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Malapartes letzte Reise

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IN RUSSLAND UND CHINA. Ein Reisebericht. Von Curzio Malaparte. Aus dem Italienischen übersetzt von Hellmut Ludwig. Stahlberg-Verlag, Karlsruhe. 284 Seiten. Preis 16.80 DM.

Malapartes Reisebericht über das China des Jahres 1956, der erst nach seinem Tode erschien, zeigt diesen vielbewunderten und vielgeschmähten italienischen Schriftsteller von einer neuen Seite. Er, dessen pErverse Phantasien und kapriziösen Einfälle so viel Anstoß erregten, der in allen seinen früheren Büchern mit einer beinahe naiven Eitelkeit immer nur sich selbst spiegelte und suchte, findet in der Begegnung mit China — dem alten und dem neuen Und nicht zuletzt mit dem chinesischen Menschen — zum erstenmal ein Gegenüber, das ihn ergreift und von sich wegführt. In tieferem Sinn aber endlich zu sich selbst hin.

Die kurzen in Moskau und während des Fluges über Sibirien notierten Aufzeichnungen zu Beginn des Buches sind nur Vorspiel und enthalten kaum Aufschlüsse, die nicht auch in den Berichten anderer Rußlandreisender aufscheinen. Das Eigentliche beginnt in China. Auch Malapartes schwere Lungenkrankheit mag bei der nun sich andeutenden Wandlung eine Rolle gespielt haben. Die Reise nach China war ja seine letzte, von der er zurückkehrte, um zu sterben, und im Angesicht des Todes gingen ihm neue Perspektiven auf. „Der .Übermensch' in Malaparte hat in China plötzlich gespürt, daß er noch .Mensch' werden mußte“, stellt der italienische Herausgeber, Vigorelli, treffend in seinem Vorwort fest.

Die Stärke dieser chinesischen Impressionen liegt nicht in den oft sehr eigenwilligen und durchaus nicht immer überzeugenden politischen Urteilen Malapartes und auch nicht in der sachlichen Beobachtung von Tatsachen, so interessant diese oft auch sind, besonders wenn der Autor an zunächst bedeutungslos erscheinenden Einzelheiten tiefe Zusammenhänge aufdeckt. Frappierend etwa die Feststellung über die Auswirkung der bäuerlichen Struktur des Riesenreiches auf die Arbeitsweise der chinesischen Industriearbeiter:

„Weil alle Chinesen bäuerlicher Herkunft sind oder eben Bauern sind, so arbeiten in den chinesischen Städten die Arbeiter alle, als ob sie Bauern wären. Ich will damit sagen, daß an der Maschine ihre Bewegungen die eines Bauern sind. Ich sah Weber und Weberinnen bei der Arbeit: Sie hoben die zu Boden gefallene Spule auf, als ob sie eine vom Baum gefallene Frucht aufnähmen. Sie ernten Baumwollstoff so, wie die Bauern auf dem Felde Baumwollblüten ernten ...“

Malaparte macht kein Hehl aus seiner Bewunderung für das große Aufbauwerk aus dem Nichts, das in Mao Tse-tungs Reich geleistet wird. Aber er unterschlägt auch nicht die Opfer des 'einzelnen, die dieser Aufbau fordert. Immer wieder beschäftigen ihn die „Menschenpferde“ und „Lasttiere“, die zu Tausenden und aber Tausenden Material an die Baustellen schleppen. In Sian notiert er:

„Der Mann an der Deichsel zieht den Karren wie ein Pferd. Ist der Karren zu groß oder zu schwer, dann sind es zwei Menschenpferde: einer an der Deichsel, der zweite am Zugseil. Sie legen Kilometer um Kilometer zurück, ohne jemals haltzumachen, unter das loch gebückt wie Pferde oder Maultiere. Es ist ein gräßliches und wunderbares Schauspiel...“

Oder in Tschunking: „Tausende von Menschen mit Querstangen im Nacken, gebeugt von der Last zweier schwer be-ladener Körbe, ziehen Meile um Meile trottend dahin, um Steine in die Kalkbrennereien zu schleppen ... Hier ist der Mensch nicht zum Zugtier degradiert, sondern zum Lasttier ...“

Der Schluß, den Malaparte aus diesem gewiß schrecklichen Zustand zieht, ist typisch für seine Haltung: Er hält ihn immerhin für ^sinnvoller als die frühere Tyrannei der Feudalherren, gegenüber ihrer selbstsüchtigen Ausbeutung stehe im volksdemokratischen China das Opfer um einer besseren Zukunft willen:

„Nicht so sehr Not und Hunger treiben diese Bauern zu so tierischer, erniedrigender Mühe und Plage, sondern das Bewußtsein, daß ihr Opfer helfen wird, sie aus ihrer Existenz als Lasttiere zu erlösen .. .

Übrigens nehmen die politischen Be-

trachtungen in Malapartes Buch einen viel geringeren Raum ein, als seine Begegnung mit der uralten chinesischen

Kunst und dem zeitgenössischen Kulturleben. Am eindrucksvollsten aber sind die meisterhaften atmosphärischen Schilderungen: die chinesische Landschaft, ihre weiten Ebenen, die eintönigen Steppen, die pittoresken Gebirge, „der Himmel ohne Ende, hoch, leuchtend fern, dieser Himmel aus Seide...“ — das alles wird wunderbar lebendig in den Tagebuchnotizen.

Die eigentliche Offenbarung für Mala-parte aber ist der chinesische Mensch, dem er auf allen seinen Wegen nachgeht.

Und er liebt diesen unendlich geduldigen, gütigen, großherzigen und hilfsbereiten Menschen, der eine Bresche in seine Ichbezogenheit geschlagen hat. Eine neue Maske des von jeher so wandelbaren Malaparte? Wir glauben es nicht, möchten in den Erfahrungen seiner letzten Reise viel eher den Ausgangspunkt für seine weitere Entwicklung sehen, die schließlich mit der Konversion endet.

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