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Mein Pferd Pudding

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Wenn man an einem summenden Sommertag im Salon über ein Buch gebückt sitzt, dabei elf Jahre alt ist und dazu noch Pflaumen verspeist, und wenn man gerade bei der furchtbar schönen Stelle „Cuchillos Verrat“ anlangt, wo auf der kolorierten Lithographie der Sonnenuntergang in tragischen Blutfarben brennt — dann, sage ich, hat man nicht mehr viel Sinn für die Außenwelt übrig; denn man sitzt verpuppt in seinen Schmetterlingstraum, ohne Hören und Sehen. Und daher spürten meine Sinne einen Fremdkörper erst in dem Augenblick, als er sich mir warm und weich auf den gebeugten Nacken legte: dieses war Puddings Schnauze. Mein Bruder war nämlich schlankweg mit Pudding in den Salon geritten und faßte nun lachend nach dem Kronleuchter. Da stand dieses vorbildliche Pferd zwischen den Mahagonimöbeln, dick, braun, mit schwarzglänzender Mähne, und wartete zurückhaltend auf sein Stück Zucker.

Er hätte nicht anders heißen können, er war zu gut aufgegangen. Im Lichte spiegelte sein braunglänzendes Fell kleine goldene Sonnen. Und dabei war er eitel, der Pudding. Als ich ihm zum ersten Male meinen neuen englischen Zaum anlegte, mit vernickeltem Mundstück und rot-weiß lackiertem Stirnband, da begann er mit dem Huf zu scharren und warf die Mähne hoch — ich habe es genau gesehen. Doch sonst war sein Temperament phlegmatisch — wie hätte er auch anders Pudding heißen können? Selbst seiner Plein-carriere noch schien ein sanfter Tropfen „Nu wenn schon ...“ beigemischt. Sein Trab war nicht das weitausgreifende Luftraffen des Orlowers, sondern mehr ein betuliches Zackzack des Rößleins aus den Volksliedern. Sein Galopp aber schaukelte weich wie die Wiege eines Dauphins.

Und gerade darum liebte ich Pudding, weil auch ich phlegmatisch war. Wenn man im sonnenflimmernden Espenwald ritt und die Zügel anzog, blieb er stehen — meinetwegen stundenlang — und die grüne Waldflamme spiegelte sich dunkel in seinen ruhigen Augen. Er hatte eine große Vorliebe für Hors d'oeuvres; hier rupfte er en passant einen Bissen Heu vom Fuder, dort prüfte er kauend ein paar Lindenblätter, und dann wieder blieb er resolut stehen und raffte sich ein Büschel Gras, das er schon lange ins Auge gefaßt hatte. Auch hatte er ein großes Interesse, ob die anderen Pferde guten Hafer bekämen, und kostete mit seinem weichen Maul ihre Rationen, vorzüglich dann, wenn Jan, der Stallknecht, gerade nicht dabei war.

Pudding war gutmütig. Andere Pferde blasen sich auf, wenn man beim Satteln den Gurt anzieht, weil sie den Druck nicht leiden wollen, und nachher rutscht der Sattel. Nicht so Pudding — er war schon von Natur derart prall und dick, daß ihm kein Sattelgurt was anhaben konnte. Besonders bewunderte ich seine Ohren; sie hatten innerlich solch ein entzückendes Durcheinander von weichen Härchen, aber das war es nicht, sondern sie telegraphierten mir als bewegliche Semaphore jede Regung von Puddings Seele. Bald legten sie sich ruckartig flach nach vorn — das hieß: vorn ist was los! Gleich darauf war dieser Eindruck verdaut, und es kam die Kritik. Entweder legten sich die Ohren mit einem Ruck flach nach hinten — das bedeutete: starkes Mißfallen. Oder sie standen kerzengerade — das bedeutete: hon! Oder sie hingen irgendwie schlaff und regellos a la Esel herunter — das bedeutete dann äußerste Gleichgültigkeit.

Seine höchste Form aber erreichte Pudding in der Schwemme. Das war ein Heidenvergnügen: nackt saß man auf nacktem Pferde, trabte spritzend ins Wasser hinein, bis Pudding plötzlich schwamm als froh prustender Hippokampe. An seine Hufe schienen mythische Schwimmhäute gewachsen, er legte seinen Kopf glatt auf den Wasserspiegel (auf dem die langbeinigen Mücken entsetzt davonliefen) und strebte vorwärts durch sein Element mit einer nackten Galathea auf dem Rücken. Diese Galathea aber hatte derweil alle Hände voll zu tun, um nicht abzuglitschen. Erst klammerte man sich mit den Beinen an Puddings Leib, bis er aalglatt wurde; dann rutschte man weiter und weiter ab, und schließlich hielt man gerade noch das Schweifendohen als Schlepptau in der Hand. Unterdessen hatte der Dackel am Ufer geheult, bis die Sehnsucht nach uns seine Angst überwand und er sich wild — die Ohren flatterten um den Kopf — ins Wasser stürzte und an uns heranschaufelte. Und dann faßte Pudding nach einer eleganten Biegung wieder Boden, blieb stehen und begann stumm zu trinken.

Pudding war wirklich so feist wie jene Schulkameraden, die man beinahe wider Willen puffen muß, nur weil sie so dick sind. Aber das gab ihm in meinen Augen einen geheimnisvollen Reiz; denn ich hielt ihn für einen Nachkommen jener dicken Ritterpferde, jener „flämischen Hengste“, die als einzige unter der Eisenlast nicht zusammenbrachen. Einmal besahen wir mit meinem Bruder ein altes Geschichtenbuch und fanden ein prachtvolles Bild: zwei Ritter sprengten mit eingelegter Lanze aus dem Wald, während die Kaufleute auf dem Planwagen bestürzt die Leine ziehen — sowohl wörtlich als auch metaphorisch. Darunter aber stand geschrieben: „Reiten und Rauben ist keine Schand'

— das tun die Besten im Land.“ Und dabei sah das eine Ritterroß genau so wie Pudding aus!

Wir blickten uns an — selbstverständlich wollten wir zu den Besten im Lande gehören: Pferde waren ja da, fehlten also nur noch die Lanzen — und dann auf zum Reiten und Rauben! Die Lanzen waren bald geschnitzt, und nun „sprengten“ wir durch den Wald zur Landstraße hin, um auf den Planwagen mit den Kaufleuten zu warten. Wir warteten

— oh, Pudding konnte warten! —,,aber die Kaufleute kamen nicht, niemand kam, und wir wurden ungeduldig. Doch nun kam wirklich jemand — es war unsere liebe Mutter, die ihren stillen Nachmittagsspaziergang machte. Geritten und geraubt mußte einmal werden, auf die Kaufleute war kein Verlaß, und also legten wir die Lanzen ein und sprengten mit mörderischem Geschrei über Busch und Graben auf die einsame Dame los! Sie schien zuerst erstaunt, aber dann fing sie an zu lachen, und wir lachten auch und erbeuteten jeder ein Bonbon. Und Pudding fraß schon wieder was von einem Busch.

Aber dabei fällt mir ein, daß das alles schon über dreißig Jahre her ist und daß mein Pferd Pudding wohl längst bereits unter jenem Rasen liegt, den er so gern geweidet hat. Der englische Zaum liegt wahrscheinlich noch verstaubt unter altem Hausgerümpel. Und so bleibt mir nur ein Handwinken ins Unbekannte hinaus, mein Pferd Pudding!

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