6729996-1965_46_16.jpg
Digital In Arbeit

Operation „Himmelshaken“

Werbung
Werbung
Werbung

LEUTNANT VO GAB AUS HANG MANG Alarmstufe eins: am Tag X um 18 Uhr würde der Politchef ins alte Farmhaus kommen.

DePorta übernahm persönlich das Kommando der Aktion. Er, Ossidian und zwei Tais, die bei der Stoßtruppausbildung sehr gut abgeschnitten hatten, erreichten am Nachmittag des Tages X die Hauptstraße nach Hang Mang. In der weiten Kleidung der Montagnards, mit schwarz-roten Bändern um den Kopf und Tai-Sandalen an den Füßen, zogen sie in unregelmäßigen Abständen in einer Reihe auf der schmalen Straße dahin.

Ossidian ging an der Spitze. Die Sonne stand schon tief über den Berggipfeln im Westen, als er rechts, jenseits des Reisfeldes, die kleine Kokospflanzung erblickte. Bei der Abzweigung angelangt, latschte er gemächlich den Pfad zum Haus hinunter und bog um die Ecke. Dort stand ein zweirädriger Büffelkarren, beladen mit penetrant stinkendem Dünger.

IN DER ABENDDÄMMERUNG betrat ein Vietnamese, der nach Art der politischen Funktionäre ein Khakihemd und Khakihosen trug, den verwahrlosten Besitz. Als er um die Ecke bog, erkannte DePorta Leutnant Vo, rührte sich aber nicht, bis Vo vor ihm stand.

„Sie sind selbst gekommen?“ fragte Vo.

„Ossidian sagt, wir brauchen einen richtigen Taihäuptling, der über den Verkauf des Rohopiums verhandelt.“

Vo sah naserümpfend den Dungkarren an. „Meine Helfer sind auf Draht. Captain, können Sie einen Wasserbüffel lenken?“

„Auf den Philippinen bin ich mit Wasserbüffeln aufgewachsen.“

„In Ordnung. Wer gibt den Schuß ab?“

Ossidian schlug auf den Halfter in seiner Hose. Ich.

DePorta betrachtete interessiert den Karren. Der war wie ein sehr großer, fest geflochtener Korb gebaut, gerade das Richtige für eine ordentliche Fuhre Dung. „Ausgezeichnete Idee, Ossidian“, sagte er anerkennend zu dem Sergeant. „Aber wird er nicht ersticken, wenn wir ihn da hineintun?“

Vo, der die Worte seines Kommandeurs hörte, trat zu dem Karren. Er tastete die Rückseite ab, bis er einen Haken fand, und zog daran.

Säuberlich eingebettet in die ekelerregende Ladung des Karrens sah man eine sargähnliche Holzkiste. Sie nahm die ganze Länge des Korbes ein, von einem Ende zum anderen. Die Klappe war locjcer geflochten, damit Luft eindringen konnte.

Ossidian ging ein Stück vor und schlug sich seitwärts in den wildwuchernden Dschungel, der einst eine Zierhecke gewesen war. Plötzlich horchte er gespannt auf. Zwei rechteckige französische Mannschaftswagen fuhren auf der Hauptstraße neben der Abzweigung zum Farmhaus vor. Sofort sprang ein Trupp Soldaten in Khaki, mit Gwehren und Maschinenpistolen bewaffnet, herunter und nahm entlang der Straße Aufstellung. Der Weg zum Farmhaus war gesperrt.

Der Sergeant verfolgte jede Bewegung der Vietkongs. Sein Herz schlug heftig. Nur zu gut kannte er die schwachen Punkte von Guerillas, die gezwungen sind, eine Stadt zu betreten.

WENIGE SEKUNDEN SPÄTER rollte eine kleine, verstaubte graue Limousine über den holprigen Pfad. Unmittelbar dahinter folgte ein offenes Fahrzeug. Neben dem Fahrer saß ein Offizier; auf dem Rücksitz hockten zwei Soldaten mit schußbereiten Maschinenpistolen.

Ossidian drückte sich in das Gebüsch. Durch die Blätter sah er DePorta. Die Limousine war schaukelnd herangefahren und bremste. Sofort öffnete Mademoiselle Quand die Haustür und trat heraus.

