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Mit Hindernissen

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Ateliertheater: Mit Heinrich Wilhelm Gerstenbergs (1737 bis 1823) „Ugolino“ setzte innerhalb des deutschen Dramas das ein, was man mit mehr oder weniger Recht „Sturm und Drang“ nennt (Klingers gleichnamiges Stück wurde erst acht Jahre später geschrieben). Vielleicht kann das und der für die damalige Zeit einigermaßen experimentelle Charakter dieser Novität erklären, warum sich das Ateliertheater ungewohnterweise zu zwei Schritt zurück statt einem nach vor entschloß. Es bewies damit in einer österreichischen Erstaufführung (!), daß es sich lohnt, dieses von Shakespeare beeinflußte, aber nach den Regeln der französischen Klassizistik aufgebaute Stück aufzuführen. Dabei ist es in seiner Handlungsarmut und konzentrierten Zustandsschilderung äußerst schwer zu realisieren: es geht um den qualvollen Hungertod des ehemaligen Herrschers von Pisa, Ugolino, und seiner drei Söhne. Nach einem mißglückten Fluchtversuch sterben sie — ohne sich in der Katastrophe näherzukommen — jeder seinen eigenen Tod im unüberwindbaren Turm ihres haß- und neiderfüllten Feindes. Fünf lange Akte im Original, zwei lange Stunden in der ohnehin schon gekürzten Fassung des Ateliertheaters. Das übersteigt einfach das Aufnahmevermögen des Zuschauers, und der an sich imposante Brocken wird schwer verdaulich. Hier nicht noch mindestens ein Drittel des — zugegebenermaßen eindrucksvollen — Textes gestrichen zu haben, war bei aller Intensität der Inszenierung ein Feh ler des Regisseurs und Bühnenbildners Kay Sikor. Ein zweiter, seine Schauspieler zum Teil im Zuschauerraum agieren zu lassen. Und erst wenn man schließlich auch noch vom bisweilen penetranten Gewälze auf der Bühne absieht, dann kann man die Aufführung im großen und ganzen als gelungen bezeichnen. Das Bühnenbild, die Darsteller (besonders Frank Lester in der Titelrolle) und die Kostüme von Renate Rischka tragen dazu bei. Die Mühe am widerspenstigen Objekt hat sich trotz allem gelohnt.

Das Ateliertheater veranstaltet nun auch an einigen Abenden jedes Monats in Zusammenarbeit mit Interessierten des theaterwissenschaftlichen Institutes der Universität Wien literarische Leseabende. Den Anfang machte ein etwas zahmer, aber dennoch überzeugender Brecht-Vortrag „Die frühen Jahre — Gedichte und Songs“ unter der Leitung von Sascha Altschiller.

Theater der Courage: Wenn man hier nach langer Zeit wieder Günther Weisenborns „Ballade vom Eulenspiegel, vom Ferderle und von der dicken Pompanne“ mit dem Hinweis darauf auf führt, daß sich die Lage nicht geändert, daß man den „Truchseß-“ und Diktatorkonsorten gegenüber wachsam zu sein habe, so hätte das Ganze ungefähr den Aussagewert einer Ermahnung, nur ja nicht das tägliche Zähneputzen zu vergessen. Manche Aktualität muß an den Haaren herbeigezogen werden, aber mancher Irrtum kann fruchtbar sein. Gerade weil keine spezifische „Aktualität“ vorliegt, weil die mit verkappter Funktionärslist „engagierten“ Künstler und ihre allzu simplen ideologischen Puzzlespiele nicht nur allmählich rar werden, sondern auch keine besondere Brisanz mehr haben, weil schließlich den Klassenkampflehrstücken in der Brecht-Nachfolge schön langsam der lange Bart des Klischees wächst, kann man an diesem „Eulenspiegel“ bereits wieder seine (fast) naive Freude haben. Im Grunde nämlich ist das Stück (der Bauernaufstand gegen ungerechte Lehnsherren scheitert an der Uneinigkeit und Kurzsichtigkeit der Unterdrückten) sehr lebendig und sprachlich interessant. In der Gestalt des „Narren“ mit dem weichen Herzen hat es überzeugend menschliche Züge aufzu weisen, die in der seltsamen, beinahe deplaciert poetischen Liebe zwischen Eulenspiegel und Ferderle ihren Höhepunkt findet. Und für die Nimmersatten, die sich ohne handfeste „Lehre“ nicht ruhig ins Bett legen können, gibt’s einiges Akzeptables als Draufgabe. — Die Inszenierung von August Rieger mit den Kostümen von Lisi Regschek und dem Bühnenbild von Peter Stöger ist respektabel. Als Hindernis erwies sich eine darstellerisch wie sprachtechnisch recht schwache „Komparserie“, der Ulrich Gots- bacher als Truchseß nicht viel nachstand. Bruno Thost (Eulenspiegel), Eva Kinsky (Ferderle) und vor allem Eva Petra (Pompanne) zeigten hingegen gute Leistungen.

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