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Opferbereitschaft begnadet

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DIE KRAFT DES ERBARMENS. Romiui. Von LäszI6 N e m e t h. Aus dem Ungarischen ‘ von Charlotte Ujlaky und Friederika Schaff. Henry-Goverts-Verlag, Stuttgart. 712 Seiten, Leinen. S 140.—.

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DIE KRAFT DES ERBARMENS. Romiui. Von LäszI6 N e m e t h. Aus dem Ungarischen ‘ von Charlotte Ujlaky und Friederika Schaff. Henry-Goverts-Verlag, Stuttgart. 712 Seiten, Leinen. S 140.—.

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Die Dichtungen des Herder-Preisträgers Läszlö Nemeth, der, 1901 in Nagybanya geboren, am Plattensee lebt und sich dort neben der ärztlichen Praxis seinem literarischen Schaffen widmet, sind vor allem durch eine Romantrilogie bekannt- geworden, nämlich durch die in die meisten Weltsprachen übersetzten Werke „Wie der Stein fällt“ und „Esther Egetö“ sowie durch den nunmehr auch in deutscher Sprache vorliegenden Roman „Die Kraft des Erbarmens“. Es handelt sich keines-wegs um Frauenromane schlechthin, vielmehr um Lebensbilder, deren Diktion, Tiefe und Problematik mit „Anna Karenina“ vergleichbar sind, wenn auch die Zeitaspekte und die sich daraus ergebenden Perspektiven, unserer Epoche entsprechend, in andere Richtungen weisen.

Die Hauptperson des Romans „Die Kraft des Erbarmens“, die Medizinstudentin Agnes Kertesz, zeichnet sich ebenso durch Gewissenhaftigkeit wie Idealismus aus. Zu Hause herrscht eine bedrückende Atmosphäre: ihr Vater, ein Gymnasialprofessor, geriet bereits 1914 im russische Kriegsgefangenschaft, indessen hat sich ihre Mutter einen Liebhaber zugelegt. Die Herrschaft Bela Kuns ist zwar zu Ende. Unter der Regierung Horthys nimmt d’ie Teuerung zu und man lebt von einem Tag in den anderen. Unter diesen Auspizien stürzt sich Agnes in ihr Studium. Endlich, nach sieben Jahren, kehrt ihr Vater, krank und hilfsbedürftig, aus der Gefangenschaft zurück. In diesen schweren Jahren wurde er für Agnes zu einer Idealgestalt. Doch nun, da er der Zwanzigjährigen gegenübertritt, müssen sie sich erst zueinander- tasten. Durch Leid und Leiden ist er so sehr gehemmt, daß er erst allmählich ins normale Leben zurückfindet. Seine Frau verhöhnt ihn, weil er nicht gleich imstande ist, seinen Lehrberuf auszuüben. Sie denkt nicht daran, die Beziehungen zu ihrem Galan aufzugeben. Nach einer Reihe unerquicklicher Szenen verläßt Agnes das Elternhaus, um sich neben ihrem Studium der Betreuung von unheilbar Kranken in einem Pflegeheim zu widmen, während ihr Vater bei Verwandten Unterschlupf findet.

Mit dem Blick des Diagnostikers und Therapeuten ergründet Nemeth die Handlungen der zahlreichen Personen, mit denen Agnes in Berührung kommt. Breughelszenen bei einer ländlichen Hochzeit kontrastieren mit lebhaften Diskussionen zwischen jenen, die der Vergangenheit nachtrauem, und jungen fortschrittlich gesinnten Studenten.

Äußerlichkeiten bedeuten Agnes nichts, sie blickt den Menschen ins Herz, und deshalb schenkt sie ihre Liebe Feri Halmi, einem armen jüdischen Studenten. Er hinkt, weil er ein verkrüppeltes Bein hat, auch ist er alles eher als „hübsch“, aber seine Opferbereitschaft kommt ihrer gleichiyj.nd diese Opferbergitschaft begnadet; die beiden jungen Menschen mit der Kraft, gemeinsam den Kampf um eine bessere Zukunft aufzunehmen. „Sie zog seinen Kopf an ihre Brust und küßte ihn. Und dabei hatte sie das Gefühl, als zöge sie nicht nur Feri, sondern ihre Mutter und ihren Vater, das ganze Pflegeheim und alle Menschen an ihre Brust — die hinkende Menschheit, der man den Glauben an sich wiedergeben mußte, damit sie laufen konnte, und auf deren krankes Bein man achten mußte, damit sie in ihrer Lahmheit nicht in die Irre gehe“, mit diesen Worten schließt das tiefschürfende und ergreifende Werk.

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