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Politik auf der Naturbühne

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Entspannt wie am Pensionistenbankeri wirkt dieser neue Heimatfilm, in dem Elmar Oberhäuser den zahmen Wilderer spielt.

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Entspannt wie am Pensionistenbankeri wirkt dieser neue Heimatfilm, in dem Elmar Oberhäuser den zahmen Wilderer spielt.

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Das Dach ist der jüngste Bauteil des Theaters. Dieses wurde bekanntlich als „Open air“ erfunden und hatte damals ganz ohne Verstärkerbatterien eine hervorragende Akustik und ohne Lichtorgel eine faszinierende Optik. Die Breitbandinszenierungen der Herren Aeschy- los, Euripides und wie die Stars so hießen, sollen jedenfalls ein Hit gewesen sein, der sich jahrtausendelang hielt. Der freie Himmel über der Szene hat einiges für sich.

Weder auf den Domstufen noch auf den Jahrmarkt-Pawlatschen, wo später das etwas sterblichere Repertoire gespielt wurde, gab es ein Dach. Der Publikums-Aktivierung kam das besonders in wetterwendischen Situationen sehr zugute. Regisseure mußten damals die Langatmigkeiten der Dramatiker noch nicht gewaltsam zusammenstreichen.

Das Publikum reagierte spontan und mitgestaltend - und bei einsetzendem Regen führte das mehrstündige Mysterium im Express verfahren in den Himmel, oder der Räuber wurde schon vor der Missetat eiligst gefangen und geköpft. Irgendwie hat das „Open air“ immer so etwas enorm Praktisches.

Der Reiz, der nicht zuletzt mit dem Wetterrisiko zusammenhängt, ist bis in unsere Tage geblieben. Manchmal ist ja auch die Frage, ob der Himmel „durchhalten“ wird, spannender als die Bühnenereignisse. Zwischen Woodstock und Jedermann ist kein prinzipieller Unterschied, auch nicht zwischen der Arena von Verona und dem Bodensee. Unter freiem Himmel hat jegliches Theater seine archaischen Bezüge und Begeisterungen.

Das gilt auch für die politischen Selbstdarsteller. Höhepunkt jedes modernen Tribunen ist nicht der Auftritt im noch so gefüllten und patriotisch gestylten Saal, sondern die Rede unter freiem Himmel, unter dem sich das Publikum zur unabsehbaren Masse ballt. Erst da wird die Geste zur Weltbeschwörung, da gewinnt die Körpersprache ihren gewaltigen Höhenflug, da ist der Raum groß genug für das hindröhnende Pathos. Die Bildregie des Fernsehens hat ihre besten Augenblicke, wenn sie den Redner seitlich samt der Menschenmasse und dem fernen Himmelshorizont einfängt. Da überkommt den unentschlossenen Wähler im Wohnzimmer der universalistische Schauer der Überzeugung.

Nun hat das heutige Theater, jenes wohltemperierte und bedachte, meistens den sogenannten Zweispartenbetrieb. Es gibt neben dem großen Haus auch das Kammerspiel.

In Analogie dazu haben die Fernsehmacher das politische Sommergespräch erfunden. Es ist das Kammerspiel des „Open air“. Der Politiker wird in die Zwanglosigkeit der freien Natur gesetzt, der offene Himmel wölbt sich drüber hin, alles scheint so improvisiert und zufällig wie die Regie von Mörbisch bis Hellbrunn. Kein Zurücklehnen in weiche Studiosessel, kein Runder-Tisch-Desi- gner, die Sessel wie vom nächsten Strand oder aus dem Sommerfri- sche-Salettl geholt, der Tisch vom ländlichen Jausenwirt.

Entspannt wie am Pensionistenbankeri wirkt dieser neue Heimatfilm, in dem der Elmar Oberhäuser den zahmen Wilderer spielt. So richtig im Element der Szene ist da eigentlich nur der Jörg Haider in der vielseitigen Rolle zwischen Naturbursch und Meineidbauer. Die etablierten Politiker tarnen ihre Seriosität krawattiert. Der selige Bruno Kreisky konnte sich bei solchen Gelegenheiten noch den Trainings - anzug leisten, der hatte ja nicht nur eine Meinung, er war die Meinung.

Vermutlich sollte der Zuschauer bei so viel Einfachheit und Naturnähe durch nichts vom Kern des Dialogs abgelenkt werden. Das ist der große Irrtum der Regie. Die Kamera hat keinen neutralen Hintergrund - und die Natur spielt in der Politik plötzlich eine Rolle, die ihr bei anderen Gelegenheiten zu wünschen wäre. Eine Wolke überschattet die politische Denkerstirn, ein Windstoß fährt in den Strauch dahinter, das karierte Tischtuch flattert, die Haare der Gesprächspartner flattern detto.

Eigentlich ist das ganze so richtig eine Reklame für den Urlaub in Österreich: Schaut her, so gemütlich ist es bei uns!

Daß ich nicht vergesse: Gesagt haben die Politiker auch etwas. Aber das ist eben das Opern-air-Theater, sie hätten ja auch das Telefonbuch spielen können, das Detail ist das Wesentliche, wie der Gelsenstich in Mörbisch und der Gelati-Mann in Verona.

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