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Kugeln für die Panther

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Im gleichen Heft, dessen Titelbild das liberale US-Magazin „Newsweek“ den Black Panthers widmete, wendete sich Panam nicht nur an weiße, sondern auch an schwarze Kunden. Auf dem Breitphoto eines Jumbo-Innenraumes waren unter 23 hinsichtlich ihrer Rassenzugehörigkeit halbwegs eindeutig identifizierbaren Personen zwei, wenn nich* drei Schwarze zu erkennen.

Vor wenigen Jahren noch wäre ein solches Werbebild überhaupt undenkbar gewesen. Aber auch heute würde kein weißer Optimist und kein schwarzer, auf friedliche Integration in die weiße Gesellschaft drängender „Onkel Tom“ behaupten, es spiegle echte Realität. Denn die Neger, die rund zehn Prozent der amerikanischen Bevölkerung stellen, sind in den Unterschichten der sozialen Pyramide eindeutig über-, und in den mittleren und oberen, mit dem Flugzeug reisenden Schichten kraß unterrepräsentiert. In einzelnen Bereichen ging der Integrationsgrad in den letzten Jahren sogar zurück. Je mehr der Wohlstand der weißen Gesellschaft wuchs, desto drückender wurde das Leben in den schwarzen Gettos.

Was die Menschen dort psychisch deformiert, ist das Bewußtsein, von der weißen Umwelt zur Rolle eines ewigen Zweiten verurteilt zu sein. Ist die fehlende Achtung durch diese Umwelt. Ist der Haß, der ihnen von jener Autorität entgegenschlägt, auf die sie am häufigsten treffen: der Polizei. Ist der Bruch im Selbstbewußtsein und das Bewußtsein dieses Bruches.

In Oakländ (20 Prozent schwarze Bevölkerung, drei bis vier Prozent schwarze Polizisten) benahm sich die weiße Polizei lange am brutalsten. Dort enstand auch die bisher radikalste schwarze Antwort auf die weiße Unterdrückung: , die Partei der schwarzen Panther, die von Frantz Fanon abgeleitete Ideologie eines durch das weiße Amerika als Kolonialvolk behandelten schwarzen Amerika und einer schwarzen Gegengewalt.

Am Anfang stand ein Ritual zur Kompensation kollektiven Ohnmachtgefühls und zur Demonstration schwarzer Gleichwertigkeit in der Konfrontation mit weißer Polizei. Huey Newton, der Gründer der Panther Party, studierte die Gesetze und bewaffnete seine Anhänger streng legal.

Im Herbst 1966 kommt es vor dem Pantherlokal in der Grove street von Oakland zur ersten Konfrontation. Ein Streifenpolizist sichtet eine Gruppe, bewaffneter Neger und ruft Verstärkung. Zwei Panther besteigen bewaffnet einen Wagen und warten ab. Der Polizist will Newtons Führerschein sehen. Newton reicht ihn durch das zwei Fingerbreiten herabgekurbelte Fenster. Zu mehr ist er nicht verpflichtet.

Der Polizist fragt: „Was machen Sie mit den Waffen?“

Newton antwortet: „Was machen Sie mit Ihrer Waffe?“

Drei weitere Polizeifahrzeuge treffen ein. Newton verläßt den Wagen. Ein kalifornisches Gesetz verbietet das Mitführen geladener Gewehre im Auto, gestattet aber das Tragen auf der Straße. Newton steigt aus und schiebt eine Patrone in die Kammer seiner halbautomatischen Flinte. Die Polizisten wollen die Menschenmenge vertreiben, die sich angesammelt hat Newton erklärt ihnen, daß sie das Recht haben, Amtshandlungen zu verfolgen. Sie werden trotzdem fortgetrieben. Newton schickt sie in sein Parteilokal, in dem die Polizei keinerlei Autorität besitzt. Die Polizisten behaupten, daß er „irgendwie das Gesetz verdreht“, denn es ist für sie undenkbar, daß das für Weiße selbstverständliche Recht zum Waffentragen auch für die Schwarzen gelten soll. Sie wollen wissen, wozu die Waffen bestimmt sind. Newton ist auf Grund der Gesetzeslage zu keinen Auskünften verpflichtet. Er sagt: „Wenn Sie auf mich schießen oder mir das Gewehr wegnehmen wollen, werde ich auf Sie schießen.“