Aus dem Auto zwängte sich ein Mann in gebügelter Khakiuniform mit der Pistolentasche am Ledergürtel und einer Offlziersmütze auf dem Kopf. Er ging um das Fahrzeug herum. Als er zu Quand trat, tauchten hinter ihm der Offizier und die beiden bewaffneten Leibwächter aus dem jeepartigen Wagen auf.

Quand deutete auf DePorta, und der Funktionär — es war Ti, Ossidian erkannte ihn nach den Photos und Skizzen — ging mit großen Schritten entschlossen auf den Captain zu. Als Ti den vermeintlichen Taihäuptling und dessen beide Begleiter deutlicher sah, blieb er zögernd stehen. Er befahl dem Offizier und den Soldaten, die ihm noch immer auf dem Fuß folgten, zu warten, dann näherte er sich DePorta.

Ti pflanzte sich vor dem kleinen „Montagnard“ auf. Es entspann sich ein Gespräch.

Geschickt manövrierte DePorta Ti hinter das verwahrloste Farmhaus. Dann wies er auf seinen Korb, beugte sich nieder und zog ein großes Paket heraus. In seiner Gier riß Ti es ihm fast aus der Hand.

Geräuschlos kroch Ossidian weiter. Schließlich erreichte er einen Punkt, der weniger als viereinhalb Meter von der Stelle entfernt war, wo Ti, DePorta und Quand standen. Er sah sich vorsichtig um — nein, die Wachen hatten die Gruppe nicht im Blickfeld. Ti ließ ganz versunken das Opiumpulver durch die Finger rieseln.

Langsam zog Ossidian die Pistole aus dem Halfter. Sie war nicht mit einer Patrone, sondern mit einer winzigen Hohlnadel geladen, die ein nervenlähmendes Serum enthielt. Er hob die Waffe, zielte genau, wobei er das rechte Handgelenk mit der linken Hand stützend umschloß. Er hielt den Atem an. Das Ziel, Tis unbedeckter Nacken, war nicht groß. Ossidian drückte ab. Es gab einen leichten Rückstoß und einen fast unhörbaren, zischenden Laut.

Ti klatschte sich ins Genick und stieß einen Fluch aus. Sofort schlug sich Quand auf die Wange, fuchtelte mit der Hand gegen den Büffelkarren und schrie DePorta erbost an. Ossidian schoß noch dreimal.

Der Politchef griff gerade in die Tasche; wahrscheinlich wollte er Geld herausziehen, um den Handel abzuschließen. Aber er kam nicht mehr dazu. Lautlos kippte er gegen die Außenmauer des Farmhauses und rutschte zu Boden.

DePorta und seine beiden Tais hoben den schlaffen Körper auf, schoben ihn in den geöffneten Verschlag des Dungkarrens und hakten die Klappe wieder zu. Sobald Ti sicher verstaut war, ergriff DePorta einen Stock, den er vorher abgeschnitten hatte, band den Büffel los und trieb ihn an.

Ossidian war unauffällig aus dem dichten Gebüsch geschlüpft und hatte sich den beiden Tais angeschlossen. Den Ochsen mit Schlägen traktierend, führte DePorta den Karren an den Leibwächtern vorbei. Sie wichen vor dem fürchterlichen Gestank zurück. Der „Häuptling“ zog ungerührt auf dem zerfurchten Zufahrtsweg dahin und erreichte schließlich die Hauptstraße.

LANGSAM KNARRTE DER KARREN über die Straße. Jedes Auto, das, aus der Stadt kommend, an ihnen vorbeifuhr, bedeutete eine harte Nervenprobe. Wenn bei Vo etwas nicht klappte, würden bald Polizei und Militär hinter ihnen her sein.

Zwei Stunden später kamen sie zu einer Straße, die zu den Bergen abzweigte. Doch sie zogen weiter. Auf der Hauptstraße herrschte reger Verkehr in beiden Richtungen.

Vorn, von Norden kommend, hüpften zwei Scheinwerfer auf der holprigen Straße auf und ab. De Porta trieb den Wasserbüffel stur weiter, bis sich die Lichter näherten, das Fahrzeug bremste und dem Zugtier den Weg versperrte. Es war eines der üblichen offenen französischen Militärautos, besetzt mit zwei Offizieren und zwei Soldaten. Einer der Soldaten sprang aus dem schweren Fahrzeug, dessen matte Scheinwerfer direkt auf DePorta gerichtet waren.

