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Klassische Prosa

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Frank T h i e ß’ „D as Reich der Dämp- n e n", dieser seltsame „Roman" eines Jahrtausends, dessen große Zusammenschau mit allen Tugenden und Untugenden (die Schiefheiten in dem Blick auf Christus und Christentum wurden vor drei Jahren in der „Furche" bei aller Achtung vor dem imposanten Gesamtwerk ausführlich aufgezeigt) dauern wird, liegt nun in einer der Jubiläumsausgaben des Paul Zsolnay Verlags, Hamburg (1954, 75. Tausend, 670 Seiten, S 59.—) vor.

Eine schöne Neuausgabe von Selma Lagerlöfs „G östa Berlin g" präsentiert der Volksbuchverlag Wien in der Uebertragurig von Ulrich Johannsen (1954, 387 Seiten, S 48.—). Ein Roman, in dem ein Dutzend Romane stecken, die dichteste und bedeutendste Aussage, die in diesem Jahrhundert von einem Land und seinen Leuten gemacht worden ist. Ihre Nachfolge ist unübersehbar. Eine der würdigsten ist Hildur Dixelius’ 24 Jahre alter Roman „Sara Alelia" (Biederstein- Verlag, München 1954, 80. Tausend, 356 Seiten, DM 5.80). die Geschichte der Schuld und Sühne einer starken, gläubigen Frau, deren Schicksal sich in den nächsten beiden Generationen wiederholt und vollendet. Der großartige Aufriß der Land schaft und die pralle Fülle der Haupt- und Nebenfiguren rückt den Roman der Dixelius sehr nahe an das Werk der Undset und Lagerlöf heran.

Dino Buzzatis Roman „D ie Festung" (Biederstein-Verlag, München 1954, 328 Seiten), im Original „Die Tatarenwüste", ist eine menschliche Tragödie unerfüllter Träume, unerfüllten Lebens, dem die Insassen einer Grenzfestung immer einen geheimnisvollen Sinn unterlegen wollen. Der Held stirbt in einem ganz unmilitärischen Sieg — lächelnd nach einem jahrzehntelang leeren und traurigen Dasein. Eine Dichtung im Halbdunkel existentieller Fragen und Antwortlosigkeiten von romanischer Strenge und Schönheit.

Im reichen, weitverstreiten Werk Ruth Schaumanns stellt die Erzählung „D i e Geheimnisse um Vater Titus" (Verlag Butzau und Bercker, Kevelaer, 148 Seiten) eine der reinsten poetischen Gaben für die Jugend dar. Das lyrische „Einschiebsel": „Das glückselige Lied" allein verbürgt das lange Leben des Buches.

Jean Cocteaus Roman „Thomas, der Schwindler" (Verlag Kurt Desch, Wien- München-Basel, 203 Seiten) ist 31 Jahre alt. Er ist, obwohl noch deutlich dem fragwürdigen Dasein der ersten Weltkriegsnachzeit zugehörig, doch schon ein typischer, skurriler, spielerischer Cocteau; Geschichte eines jungen „Köpenik", der im Krieg von seinem eigenen Abenteuer überwältigt wird und den Tod, den Spielverderber, gleichsam mit erstaunten Augen empfängt: ,.,Eine Kugel’, dachte er. ,Ich bin verloren, wenn ich mich nicht totstelle.’ Aber Wahn und Wirklichkeit waren nur noch eines in ihm. Guillaume Thomas war tot." Ein Werkchen, das zum Werk Cocteaus gehört.

Werden Leo Slezaks Lebensbücher dauern? Ich glaube, ja. Denn hinter der Harlekinade steckt ein reiches, vitales, hart erkämpftes und behauptetes Künstlerleben, und die karikaturistischen Porträts der Zeitgenossen stellen eine gültige Prominentengalerie des Säkulums da’r. „M ein Lebensmärchen" (Von Leo Slezak. Mit 42 Zeichnungen von Franziska Bilek. R. Piper & Co. Verlag, München, 238 Seiten) ist der Schwanengesang. In die heiteren Klänge fallen schon schärfere, zeitkritische und wehmütige, todesnahe. Das Werk wurde bereits seiner Tochter Margarete diktiert; ihre Redaktion verrät Takt und Geschmack, Herz und Verstand. Die Olafzeichnung am Schlüsse —- der mächtige Körper Slezaks, am Tisch zusammengesunken, daneben ein Bleistift, der dem Sterbenden entfallen — ist ein Requiem von großartiger Wortkargheit. Dr. Roman Herle

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Arme, schöne Kaiserin. Elisabeth von Oesterreich. Roman von Erwin H. Rainalter. Paul Zsolnay Verlag, Hamburg. 389 Seiten.

Egon Cortis durch seine Kaiserin-Elisabeth- Biographie, das erste dokumentarisch fundierte und kaum zu überholende Werk über diese vorher nur durch Legenden bekannte Persönlichkeit, erzielter Erfolg hat seither einige Schriftsteller nicht ruhen lassen, die wie Erwin H. Rainalter nichts Neues zu bringen vermochten, da alle in Betracht kommenden Archive und seriösen Bücher durch den jüngst verstorbenen Historiker ausgeschöpft worden waren. Durch den Umstand, daß Erwin H. Rainalter sein Buch als Roman bezeichnet, ergibt sich ein Widerspruch daraus, daß er acht Werke als Quellen angibt, um seine Angaben und Behauptungen glaubwürdig zu machen. Er, ahnt aber hierbei nicht, wie gefährlich es ist, kritiklos ausgewählte Unterlagen zu zitieren, die im vorhinein auf den historischen Wert einen Schluß ziehen lassen. Als unbedingt verläßliche Werke sind von den angeführten, außer Cortis Biographie der Kaiserin, die einzige seriöse Lebensgeschichte des Kronprinzen Rudolf aus der Feder Oskar von Mitis’ und allenfalls Josef Red- lichs für den Geschmack des amerikanischen Publikums präpariertes Buch über Kaiser Franz Joseph. Neben Viktor Bibis einigermaßen pam- phletärem Kronprinzenbuch und Karl Tschuppiks romanhafter Schrift über Kaiserin Elisabeth, steht auf der Liste noch das gehässige, gänzlich dilet-tantische Elaborat des ehemaligen Sekretärs der französischen Botschaft in Wien, Saint-Aulaire, und schließlich Joachim von Kürenbergs gänzlich unverläßliches Buch über Katharina Schratt.

Die dichterische Freiheit, auf die sich Romanschriftsteller, Dramatiker und Filmautoren so häufig berufen, darf nicht so weit mißbraucht werden, daß Charakterbilder zu Karikaturen werden, bei der Beurteilung historischer Persönlichkeiten und Geschehnisse den Anschauungen und Gepflogenheiten vergangener Zeiten und der verschiedenen Länder nicht Rechnung getragen und bei Gegensätzen aller Art zwischen Staaten und

Einzelpersonen das „audiatur et altera pars" als oberste Maxime außer acht gelassen werde. Doch auf keinen Fall kann die so häufig aufgestellte Behauptung widerspruchslos hingenommen werden: „Der Dichter hat immer recht." Dichtung und Historik sind inkompatible Gegensätze, denn Dichtung ist, außer in Märchen und Legenden, die Darstellung des Möglichen und Wahrscheinlichen, die Historik hingegen die Feststellung und Schilderung von Tatsachen nach bestem Wissen und Gewissen, die weit öfter die Wahrheit zum Durchbruch bringt, als es so manche Laien annehmen.

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