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Outsider-Literatur ?

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Literatur hat immer auch etwas ^topistfte*. nd mit Jedem endenden oder beginnenden JahrtStffW Mckt SeY FiXpünkt So mancher Utopien, das Jahr 2000, aus dem Glanz zauberhafter Ferne, dem Gespinst aus Hoffnungen und Ängsten, das sich um dieses Datum gebildet hat, näher zur Wirklichkeit. Alles soll besser werden, so hofft man, die Menschheit soll wie Eurydike aus dem Hades leichtfüßig zur Oberwelt schreiten, aber es findet sich kein Seher, kein Erleuchteter, der vorangeht.

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Literatur hat immer auch etwas ^topistfte*. nd mit Jedem endenden oder beginnenden JahrtStffW Mckt SeY FiXpünkt So mancher Utopien, das Jahr 2000, aus dem Glanz zauberhafter Ferne, dem Gespinst aus Hoffnungen und Ängsten, das sich um dieses Datum gebildet hat, näher zur Wirklichkeit. Alles soll besser werden, so hofft man, die Menschheit soll wie Eurydike aus dem Hades leichtfüßig zur Oberwelt schreiten, aber es findet sich kein Seher, kein Erleuchteter, der vorangeht.

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Ja sogar der Mut zu träumen, der von Piatons Politeia bis Jüngers Heliopolis immer wieder die Phantasten und Weltverbesserer auf den Plan rief, ist ausgestorben. In der allgemeinen Verwirrung, für die man im Zeitalter der Codesprachen auch schon das passende Schlagwort gefunden hat — man spricht heute von Verunsicherung —, erscheint der Künstler nicht anders als der erste Mensch in seiner Sprachlosigkeit und der Zustand der Sprache, so wie ihn ein Brechtscher Aphorismus charakterisiert: Als nun aber die immer fortschreitende Menschheit derartig, wie es die Klassiker zeigen in jenen Zustand geraten war, wo jeder Fortschritt nunmehr und jede neue Erfindung ehern die Menschen in immer tiefere Entmenschung hineintrieb, fing auch die Sprache an, rasch zu verkommen und jede Verständigung wurde unmöglich. Eine gewisse Müdigkeit und psychedelische Geistesabwesenheit bemächtigt sich in einer solchen Situation des Künstlers, der wohl in der Lage ist, dem in Routine und Monotonie der bürokratischen Gesellschaft erstickenden Individuum die Traurigkeit seiner Existenz vor Augen zu halten, kaum aber die Kraft aufbringt, es aus der spastischen Verkrampfung, aus der Unbeweglich-keit und Enge zu befreien, in die es geraten ist.

Freilich hat die Unbeweglichkeit der Institutionen dazu beigetragen, das Mißtrauen, das die Nachkriegsgeneration erfüllte, zu vermehren, die gar nicht erst versuchte, die Erneuerung der Kultur zur moralischen Erbauungsanstalt, wie sie Staiger in seiner berühmten Zürcher Rede forderte, in Angriff zu nehmen. Die lockenden Bilder einer heilen Welt waren nicht mehr glaubhaft. Der sprachliche Kosmos, den das

humanistisch aufgeklärte Bürgertum in Anlehnung an die Ideale und Formprinzipien der Antike geschaffen hatte, ging in den Trümmern der Weltkriege unter. „Wenn man Auschwitz verschweigt oder retrospektiv humane Kräfte mobilisiert und nicht wie Peter Weiß die ungeheure Macht des Scheußlichen als künstlerischen Aktivposten einkalkuliert, hat es dieses Auschwitz nicht gegeben“, schrieb Michael Pehlke in einer Stellungnahme zur Zürcher Rede Staigers. Diese These wird zur

