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Komponierte Melancholie
ALBAN BERG. Der Meister des kleinsten Ubergrangs. Von Theodor W. Adorno. Verlag Elisabeth Lafite, Wien, österreichischer Bundesverlag, Wien. 144 Seiten.
ALBAN BERG. Der Meister des kleinsten Ubergrangs. Von Theodor W. Adorno. Verlag Elisabeth Lafite, Wien, österreichischer Bundesverlag, Wien. 144 Seiten.
In der Reihe „österreichische Komponisten des XX. Jahrhunderts“ stellt der vollliegende 15. Band, sowohl seinem Gegenstand wie seinem Autor nach, einen Höhepunkt dar. Uber Wert und Bedeutung von Alban Bergs Oeuvre braucht wohl nichts Allgemeines mehr gesagt zu werden. Der bekannte Frankfurter Philosoph, Soziologe und Musikologe Prof. Dr. Theodor W. Adorno war vor mehr als 40 Jahren Bergs Schüler und hat nicht nur dem Werk Bergs durch alle die Peripetien dieser Jahrzehnte die Treue gehalten, sondern auch der menschlichen Person seines Lehrers stets in Ehrfurcht und Liebe gedacht — in ehrfürchtiger Liebe, die den klaren Blick des Analytikers nicht zu trüben braucht
In acht seiner früheren Bücher ist Adorno ausführlich auf Bergs Werk eingegamgen, in weiteren fünf Artikeln und Vorträgen hat er Sich deutend mit dem Phänomen Barg beschäftigt. Bereits am dem ersten, zwei Jahre nach Bergs Tod erschienenen Erinnerungsbuch hat er mit- gearbeitet, und nun lagt er eine monographische Studie, um vielerlei bereichert, in einem bedeutenden Band vor. Nachdem 1957 H. F. Red- lichs „Versuch einer Würdigung“ und 1963 Willi Reichs Berg-Monographie (Leben und Werk) erschienen ist, kann Adorno sich dar Aufgabe entschlafen, die Biographie Bergs von der Wiege bis zur Bahre nachzu- zeichinem und sein Werk von den sieben frühen Uedem bis zum Violinkonzert zu analysieren. Bei aller Brillanz und Einsicht, welche die Erläuterungen von zwölf ausgesuchten Werken Bergs aiuszedchnen, gibt Adorno hier sein unverwechselbar Persönlichstes in den Eingangskapiteln „Ton“ und „Erinnerung“, die zu einem nostalgischen Erinnerungsakkord zusammenklingen.
Charakteristisch für Berg scheinen Adorno die Atomisierung und die Integration des musikalischen Materials, die sich entsprechen. Das Verneinende, Verschwindende, das eigene Dasein Widerrufende ist das Gesetz, nach dem Bergs Musik sich fügt. Ihm entspricht die aus Zartheit, Nihilismus und Vertrauen ins Hinfällige gemischte „Stimmung“, die nicht nur Bergs Musik, sondern auch sein Leben beherrscht, jene Kompli- zität mit dem Tode, von der Thomas Mann so oft spricht, jene urbane Freundlichkeit fürs eigene Verlöschen. Bel Berg ist diese Grund- stimmumg, ebenso wie die Verschränkung von Skepsis und Katholizität, auch lokal bedingt. Mit Radmunds „Verschwender“ und mit Schubert hat Bergs Musik nicht nur diese melancholische Grundstimmung gemein, sondern sie spricht auch, bei aller Avanciertheit und Differenziertheit ihrer kompositorischen Struktur, „Dialekt“, und zwar den wienerischen: nicht nur an der sehr ohrenfälligen und immer wieder zitierten Stelle im Violinkonzert, sondern auch im „Wozzeck“ und in mehreren Instrumantalwerken.
Jede auf der Halbtontechnik basierende Melodik und Harmonik zeigt die Tendenz zum Amorphen, so bei Reger, Skrjabin und Szymanowski. Vor der Monotonie des Chromas bewahrt Berg ein eminenter Sinn für syntaktische Gliede rung und die Fähigkeit zu genauer plastischer Gestaltung. — Wie ihm anderseits alles Insistieren fremd ist, zeigt Bergs „Ton“, im Unterschied zu dem Wagners etwa, keinerlei Tendenz zur „Selbstverherrlichung“. — Aus dem Kreis um Schönberg war Berg der am wenigsten .harte“. Das dankt er seiner Toleranz gegenüber dem Gewesenen, das er „durchläßt“, aber nicht buchstäblich, sondern wiederkehrend wie im Traum oder in unwillkürlicher Erinnerung. „Keine Musik aus unserer Zeit“, so resümiert Adorno, „war so menschlich wie die seine; das rückt sie den Menschen fern“ — und bringt sie ihnen, möchte man hinzufügen, doch wieder so nah...
Aus der Erinnerung zeichnet Adorno auch das Bild des Menschen Berg. Obwohl sein Vater über Nürnberg aus Bayern eingewandert war, empfand sich Berg durchaus als Wiener — und war es auch. Andere Städte schienen ihm provinziell, Norddeutsches erheiternd. Stolz und
Schüchternheit, Ironie und ein latentes Selbstvertrauen hielten sich die Waage. Im Inneren war er unangreifbar, aber das Meß er äußeriich nicht merken. Seine Konzalianz hat mit den Mächtigsten dieser Welt nie paktiert, hingegen konnte er auf periphere Bekanntschaften freundlich und dankbar edngehen und auch provinzielle Geistes- und Kunstprodukte gutmütig loben. Kleinen alltäglichen Genüssen war er sehr zugetan: das war gewissermaßen das Reversbild seines metaphysischen Pessimismus. „Er wünschte viel, hoffte nichts, hatte daher wenig zu verlieren.“ „Berg hat die Negativität der Welt mit der Hoffnungslosigkeit eines Pessimismus unterboten." Seine Seibstdnonie und Skepsis wurde im Werk als geduldige Selbstkritik fruchtbar. Als Künstler mochte er auf nichts verzichten, und es gelang ihm wie kaum einem anderen vor ihm, den Schock des Chaotischen mit dem Rausch des Klingens, das autobiographische Geheimnis mit durchgeplanter Architektur zu vereinigen.
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