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Paulus fragt nach dem „Warum“

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Der emsenauizeicnnung an diesem Dreikönigstag 1965 war recht unvollkommen Die Pilgerfahrt des Papstes in das Heilige Land trug die sehr menschlichen Merkmale der Improvisation. Seit Jahrhunderten war die Welt solche Bilder nicht mehr gewöhnt: einen schmalen, weißgekleideten Priester mitten in einer Menge von Schaulustigen, Gleichgültigen, Hysterischen, Sensationsgierigen, mit eiligen, fast hastigen Schritten zu Fuß gehend — nicht mehr über den Köpfen getragen wie ein Kultbild, nicht mehr in der selbstverständlichen Distanz großväterlicher Würde, die sogar noch vom Johannespapst ausgegangen war — zu schweigen von der langen Reihe seiner Vorgänger. Die Kameraleute, die die Stationen dieser schnellen Pilgerfahrt durch das geteilte Land festhalten sollten, hatten es schwer. Das Zeremoniell, das früher jeden Schritt und jede Alltagshandlung des Papstes zur stilisierten Schaustellung werden ließ, war diesem überraschend neuen Phänomen nicht gewachsen. Die Messe in der, Geburtskirche von Bethlehem, die Paul VI. mit sichtlicher Ergriffenheit feierte, ging in ihrem Erlebnisgehalt fast unter. Auch der Text einer kleinen, spontan wirkenden Predigt, die der Papst in diesen Stunden hielt, wurde kaum in den kurialen Verlautbarungen registriert.

Wie hätte man das auch passend und offiziell in den lateinischen Ductus einbringen sollen, dieses leise französische „Pourquoi“, mit dem Paul VI. eine Ansprache beendete, deren Adressaten nicht vor ihm standen wie bei einer der üblichen Audienzen. Er hatte seine Worte an jene Menschen gerichtet, denen der kirchliche Sprachgebrauch sonst den am weitesten vom Zentrum der praktizierten Rechtgläubigkeit entfernten, äußersten Kreis der Menschheit zuweist — an die sogenannten „militanten Atheisten“, die man bis in unsere Tage hinein sogar in der Liturgie schlicht „die Feinde“ nennt. Die sehr eindringlichen, von Bannspruch wie von advokatorischer Diskutiersucht gleichermaßen entfernten Sätze, die der Papst französisch sprach, hatten ihnen gegolten, sollten vielleicht etwas spüren lassen von der inneren Kraft des „Saulus, warum verfolgst du mich?“ (Apg 9, 4), die das jähe Bekehrungswunder an dem Verfolger bewirkte. Es trat nicht ein. Wahrscheinlich hat keiner der nicht mit Namen genannten Adressaten diese Frage nach dem Warum zur Kenntnis genommen. Warum das weltweite große Nein zur Botschaft des Menschgewordenen, das offene Nein, die tausend versteckten Nein im Geheimen und Privaten? Pourquoi? — die Übertragung brach schnell ab. Neue, vorbeihuschende Bilder folgten...

Journalist oder Priester?

Dieses Worum ist ein Schlüsselwort dieses unseres 1914 beginnenden Jahrhunderts. Giovanni Battista Montini, der jetzt Siebzigjährige, hat es nicht von ungefähr gebraucht. Das „Warum“ ist ein Leitmotiv seines bewußten Lebens, intoniert als private und persönliche Melodie, mit immer mehr Stimmen kontrapunktiert in den Jahrzehnten seines öffentlichen, kirchlichen Wirkens,

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Is vier Jahren seines Pontiflkats. Ceiner der Petrus-Nachfolger vor hm — soweit wir ihre Persönlich-:eitsstruktur kennen — hat wohl

„Warum“ gesagt — wenn er erst einmal die Tiara trug. Auch für die begnadete Heiligkeit Roncallis war das Wort fremd.

Im Elternhaus des Advokaten-und Redakteurssohnes Montini war man zwar gut und treu katholisch, aber gewiß nicht ohne den Mut zur differenzierten Frage. Die Lombarden von Brescia nahmen das klischierte Scbwarz-Weiß nicht widerspruchslos zur Kenntnis, auf das die dem 19. Jahrhundert angehörende Generation Pius IX. das Verhältnis zwischen Kirche und Staat, Heilsbotschaft und „Welt“ festzulegen versuchte.

Der stille, kränkliche Vorzugsschüler mit den klugen, fragenden Augen lernte in dieser Welt zweierlei: das kluge, diskrete Beobachten und das' selbstbeherrschte Schweigen. Als der wegen seiner körperlichen Zartheit im Privatunterricht Erzogene 1916 maturierte, begann die Welt des alten Jahrhunderts wie eine Eisdecke allerorten zu brechen. Neue Verhältnisse, neue Frontbildungen erzwangen neue Fragestellungen, neue Antworten. Für einen Augenblick schien sich Montini berufen zu fühlen, als Publizist — ähnlich dem Vater — Stellung zu beziehen, dem vielen Warum, das Italien der inneren Krise immer näher führte, unmittelbar nachzuspüren. „Er wäre ein ganz großer Journalist geworden, wenn er nicht einen anderen Lebensweg gewählt hätte“, notierte einer seiner Lehrer, der Jesuitenpater Persico.

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