernmundart gewählt und das durch den Alkoholteufel in einem ländlichen Gasthof heranwachsende Luderleben in der „Wirtschaft auf Kohlreit“ recht lebhaft geschildert. Komödienhaftes dringt hier erstmals deutlich an die Oberfläche. Im Legendenspiel „Veronika und die Schacher“ wird zwar wieder eine biblische Legende verdichtet, aber in Wiener Mundartprosa.

Von Jahr zu Jahr werden die Stücke leichter und entledigen sich allen herkömmlichen Ballastes, um in Wort und Gedanken noch tiefer zu werden. Ellinger und die Seinen spielen gewöhnlich vor Kirchen. So wird die Kirche eben in die Handlung einbezogen. Sei es nun in „Zwei Spitzbuben und eine Dame“, wo zwei Gauner ein geschnitztes Muttergottesbild stehlen wollen, aber durch die himmlische Frau selbst, die sie in Gestalt eines jungen Mädchens nasführt, wieder rechtschaffen werden. Sei es in den „Sieben Hauptsünden von Hernais, geschnitzt, bemalen und springlebendig“, wie der Untertitel von „Diakon VIII.“ heißt. An Hand der geplanten Restaurierung der barok-ken Gemälde ergibt sich ein abrahamisches Ungewitter gegen Neid, Hoff art, Geiz und Zorn...

Das Mysterienspiel ist durch Ellinger längst zur Satire geworden. 1800 Aufführungen wurden in 25 Jahren bewältigt — um Gottes Lohn. Denn Literaturpreise sind nicht für diese Menschenart geschaffen worden. Noch viel liegt in der Ellinger-schen Schreibtischlade in Gersthof. Auch ein Drama um den § 144: „Vor Mitternacht“. Die wenigsten dieser Stücke wurden gedruckt — sie sind ja zum Spielen .da, Solange es einen so leidenschaftlichen Darsteller wie es das Haupt der Stern-singer ist, eben gibt... Auch eine dramatische Novelle wartet auf den Druck: „Stolze Wiener“. Da erstehen die dreißiger Jahre und der Krieg, nicht irgendwo, sondern in Lichtental, auf der Heiligenstädterstraße, im Karl-Marx-Hof und im Wertheimsteinpark.

„Die Sternsinger“ sind mit 25 Jahren ihres Bestandes noch zu jung, um beachtet zu werden — nicht vom dankbaren Publikum der Pfarren — sondern von der öffentlichen Literaturkritik: „Merk d'rs, je älter daß d'wirst, um so mehr Chancen, daß di bemerken, freilich, je früher daß d'stirbst, desto berühmter kannst wer'n.“

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