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Welt, durch den Türspalt gesehen

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Die Ausstellung neuer Werke (aus den Jahren 1950 bis 1956) von Werner Berg in der Oester-reichischrn Galerie im Oberen Belvedere ist ein Kunstereignis ersten Ranges.

Drei Maler deutschen Ursprungs sind heute aus der österreichischen Malerei nicht mehr wegzudenken: Werner Scholz, Werner Berg, Anton Mahringer. Alle drei suchten vor Jahrzehnten die Einsamkeit der Bergwelt und fanden in den österreichischen Alpen eine neue Heimat: Werner Scholz in Alpbach in Tirol, Werner“ Berg auf dem Rutarhof bei Gallizien, Kärnten, und Anton Mahringer in St. Georgen im Gailtal.

„Es sind nun 25 Jahre her. seit Werner Berg, im Familienverbande zwar, aber trotzdem ein Einsiedler, im Umgang mit der wortkargen windischen bäuerlichen Bevölkerung und in wahrer Verbundenheit mit ihrem Brauchtum seiner künstlerischen Berufung lebt. Diesem Silberjubiläum gilt die Ausstellung seiner neuen Werke“, schreibt Prof. Garzarolli-Thurnlackh, dem diese Ausstellung von über 50 Arbeiten (33 Gemälden und 20 Holzschnitten) des heute 52jährigen Künstlers zu danken ist, im Katalogvorwort.

Werner Berg kommt vom Expressionismus, Edward Münch und Emil Nolde haben seinen Ausgangspunkt bestimmt. Seine Werke sind ein Urbeispiel für das, was in der Stilgeschichte .Ausdruckskunst“ genannt wird. Genauer als mit dem lehr allgemeinen Begriff Expressionismus kann man sie vielleicht — nicht zuletzt wegen ihrer Flächenhaftigkeit — als Fauvismus bezeichnen. Es ist ein bäuerischer Fauvismus, ordinärer und originärer als der vielfach zum Verspielt-Dekorativen tendierende Fauvismus französischer Prägung. — Genug der Stilbezeichnungen. Sie sagen wenig über die Bedeutung dieses Werkes.

Werner Bergs Kunst kommt, wie jede Kunst, aus dem Leben. Sie ist Begegnung mit der Wirklichkeit, der wir alle standhalten müssen. Dinge, die ein Leben lang gesehen wurden, deren Form und Substanz vom Künstler in sich eingesogen wurden, werden in diesen Bildern zu klarer Gestalt, zu fester Figur. Die Bilder werden aus großen Flächen und starken, lauten Farben komponiert. Das Eigenartige, vielleicht sogar Einzigartige an ihnen ist ihre Perspektive, die durch einen neuen Blickpunkt des Betrachters bestimmt wird. Es ist, als stände dieser außerhalb der Bildwirklichkeit, die er betrachtet. Es ist, als öffnete man ihm die Tür einen Spaltbreit und sagte zu ihm: schau, dies ist die Welt.

Alle Bilder bewahren die alte Einheit von Raum und Zeit, erfassen einen bestimmten Augenblick, eine Atmosphäre, eine Stimmung. Manchmal wird die Stimmung durch den Ausdruck der Menschen bestimmt, manchmal durch die Natur, Bäume und Himmel. Dieser Augenblick, in dem wir die Menschen Bergs — mißtrauische, undurchschaubare Landleute mit verkniffenen Augen — sehen, ist kein zufälliger. Das ganze Leben, das ganze Schicksal dieser Menschen, etwa der hingehockten Bäuerinnen inmitten der Grabblumen, ist in ihm anwesend. Es scheint gleichgültig, in welchem Augenblick, in welcher Atmosphäre wir diese Menschen überraschen: sie sind zur Gestalt geworden, die ihr ganzes Wesen umschließt. Selbst die Rückansicht eines solchen Gestalt gewordenen Menschen ver mittelt uns noch den Eindruck seines Charakters,

Werner Bergs Kunst ist, wie jede Kunst, unliterarisch. Es fehlt ihr das Anekdotenhafte, das Allegorische, die Pointe. Seine Kunst ist Wirklichkeitskunst, ist verdichtete Wirklichkeit. Er ist ein großer Vereinfacher in der Malerei, wie Ernest Hemingway ein Vereinfacher in der Literatur ist. Noch etwas hat Berg mit Hemingway gemeinsam: die Liebe zur Welt, zur Natur, zu den Menschen. Ein eigener Menschenschlag, die Windischen, werden uns durch Bergs Bilder nahegebracht. Er zeigt die Menschen in ihrem Elen^ in ihrer Armseligkeit, in ihrer Schwäche.

Er meidet jede falsche Idealisierung. Und dadurch gewinnen seine Menschen Bedeutung und Leben. Erst wenn wir die Grenzen des Menschen kennen, kennen wir seine Größe. Erst wenn wir das Elend des Menschen kennen, kennen wir seine Würde.

Die Bilder Werner Bergs sind von inniger Zartheit, aber es ist die Zartheit eines Riesen oder eines Bären, die um so stärker wirkt, weil sie in Wahrheit verhaltene Kraft ist.

Viele der Bilder haben eigenartige, sehr schmale Formate, so „Rutarhof, Februarabend“ (120 cm hoch, 40 cm breit), oder „Schlittenfahrt vor Tag“ (100:60 cm), die zu den schönsten gehören. Das verstärkt noch den .Eindruck, den die Perspektive vermittelt, und der auch von den Holzschnitten ausgeht: daß da eine Welt vor uns liegt, die wir durch einen Türspalt betrachten dürfen. Und bewundern.

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