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Kunst der Vieldeutigkeit

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Betrachten wir nachträglich, nach einem Leben von beinahe 80 Jahren, die Dichtungen, oder besser, die Sprachgestaltungen von Hans Arp, so erinnern wir uns der Sätze von Novalis aus den Lehrlingen von Sais:

„... von weitem hört' ich sagen: ,man verstehe die Sprache nicht, weil sich die Sprache selber nicht verstehe, nicht verstehen wolle. Die echte Sanskrit spräche, um zu sprechen, weil Sprechen ihre Lust und ihr Wesen sei'.“

Die Dichtungen Hans Arps entstanden unmittelbar aus seinem Sprechen. Er kannte keinen Unterschied zwischen der Sprechsprache und der Schreibsprache.

„Schon in jener Zeit bezauberte mich das Wort. Ich füllte Seiten und Seiten mit ungewöhnlichen Wortverbindungen und bildete ungebräuchliche Verben aus Substantiven. Ich gestaltete bekannte Verse um und deklamierte sie mit Hingebung und gehobenem Herzen ohne Unterlaß, fort und fort, als sollte es kein Ende nehmen:

Sterne sterne manchen Stern, daß zum Zwecke Sterne Sternen, walde walde manchen Wald, daß zum Zwecke Wälder walden, zacke zacke manchen Zack, daß zum Zwecke Zacken zacken. Der Mißbrauch der Unterlage ahndete sich oft grausam, und es erging mir wie dem Zauberlehrling in Goethes Gedicht. Erst viel später erkannte ich das tiefe Wesen solcher ,sinnlosen Spaße' und gestaltete dann bewußt solche Erlebnisse.

Ich wanderte durch viele Dinge, Geschöpfe, Welten, und die Welt der Erscheinung begann zu gleiten, zu ziehen und sich zu verwandeln wie in den Märchen. Die Zimmer, Wälder, Wolken, Sterne, Hüte waren abwechselnd aus Eis, Erz, Nebel, Fleisch, Blut gebildet. Die Dinge begannen zu mir zu sprechen mit der lautlosen Stimme der Tiefe und Höhe. Wörter, Schlagworte, Sätze, die ich aus Tageszeitungen und besonders aus ihren Inseraten wählte, bildeten 1917 die Fundamente meiner Gedichte, öfters bestimmte ich auch mit geschlossenen Augen Wörter und Sätze in Zeitungen, indem ich sie mit Bleistift anstrich. Ich nannte diese Gedichte ,Arpaden'.“ Niemand hätte vor Arp gewagt, solche Sätze zu schreiben, noch die Sprache als Artikulation derart ungehemmt zu gestalten. Nicht einmal in der italienischen oder russischen futuristischen Epoche finden sich ähnliche Formulierungen. Denn wenn auch Marinetti die „Worte in Freiheit“ behandelte, oder wenn Chlebnikov oder Khrutschenych in ihrer „zoum“-Dichtung scheinbar widersinnige Wortkombinationen erfanden, so hatten doch diese Bestrebungen keinerlei Verwandtschaft mit den Sprachverwandlungen von Arp. Arp suchte nicht den „Unsinn“, sondern den „Nicht-Sinn“ in der Sprache, die durch neue Wortballungen einen seltsamen Zwittersinn erlangt. Schon der Titel eines seiner Bücher ist ein bezeichnendes Beispiel für die neue Art, in dem sich Worte ihm darstellten: Weißt du, schwärzt du. Dieser in einer Ubersetzung in eine andere Sprache unwiedergebbare Klangsinn hat eine vielfältige Bedeutung: die der Wortwurzeln wissen, weißen, schwatzen, schwärzen. Jedoch, spricht man heute von einer „experimentellen Schreibweise“, so unterwarf sich Arp keinerlei Methode und keinem Experiment. Bei ihm wurde der Ausspruch von Tzara „Das Gedicht entsteht im Munde“ zu voller Wirklichkeit. Eine der wichtigsten Entdeckungen Arps war die Erkenntnis der Rolle des Zufalls, nicht eines Zufalls, der sinnlos die Ordnung zerstört, sondern im Gegenteil, seine eigene neu-sinnige Bedeutung hat. Der logische Aufbau nach Syntax und Grammatik eines Satzes läßt diesen Satz zwar verständlich erscheinen, verleiht ihm aber keine Artikulation. Erst die aus den Klangmöglichkeiten und deren Sinnentsprechungen sich ergebenden unerwarteten Beziehungen der verschiedenen Begriffe ergeben das, was man einzig und allein als Artikulation betrachten kann.

Arp war in seinem tiefsten Wesen Anti-Cartesianer. Die formelle Logik und die semiotischen und semantischen Gesetze des Denkens und Sprechens hatten für ihn keinerlei Bedeutung, da er wußte, daß dies nur Hilfskonstruktionen sind, die gewisse Bedingungen einer lautlichen Zeichengebung umschreiben, aber nicht gänzlich erfüllen können. Arp „sah“ die überraschendsten Übereinstimmungen zwischen dem, wie man sagen könnte, „Konflikt des dem Denken und Sprechen Eigenen und Fremden“, und er fand in den Offenbarungen des Zufalls die überraschendsten Bezüglichkeiten sowohl sinngebender als lautverwandter Ausdrucksbedingungen. Da Arp als geborener Elsässer von Natur aus zweisprachig war, so half ihm dies viel für seine Sinnwandlungen und „Pfropfungen“ von Wortspielen. Er war nach Apollinaire (und vor diesem Mallarme) einer der unstreitbar bedeutendsten Erneuerer auch der französischen Lyrik, in der er in der letzten Zeit seiner Schaffensperiode sehr bedeutende semantische und phonetische sowie gedankliche Artikulationen erfand.

In einem seiner Gedichte von 1938 hat er einen unterbewußten, vorlogischen Ausdruck für sein dichterisches Vorgehen geprägt. Wir geben es hier in deutscher Übersetzung wieder:

Manifest Millimeter Unendlich Man muß zuerst die Formen, die

Farben, die Worte, die Töne wachsen lassen und danach erklären. Man muß zuerst die Beine, die Flügel, die Hände wachsen lassen und danach sie fliegen, singen, sich

formen, sich manifestieren lassen. Ich mache nicht, ich, zuerst einen

Plan als

handle es sich um einen Fahrplan,

eine Rechnung oder einen Krieg.

Die Kunst der Sterne, der Blumen,

der Formen, der Farben gehört der Unendlichkeit.

Es wäre falsch die Schreib-Sprech-Sprache Arps als „schizophren“ bezeichnen zu wollen. Er unterschied sich sehr wesentlich von den „Unkontrollierbarkeiten“ von Gertrude Stein, in deren Texten die „Geschichte“ und die „Orte“ keine Bedeutung mehr haben, und er ist weit von der eher folklor-märchenhaften Form von Schwitters verschieden. Gertrude Stein und Schwitters hatten auf die jüngste deutsche Literatur starken Einfluß, neben Elementen, die Dada (dem Arp durch „Wahlverwandtschaft“ auch angehörte) entnommen sind.

So ist es mehr als seltsam, daß die linguistischen und formalen Anregungen, die Arp darbietet, nicht den zu erwartenden großen Widerhall in der deutschen Literatur gefunden haben. Der Dichter Hans Arp, der einer der größten Plastiker unserer Zeit war, glich sich nur selbst. Sein Wesen war nicht schizophren, sondern, um für Neues ein neues Wort zu gebrauchen, ein Wort der Radiotechnik, es war „multiplex“.

Die Vignetten sind Zeichnungen von Jean Arp

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