Auf vietnamesisch fragte der Soldat, ein Unteroffizier, warum er noch so spät auf der Straße sei. DePorta antwortete mit einem Wortschwall in der Taisprache und deutete auf die Berge. Er hörte, wie der Unteroffizier einen der Offiziere fragte, was man mit diesen Mois tun solle, die sicherlich zur Zeit der Ausgangssperre noch unterwegs sein würden. DePorta stieß seinen Stock in die faulige Masse auf dem Karren und stocherte, auf Tai schnatternd, emsig herum. Dann zog er den Stock heraus und wies damit auf die Reisfelder und die Berge.

Eine Woge von Gestank warf den Unteroffizier zurück, als hätte er einen Stoß vor die Brust bekommen. Die beiden Offiziere begannen laut zu fluchen. Der Unteroffizier sprang in den Wagen zurück, die Räder kreischten auf dem Schotter, als die Vietkongs davonbrausten.

GEGEN MORGEN waren sie schon tief im Bergland, etwa 15 Meilen nördlich von ihrem Hauptlager. Als die Sonne auf Tis Kopf niederbrannte, begann er unruhig zu werden und zu stöhnen. Seine Beine waren zusammengebunden. De Porta trieb die Gruppe zur Eue an. Plötzlich stieß Ti einen gellenden Schrei aus, warf sich herum und wand die Bahre, an die er gefesselt war, den beiden Trägern beinahe aus den Händen.

DePorta kam zurück und sah den benommenen, aber nun wachen kommunistischen Funktionär an. „Bindet ihn los“, befahl er.

Die einschneidenden Stricke wurden gelöst; Ti kollerte auf den Boden. Langsam, mit zitternden Beinen, stand er auf.

„Ja, Ti“, begann DePorta auf vietnamesisch. „Wir haben einen langen Weg vor uns. Sie können entweder zu Fuß gehen, oder wir werden Sie tragen“. Er wies auf die Bahre. „Wir werden Ihnen kein Haar krümmen, aber wenn wir Sie tragen, dann müssen wir Sie mit einer Droge einschläfern. Sie haben die Wahl.

Ti erbleichte. „Ich werde zu Fuß gehen“. Er blickte in die harten schwarzen Augen des Filipinos. DePorta nickte und wandte sich zu seinen Männern. „Essenspause. Dann marschieren wir weiter. Ich möchte, daß wir den vereinbarten Punkt für die Operation ,Himmelshaken' noch vor Einbruch der Dunkelheit erreichen“.

ES WAR 16 UHR, als sie von den vorgeschobenen Sicherungsposten, die rund um ihren Zielpunkt aufgestellt waren, angerufen wurden. Zwanzig Minuten später betraten sie eine große Lichtung auf einem Hochplateau. Rodriguez und ein Trupp Tais erwarteten sie bereits; große, rechteckige Segeltuchsäcke standen vor ihnen auf dem Boden.

„Packen wir das Zeug aus, solange es noch hell ist“, riet der Captain. Rodriguez Pierrot und Ossidian nahmen jeder eines, öffneten den Bund und leerten den Inhalt auf den Boden. Rodriguez hielt einen schweren Schutzanzug mit eingearbeiteten Traggurten in die Höhe. „Wollen Sie ihm das heute nacht anziehen, Sir?“ fragte er.

„Ja. Probieren wir einmal, ob er hineinpaßt. Jetzt darf nichts mehr schiefgehen“. Der Teamkommandeur ging zu Ti hinüber und befahl, ihn loszubinden. Zwei Tais führten den Gefangenen auf das freie Feld. Der Kommunist sah den Schutzanzug mißtrauisch an. „Los, anziehen!“ sagte DePorta streng. Ti zögerte. „Oder sollen wir es Ihnen anziehen?“

Langsam stieg der Politchef in den Overall, steckte die Arme in die Ärmel und stand bald fertig angezogen da. Rodriguez überprüfte alles genau. Ossidian hielt einen oliv-farbenen Sturzhelm bereit. „Wollen sehen, ob er ihm paßt“.