Kern lautes Wort fällt. Die Black Panthers im Wagen bleiben ruhig und diszipliniert. Die Polizisten ziehen ab. Der weiße Journalist Gene Marine, dessen Buch „Black Panthers“ kürzlich deutsch erschien (Wegner-Verlag, Paperback), hat die Szene so interpretiert: „Das Gettovolk erlebte hier, was es noch nicht gesehen hatte. Schwarze Männer, stolz, würdevoll, wagten es, dem Polizisten auf gleicher Ebene gegenüberzutreten und es mit ihm aufzunehmen. Weißen, die nicht wissen, welcher Behandlung schwarze Amerikaner im Getto täglich ausgesetzt sind, muß dieser Vorfall reichlich kindisch vorkommen: Kleine Jungen spielen den starken Mann und haben dazu .richtige' Gewehre. Doch man bedenke, daß in jedem Getto Amerikas, solange sich einer seiner Bewohner zurückerinnern kann, immer der weiße Polizist der starke Mann gewesen ist und daß sein .richtiges' Gewehr immer dabei und immer vom Gesetz zugelassen war, daß der schwarze Mann, ob er wollte oder nicht,. es immer hinnehmen mußte, mit .Nigger', ,Boy' oder einfach ,He, du da!' in dem entsprechend verächtlichen Ton angeredet zu werden. Und der schwarze Mann weiß nur zu gut, was die schwarze Frau erdulden mußte, ohne daß er, ihr Ehemann, ihr Sohn, ihr Geliebter, irgend etwas dagegen tun konnte.“ Jeder Panther muß Newtons „erste Rechtshilfe“ (13 Punkte über die Rechte jedes Bürgers) auswendig-lernen. Bei einer Verhaftung hat man sich ruhig zu verhalten, was selten gelingt. Wenn man betrunken ist oder unter Drogen steht, was während der Parteiarbeit verboten ist, darf man keine Waffe bei sich haben.

In schwarzen Jacken und blau-grauen Pullovern, mit schwarzen Baskenmützen und ostentativ zur Schau gestellten Gewehren, beschatten die Panther die Polizisten während ihren Streifenfahrten in den Gettos. Amtshandlungen werden „aus angemessener Entfernung“ beobachtet. Die Polizei“ läßt ihrerseits die Panther nicht aus den Augen. Das kleinste Vergehen, die unbedeutendste Verkehrsübertretung wird zum Anlaß genommen, Panther zu verhaften und so lange wie möglich in Haft zu behalten.

Damals hingen Photos der Pantherführer in jedem Polizeirevier und jeder Streifenpolizist kannte die Nummern ihrer Fahrzeuge. Doch die Ubergriffe weißer Polizisten in den schwarzen Vierteln, das mutwillige und entwürdigende Durchsuchen harmloser Passanten, das ungesetzliche Eindringen in Wohnungen, das Beschimpfen schwarzer Frauen, das Zuschlagen beim geringsten Anlaß — das wurde seltener.

Die Schußwaffe ist nicht nur Attribut amerikanischer Männlichkeit und das Symbol weißer Übermacht über das schwarze Amerika. Weiße Amerikaner haben mit ihr auch ungezählte schwarze Amerikaner getötet. Die Hysterie, mit der das weiße Amerika, auf die schwarze Bewaffnung reagierte, ist ein Beweis für die nachtwandlerische Sicherheit, mit der Huey Newton nach dem emotionsgeladensten Symbol gegriffen hat.

Ein Sheriff-Stellvertreter erschießt in Richmond den hüftleidenden, 22 Jahre alten Neger Denzil Dowell, in dessen Polizeiakten neben geringfügigen Vergehen ausdrücklich vermerkt ist, daß er Polizisten nicht immer mit „Sir“ anspricht. Die Polizei behauptet, Powell sei beim Einsteigen in ein Gebäude erschossen worden. Die Panther bringen Beweismaterial, aus dem hervorgeht, daß er die Arme hoch erhoben hielt, als er erschossen wurde. Sie fordern eine Untersuchung, aber ohne Erfolg. Die Panther entwickeln eine Mystik der Schußwaffe und der Gewalt. Das weiße Amerika fragt nicht lange, ob alles so gemeint war, wie es gesagt wurde. Es nimmt sie beim Wort. Die weiße Presse berichtete lange Zeit über ihre Zielsetzungen ebenso verzerrt wie über ihre Aktionen. Es war meist nicht böser Wille die Ursache, sondern Gedankenlosigkeit in Verbindung mit verdrehten, von der Polizei lancierten Informationen.

Die Polizei hat den Panthern den Krieg erklärt. In diesem Krieg fielen insgesamt vier weiße Polizisten, aber allein in den letzten beiden Jahren 28 Panther. Rund hundert sitzen im Gefängnis, oft auf Grund völlig vager, aus der Luft gegriffener Verdachtsmomente. Viele Gerichte fordern von Panthern wesentlich höhere Kautionen als von Mitgliedern der Mafia (bis zu 200.000 Dollar!). Gegen hunderte Panther schweben Anklagen.

Der Krieg begann im Oktober 1967. Der erste Tote in diesem Krieg, der als Negerhasser berüchtigte Polizist John Frey, war keine Zierde für seinen Berufsstand. Ein Weißer, der wie ein Neger aussah und mit Frey zwei Tage vor dessen Tod in eine Auseinandersetzung geriet, sagte zu ihm: „Sie benehmen sich wie die Gestapo!“ Frey lockerte die Pistole im Halfter und antwortete: „Ich bin die Gestapo.“ Am Tag seines Todes beschimpfte er grundlos einen jungen Neger als „Strichjungen“ und „Nigger“ und hielt ihn fest, während er von einem anderen Weißen geschlagen wurde. Zu Huey Newton, der mit dem Gesetzbuch in der Hand gegen ihn argumentierte, sagte er: „Du kannst dir das Gesetzbuch in den A ... stecken, Nigger.“

