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Afrikanische Geschichten

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Er ist ein kleiner Mann, der Pfarrer aus Westrhodesien, unweit der Grenze nach Botswana. Seine Hautfarbe ist ein Schwarz, das ins Dunkelbraune übergeht. Starke Brillen schützen seine kurzsichtigen Augen. Man könnte ihn, sieht man ihn aus der Ferne, für Bischof Abel Muzorewa halten, einen der Führer von Rhodesiens schwarzer Bevölkerungsmehrheit.

Er fuhr in seinem alten Auto über Rhodesiens weites Land, um zu seiner Gemeinde und zu seiner Familie zurückzukehren. Da stoppte ihn eine der Straßensperren, die die weißen Farmer errichtet haben, um nach Terroristen zu fahnden. Es war

vor dem „internen Abkommen“, das Ian Smith mit Muzorewa, Si-thole und Chirau geschlossen hat. Bischof Muzorewa war für die Weißen des Landes noch nicht Gesprächspartner, sondern noch „verdammter Terroristenführer“.

An der Straßensperre also wurde der kleine, schwarze Pfarrer angehalten. Der Farmer warfeinen Blick in das Auto und sagte grinsend zu seinem Kompagnon: „It's the bis-hop. Let's shoot him.“ („Es ist der Bischof. Erschießen wir ihn.“)

Sie haben ihn nicht erschossen. Seine Papiere waren in Ordnung, und er durfte weiterfahren zu seinem Heim. Mit Bitterkeit im Herzen.

Doch als er dann zu Hause mit seiner Frau besprach, was ihm da widerfahren war, da kam ihm ein Gedanke, der Zorn und Gram beiseite schob. Der kleine schwarze Pfarrer dachte, daß er nicht besser sei als jene, die ihm diese Behandlung zugefügt hatten. Daß seine Bitterkeit und sein Zorn keine kleinere Sünde seien als die Verachtung, mit der der Farmer ihm entgegengekommen war. „Ich will zu ihm fahren und mich entschuldigen“ sagte der Pfarrer zu seiner Frau.

So stieg er wieder in sein altes Auto, fuhr die fünf Meilen zurück zur Farm und klopfte an die Tür des Hauses. „Ich möchte mich entschuldigen“, sagte er zu dem erstaunten Farmer, der ihm öffnete, „weil ich bitter und zornig auf dich gewesen bin.“

Der Farmer, dem die Worte fehlten angesichts der Größe des kleinen Pfarrers, bat ihn verwirrt in sein Haus, bat ihn zu erzählen, woher er komme und was er mache. Und der Pfarrer erzählte. Von seiner Schule, in der drei Lehrer normalerweise 300 Kinder unterrichteten, nun aber 900, weil die Kinder aus den umkämpften Grenzgebieten zu ihm gebracht worden waren. Von seiner Kirche, in der die Kinder schliefen, weil im Schulhaus kein Platz mehr war. Von der Wasserpumpe, die eben kaputt gegangen war, ohne daß es Geld für eine neue gab.

Die Frau des Farmers, die hereingekommen war, um den Besucher ihres Mannes zu sehen, fragte, ob es

helfen würde, wenn sie käme, um beim Unterrichten der Kinder zu helfen. Es wäre wunderbar, sagte der kleine schwarze Pfarrer, aber wir haben kein Geld, dich zu bezahlen. Dann mache sie es ohne Geld, sagte die weiße Farmersfrau. Und als sie am nächsten Morgen zur Schule kam, wo 900 schwarze Kinder auf den Unterricht warteten, da brachte sie einen Scheck ihres Mannes mit, der die Anschaffung einer neuen Wasserpumpe decken konnte. Weil aber der weiße Pfarrer der Gegend vor kurzem gestorben war, kamen die Farmersleute am nächsten Sonntag in die Kirche des schwarzen Pfarrers, und ihre Nachbarn folgten bald ihrem Beispiel.

So geschah es in einem kleinen Dorf in Westrhodesien vor wenigen Monaten. So ist es heute noch.

Die Frau, die mir diese Geschichte erzählt hat, lebt heute in Südafrika. Sie ist in Kenia geboren, als Tochter von weißen Siedlern. Sie war zum Studium in Amerika, als der „Mau-Mau-Terror“ Kenya erschütterte.

Die Weißen müssen büßen für das, was sie gegen unser Land verbrochen haben, sagten die schwarzen Rebellen in der Gegend, in der ihr Vater lebte. Und damit es ein echtes Sühneopfer ist, muß ein guter weißer Mann für die Fehler seiner schlechten Artgenossen büßen. So sagten sie. Und sie bestimmten den Vater, der gut gewesen war zu seinen schwarzen Helfern, dazu, das Opfer zu sein. Sie erschlugen seine Frau, als sie in sein Haus eindrangen, und sie holten ihn. Sie schleppten ihn auf den Mount Kenya und verbrannten ihn.

Als seine Tochter davon hörte, brach für sie alles zusammen, woran sie geglaubt hatte. Ihr Glaube an Gott wurde ersetzt durch einen Haß gegen alles, was schwarze Hautfarbe hat. Ihr Mann sagte ihr, sie müsse sich freimachen von allen Gefühlen, müsse sich ganz leer machen und hören, was Gott ihr zu sägen hatte. Sie glaubte-nicht mehr an Gott und war doch bereit, seine Stimme zu hören. Und so wich ihr Haß.

Sie ging zurück nach Kenya. Sie sprach auf einer großen Volksversammlung, bei der alle Zuhörer wußten, was mit ihrem Vater geschehen war. Sie bat die Schwarzen unter ihren Hörern um Verzeihung. Um Verzeihung für den Haß, den die Weißen in die Herzen der Schwarzen gepflanzt hatten, sodaß diese fähig wurden zu handeln, wie sie gegen ihren Vater gehandelt hatten. Jomo Kenyatta war unter den Zuhörern.

Sie haben seither ihr Leben in den Dienst der Rassenverständigung gestellt, sie und ihr Mann.

So lange es große Menschen gibt, so lange gibt es auch noch Hoffnung. Selbst in Südafrika, selbst in Rhodesien.

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