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MEINE AHNEN UND ICH

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Ich entstamme einem alten edlen Hause, das sich sehr weit in der Geschichte zurückleiten läßt. Ein Augustus Twain scheint um das Jahr 1160 von sich reden gemacht zu haben. Er war ein überaus heiterer Geselle. Mit Vorliebe pflegte er seinen alten Säbel zu schleifen und sich dann in finsterer Nacht an einem passenden Ort aufzustellen, um diesen Säbel den Leuten, die vorbei kamen, in den Leib zu stoßen und sie hüpfen und springen zu sehen. Er war eben ein geborener Spaßmacher. Allerdings trieb er den Spaß mitunter etwas zu weit, und als er einmal dabei ertappt Wurde, wie er einem seiner Mitmenschen die Kleider abstreifte, trennte die Obrigkeit seinen Kopf von seinem übrigen Körper und steckte ihn auf eine schöngelegene Anhöhe, wo er die Leute in Ruhe betrachten konnte.

Dann zeigt der Stammbaum unserer Familie für die nächsten 200 Jahre eine lange Reihe von Kriegern — edle tapfere Burschen, welche stets dicht hinter der Armee singend in die Schlacht marschierten und die sich auch regelmäßig mit lautem Geschrei dicht vor ihr wieder zurückzogen.

Zu Beginn des 15; Jahrhunderts haben wir dann Beau Twain mit dem Beinamen „der Gelehrte“. Er hatte eine wunderschöne Handschrift und konnte jedermanns Schrift so genau nachmachen, daß ihm sein Talent ungemein viel Freude bereitete. Aber in der Folge ging er eine Verpflichtung ein, auf der Landstraße Steine zu klopfen und diese rauhe Arbeit verdarb ihm dip, Handschrift. Bei dieser Steinafbeit verbrachte er — mit nur unbedeutenden Unterbrechungen — rund 42 Jahre. Während all dieser langen Jahre führte er nämlich ein so musterhaftes Leben, daß die Behörden, sooft er sich von der Arbeit zurückziehen wollte, ihn spätestens nach einer Woche wieder neu verpflichteten. Sein Haar trug er stets kurz geschnitten und er hatte eine besondere Vorliebe für gestreifte Kleider. Sein Tod war ein schmerzlicher Verlust für sein Vaterland, denn er hatte so regelmäßig gelebt.

Einige Jahre später haben wir den berühmten John Morgan Twain. Er kam im Jahre 1492 mit Kolumbus als Passagier nach Amerika und im Schiffsbuch ist als „erstaunliche Tatsache“ verzeichnet, daß er sein Gepäck in einen einzigen Bogen Papier eingewickelt an Bord gebracht hatte, es dann aber in vier Koffern und fünf Körben an Land schaffte. Als er dann noch behauptete, daß ihm verschiedene Gegenstände fehlten und er daher das Gepäck der anderen Passagiere durchsuchen wollte, warf man ihn über Bord. Lange Zeit warteten alle gespannt, ob er noch einmal an die Oberfläche kommen würde, aber plötzlich merkten sie mit Schreck, daß das Schiff davontrieb und das Ankertau schlaff herabhing. Das Schiffsbuch verzeichnet dazu: „Schließlich wurde entdeckt, daß der unangenehme Passagier untergetaucht war, den Anker mitgenommen und an die verdammten Wilden im Landesinnern verkauft hatte.“

Der Urenkel dieses wackeren Mannes blühte um das Jahr 1600 und ist in. unseren Annalen als der „alte Admiral“ bekannt. Er befehligte lange Zeit Flotten von raschen Schiffen, die gut bewaffnet und bemannt waren und mit denen er sich große Verdienste um die Beschleunigung der Handelsschiffahrt erwarb: Fahrzeuge, denen er folgte und auf welche er sein Adlerauge gerichtet hatte, machten stets eine besonders schnelle Fahrt über das Meer. Wenn jedoch ein Schiff trotz all seiner Bemühungen sich nicht genügend beeilte, so nahm seine Entrüstung so sehr zu, daß er sich schließlich nicht mehr zurückhalten konnte und das Schiff mit nach seiner Heimat nahm. Dort bewahrte er es sorgsam auf, in der Erwartung, daß die Eigentümer kommen und es sich holen würden, aber das taten sie niemals. — Dieser herrlichen alten Teerjacke wurde in der Fülle seiner Jahre und seiner Ehren der Hals abgeschnitten.

Charles Henry Twain lebte in der letzten Hälfte des 17. Jahrhunderts und war ein eifriger und ausgezeichneter Kulturmissionär. Er bekehrte 16.000 Südseeinsulaner, indem er sie belehrte, daß ein Halsband von Hundezähnen nicht genug Kleidung sei, um den Gottesdienst zu besuchen. Seine Herde liebte ihn überaus herzlich, und als sein Leichenbegängnis vorüber war, standen sie im Speisehaus alle mit Tränen in den Augen und sagten, er sei doch ein guter, zarter Mensch gewesen und sie wünschten, sie hätten noch etwas von ihm.

Es ist nicht gut, bei der Abfassung einer Selbstbiographie seine Ahnenreihe zu nahe an die eigene Zeit heran zu verfolgen. Es ist am besten, schon von seinem Urgroßvater nur in sehr unbestimmten Ausdrücken zu reden und dann von diesem unvermittelt auf sich selbst überzugehen, was ich hiermit tue.

Ich kam ohne Zähne zur Welt — und in dieser Beziehung war Richard III. gegen mich im Vorteil. Aber ich kam auch ohne Höcker zur Welt, und in diesem Punkt war ich gegen i h n im Vorteil.

Meine Eltern waren weder sehr arm noch übertrieben rechtschaffen. Aber nun merke ich, daß meine eigene Geschichte sich im Vergleich zu der meiner Ahnen gar zu zahm ausnehmen würde. Sind Sie nicht auch dieser Ansicht?

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