Grundlage der Literatur der fünfziger und sechziger Jahre. Das Mißtrauen der Autoren wendet sich konsequenterweise zunächst gegen die Sprache, deren vorgefundene Meta-

phorik einer versunkenen Welt zugeordnet wird. In Österreich entsteht eine Literatur, deren Hintergrund nicht mehr die mit ebensoviel Morbidität wie Genialität gesättigte Atmosphäre einer Großstadt ist, sondern die dem Urbanen feindliche

kleine Welt des Dorfes, von Jonke ins geometrische Geviert gepreßt, von Handke als überschaubare Größenordnung mikroskopiert, von Bernhard als „Antiidylle“, um eine bereits sehr häufig gebrauchte Bezeichnung noch einmal zu strapazieren, ins Höllische, das das Humanuni schlechthin negiert, übersteigert. Politisches, Engagement, Provokation, geben unter. Eine gewisse Langeweile wird zum Spiegel einer Wirklichkeit, die nur noch die Macht des Alltags kennt, die Macht der Routine. Dort wo Provokation gewollt ist, wirkt sie wie ein müdes Lächeln, wie etwa diese Zeilen in einem Gedicht von Heidi Pataki: „Österreich, hintergärtlein europas, nie mehr darfst du in die gute stube, züchtest unterdessen geißblatt und kohlköpfe, vor deinem zäun sagen die füchse: guten tag, bald werden sie dich fressen.“

Diese Lethargie wird noch durch die Verwicklung von Kunst und Markt begünstigt. Denn selbst die direkteste und unverfrorenste Beleidigung welcher Instanzen auch immer

— ein Beispiel dafür ist Oswald Wieners Verbesserung Mitteleuropas

— ruft kaum mehr Interesse hervor als ein Scherzartikel.

Die Usancen auf dem Kunstmarkt haben sich dem Markt für industriell gefertigte Güter angeglichen, die Erfordernisse des Angebotes gebieten, daß eben in Akkord geschrieben, vertrieben, propagiert wird. Die Techniken der „high salesmanship“ ermöglichen, ein Buch bereits zum Bestseller zu machen, noch bevor es auf den Markt gekommen ist. Mit gezielter Werbung kann man jedes Produkt für einen passenden Käuferkreis manipulieren, vom Pop-Produkt bis zur Gartenlaube. Dazu kommt, daß Rundfunk und Fernsehen in der pluralistischen Zwangsneurose „für jeden etwas“ die Parzellierung und Aufteilung in den Geschmacksimperien noch begünstigen, was eine totale Paralyse der Urteilsfähigkeit zur Folge hat

Verlust der sozialen Funktion Damit verliert der Schriftsteller aber auch die Rolle des Vaters, des Warners, der höheren Instanz. Er ist nur noch einer unter vielen, in einer Zeit, in der Kunst, wie Marie Luise Kaschnitz formuliert, nicht mehr das Wesentliche ist und nicht mehr das Wesentliche auszudrücken vermag. Wie wird die Entwicklung weitergehen? In Amerika beginnt sich der Underground als Gegenkultur zu etablieren. Hier eliminiert man den Gegensatz von Kunst und Leben. Man verzichtet auf Verlage und beschränkt sich auf Vervielfältigungsmaschinen, man beginnt Programme und Zeitungen zu entwerfen. Die Zeit des illiteraten Beats ist vorbei. Wartet man auf den neuen Führer? Ein gewisser Baktivedana befreit Jugendliche mit orientalisch einlullendem Hare-Krishna von der Sucht nach dem LSD. Im Golden-Gate-Park in San Franzisko wiegen sich 20.000 Jugendliche bei mildem Klima im Sonnenlicht.

Und die Wirklichkeit? Noch immer baut man Müllverbrennungsanlagen und Menschenverpackungsmaschinen, noch immer hat der Künstler keine soziale Funktion in der Gesellschaft, noch immer verschüttet man echte Gespräche unter Schlagworten. Vielleicht wäre schon viel getan, wenn es gelänge, sich dem Problern Literatur und Gesellschaft etwas mehr zu widmen, anstatt immer mehr Menschen zu Outsidern zu machen.

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