Kurze Zeit später war Frey tot. Newton wurde schuldig befundenen getötet zu haben. Er sitzt im Gefängnis von Alameda County, obwohl es so gut wie keine Schuldbeweise gab und vieles darauf hindeutet, daß er unschuldig ist. Das Gericht überging, wie so oft in Prozessen gegen Schwarze, alles, was den Angeklagten entlasten konnte. An dem Tag, an dem Frey erschossen wurde, tötete ein anderer Polizist in Palo Alto einen siebzigjährigen Neger durch einen Schuß in den Rücken. An dem Tag, an dem Huey Newton verurteilt wurde, wurde ein Pantherlokal aus einem Polizeifahrzeug von Schüssen durchsiebt. Die Polizei geht bei ihrem Kampf gegen die Panther so unbarmherzig . vor, daß sie einen bedeutenden Teil des liberalen weißen Amerika auf. die Seite der Panthers brachte. In Watts wurde der Schwarze Richard Bishey von hinten erschossen, als er einer polizeilichen ■ Aufforderung, weiterzugehen, nachkam. Er lebte noch, als er in das nächste Polizeirevier gebracht wurde, aber der Diensthabende sagte lakonisch: „Für Nigger wird's heute abend keine Krankenwagen geben.“ Bishey starb auf dem Fußboden der Polizeistation.

In Newark zerschossen Unbekannte aus einem Wagen heraus ein Panther-Büro.

In Brooklyn drosch nach einer gerichtlichen Vorverhandlung gegen Black Panthers eine Übermacht stämmiger, weißer „Zuschauer“ mit Bürstenhaarschnitt die schwarzen Zuhörer zusammen. Sie benützten Polizeiknüppel. Die uniformierten Poüzisten sahen tatenlos zu. In Los Angeles erklärten Polizisten der Familie eines Panthers, dessen Bruder bei einem Feuergefecht mit der Polizei ums Leben gekommen war: „Wenn wir ihn bloß sehen, legen wir ihn um.“ ■ • In Chicago stürmte Polizei im Morgengrauen die Wohnung zweier Pantherführer. Beide wurden erschossen, Fred Hampton im Bett, wahrscheinlich schlafend, von Kugeln durchsiebt.

Ein großer Teil der amerikanischen weißen Öffentlichkeit glaubt nach wie vor kritiklos, was beispielsweise Edgar Hoover, der Chef des FBI, über die Panther sagte: Sie seien „die größte Gefahr für die innere Sicherheit des Landes“. Dieses Amerika wollte die Tatsache, daß das Auftreten der Black Panthers zum Abflauen der alljährlichen schweren sommerlichen Rassenunruhen geführt hat, weder zur Kenntnis nehmen noch honorieren. Die Panther gelten als „militante AntiweijSe, die es darauf abgesehen haben, jeden Polizisten, den sie erwischen können, abzuknallen.“ So zu lesen in vielen Zeitungen, zu hören in vielen Reden. Amerika ist leichtgläubig. Es glaubt, obwohl erst vier Polizisten bei Schießereien mit Panthern fielen und keiner aus dem Hinterhalt erschossen wurde. Die Panther sind auch nicht antiweiß, sie sind als Organisation zur Zusammenarbeit mit weißen Organisationen bereit, doch soll ihrer Meinung die Führung des schwarzen Amerika in schwarzen und nicht in weißen Händen liegen. Huey Newton ist stolz darauf, daß erstmals „Lumpenproletarier die Führung des Lumpenproletariats übernommen“ haben. Das Schlagwort „Black Power“ hat nicht zuletzt diesen Inhalt. Der Ideologe, Schriftsteller und bedeutendste Kopf der Panther, Eldridge Cleaver („Soul on ice“), mußte nach Algerien emigrieren. Sein Anwalt Garry (Ehrenname: „White Panther“) rät ihm von der Rückkehr ab. Der Mann mit dem Charisma, Newton, führt die Partei mehr oder weniger straff, so weit ihm dies aus dem Gefängnis heraus möglich ist. Er dringt auf Disziplin und beschwört die „Brüder“, Aufstände zu vermeiden, „bei denen mehr Schwarze als Weiße sterben und die den Schwarzen mehr schaden als den Weißen“. Die Panther sind in einer Krise. Der Zustrom neuer Mitglieder hat nachgelassen, man verehrt die Panther, weiß aber, daß die Mitgliedschaft die Lebenserwartung entscheidend herabsetzen kann. Auch herrscht Aufnahmesperre: Die Durchsetzung mit Polizei- und FBI-Spitzeln führte zu einer Spionenhysterie. Der totale Zerfall der Panther wäre ein Ereignis, auf welches das weiße Amerika nicht hoffen sollte. Denn angesichts der unverminderten Hoffnungslosigkeit in den schwarzen Gettos könnte das Verschwinden dieser kleinen, aber disziplinierten Kerntruppe Amerika wieder dahin bringen, wo es vor einigen Jahren war: An den Beginn einer neuen Serie von „heißen Sommern“, deren Abkühlung nicht zuletzt ein Verdienst der Panther war.

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