Der Abwehrsergeant richtete die Riemen, bis der Helm tadellos auf dem Kopf des Gefangenen saß. „Er ist fertig, Sir“.

„Gut. Alles übrige können wir vor Sonnenaufgang erledigen. ,Himmelshaken' ist für 6.30 Uhr angesetzt“.

UM 5.30 UHR weckte DePorta, der den dösenden Gefangenen keine Sekunde aus den Augen ließ, seine drei Sergeants. „Fertigmachen!“ befahl er.

Die Sergeants öffneten die beiden anderen Segeltuchsäcke. Sie legten einen großen, mehrfach gefalteten Plastikbeutel, eine große Rolle Nylonseil und eine schwere Heliumflasche auf den Boden. An diese Flasche wurde ein Schlauch angeschlossen und mit dem Platiksack verbunden, der sich zu blähen begann und allmählich die Form eines Fesselballons annahm.

Auf ein Zeichen von DePorta ging Frenchy zu seiner Sanitätstasche, nahm eine kleine Injektionsspritze heraus und näherte sich dem Kommunisten. DePorta öffnete mit einer raschen Bewegung den Zippverschluß des Overalls, Frenchy packte Ti bei der Schulter, riß mit einem Griff das Hemd auf und stach die Nadel in das nackte Fleisch.

Ti brüllte auf.

„Sie werden nicht wirklich schlafen, sondern alles sehen“, sagte De Porta auf vietnamesisch. „Wir möchten nur nicht, daß Sie während der nächsten zwei Stunden der Wandertrieb überkommt“.

Noch während DePorta sprach, wurden dem Kommunisten die Lider schwer. Ossidian trat zu dem Captain und dem gedopten Ti. „Wir sind bereit, Sir. Der Ballon ist schon fast startfertig“.

DePorta und Ossidian halfen dem apathischen Politchef auf die Beine. Halb führten, halb trugen sie ihn in die Mitte des freien Feldes. Das unbestimmte Licht der beginnenden Morgendämmerung zeigte Rodriguez in voller Tätigkeit. Sie legten Ti auf den Boden nieder, Rodriguez befestigte das Nylonseil an den Haltegurten im Overall. DePorta machte den Zippverschluß bis oben zu, Ossidian stülpte den Sturzhelm über Tis Kopf und schnallte ihn fest. Sie sahen zu, wie der Ballon in den Himmel stieg, der sich im Osten rosa färbte. Als er die Höhe von 150 Metern erreicht hatte, spannte sich das Seil, und der Ballon stand regungslos in der windstillen Luft. Zwei rote Wimpel flatterten am Seil und markierten einen Abschnitt von 15 Metern unterhalb des Ballons.

„Wie spät ist es?“ fragte DePorta.

„6.15 Uhr“, antwortete Pierrot.

Die Montagnards, die keine Ahnung hatten, was da geschehen sollte, verfolgten die Vorbereitungen mit großer Neugierde.

Die vier Amerikaner warteten gespannt. Ti kippte zur Seite, aber Ossidian und Rodriguez setzten ihn wieder auf. Dann hörten sie in der Ferne das Surren von Flugzeugmotoren. Die Sonne stieg empor und tauchte den weißen Ballon in goldenes Licht. Die roten Wimpel hingen schlaff herab. Plötzlich sahen sie auf Nordostkurs die fahlbraune „Cari-bou“ der Heeresfliegertruppe, ohne Kennzeichen, direkt über den Baum-wipfeln auf sich zukommen. Alle hielten den Atem an. Aus der Nase des Flugzeugs, das auf den fünfzehn Meter breiten Zielsektor des Seiles zusteuerte, trat ein Greifer hervor, traf das elastische Nylonseil und schnappte zu.

Ti wurde sacht angehoben, dreißig Zentimeter, sechzig Zentimeter... Und dann wurde der Kommunist hoch in den Himmel gerissen, so rasch, daß er zu verschwinden schien.

„Okay“, befahl DePorta. „Ab durch die Mitte. Wir haben einen Gewaltmarsch vor uns, wenn wir noch vor Einbruch der Dunkelheit daheim sein wollen“.

Die Sonne ging schon unter, als die vier erschöpften Amerikaner und ihre Tais auf die Horchposten ihres geheimen Lagers stießen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung