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Pendeln zwischen zwei Welten

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Troyat selbst, dessen bürgerlicher Name Tarassoff ist, hat mit seinen breitangelegten, das Schicksal ganzer Generationen behandelnden Romanen, die sich meist mit Rußland und russischen Menschen befassen, und mit seinen Monographien russischer Klassiker bedeutend zu diesem Integrierungsprozieß beigetragen.

„Da ich als Kind in Moskau eine Schweizer Gouvernante hatte“, erzählte er, „sprach ich beim Eintreffen meiner Eltern in Paris (ich war damals acht Jahre alt) einwandfrei französisch. Dies erleichterte mir von Anfang an den Anschluß an meine französischen Schulkameraden. Was uns jedoch von Grund auf unterschied, war, daß sie in der Schule wie zu Hause immer im gleichen Land blieben, während ich im Augenblick der Heimkehr in die Wohnung meiner Eltern Frankreich verließ und in die russische Welt eintauchte. Die eine Hälfte des Tages lebte ich in Paris, die andere in Moskau, hin und her gerissen zwischen einer ersten, weit entfernt liegenden, unerreichbaren und ständig fliehenden Heimat und einer zweiten, die um mich brodelte, mich an sich zog und mich in ihrem Strudel davontrug.“

Das andere Mitglied der Französischen Akademie russischer Herkunft, Joseph Kessel, äußerte sich in ähnlichem Sinne über den geistigen Einfluß der Emigration nicht allein auf das französische Schrifttum, sondern auf das gesamte kulturelle Dasein.

Er dürfte zu den ersten Schriftstellern zählen, die dem tragischen Schicksal der nach Paris geströmten Heimatlosen eine weltweite Beachtung zu verschaffen vermochte. Es ist sicher nicht übertrieben, zu behaupten, daß sein 1927 erschienener Roman „Nuits des princes“ (Nächte der Fürsten), der in alle Kultursprachen übersetzt und . verfilmt wurde, das eindrucksvollste Denkmal war, das jemals seinen Landsleuten im Exil gesetzt worden ist.

Der Erfolg des Buches liegt in seiner zuinnerst tiefen Menschlichkeit und in der packend vermittelten Atmosphäre.

Joseph Kessel versicherte uns, daß das ins Ausland verpflanzte russische Herz mit dem langsamen Auslöschen einer Generation nicht aufhören werde, zu schlagen.

Man müsse dies im abstrakten Sinne und jenseits aller Politik verstehen und auch den in Paris lebenden Kommunisten unter den Schriftstellern, wie etwa Wladimir Pozner, Beachtung schenken.

Weiß und Rot

Im übrigen bestätigte Kessel unsere Beobachtung, daß die Polaritat zwischen „Weiß“ und „Rot“ im Laufe der Jahrzehnte progressiv abgenommen habe und daß aus Spannungen, die vor vier Jahrzehnten unüberbrückbar schienen, neue schöpferische Kräfte erwachsen seien.

Wenn eines Tages eine Anthologie des Wirkens dei Exilrussen in Frankreich oder im gesamten Raum der westlichen Zivilisation geschrieben werde, sei er zur Mitwirkung bereit.

Zum Schluß sprachen wir über die Vorliebe, die eine bestimmte französische Oberschicht russischer Lebensart von gestern entgegenbringt.

„Gewiß, die Scheinwelt von Montmartre, die das zaristische Moskau für einige Jahre auferstehen ließ, ist versunken“, sagte Joseph Kessel. „Ich glaube, daß es in Paris nur noch ein Nachtlokal gibt, in dem man wie in alter Zeit. Gläser zerbrechen kann: das ist .Wodka'. Aber Abend für Abend sind die Tische restlos von Gästen besetzt, die sich dem Zauber der Stimme der alten Zigeunerin Valiä Dimiitrejewitsch hingeben, ihren sehnsuchtserfüllten Liedern, die die bittere Traurigkeit der Steppen, auf denen der Absinth wächst, lebendig werden lassen.“

„Doch ich glaube nicht, daß mit dem Verstummen Valiäs die wonnevollen Schauer dieser ganz besonderen und in ihrer Art einmaligen Romantik für alle Zeiten ihr Ende finden. Das Zigeunertum kommt wieder auf wie eine Mode. Man sucht nach großen Stimmen unter den heranwachsenden ihrer Rasse. Ein Nachtrestaurant in Biarritz hat Stück für Stück Dekorationen und Einrichtungsobjekte von .Wodka' kopiert. Sicher wird die russische Seele in Frankreich ihre Renaissance erleben.“

So sehr auch unsere beiden Gesprächspartner in Wesen und Erscheinung voneinander abweichen, der magische Begriff „russische Seele“, der sich einer konkreten Definition entzieht, hat ihnen ein« gemeinsame Prägung gegeben.

Troyat ist der Typ des Ästheten, des eleganten, etwas kühl wirkenden Forschers mit betontem Stilgefühl und strenger Selbstkontrolle. Es paßt zu ihm, daß er nur am Stehpult zu arbeiten pflegt; und man kann sich ohne weiteres vorstellen, daß er bei mondänen Empfängen und in den exklusiven literarischen Salons von Paris eine „glänzende Figur“ abgibt.

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