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Prügelhelden — Prügelknaben

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Voll Spannung und Schadenfreude warten derzeit die Münchner auf das Ende der Gerichtsferien, das eine ganze Welle von Prozessen gegen Münchens jungen SP-Oberbürger-meister Dr. Vogel bringen wird: Ein rühriger Münchner Anwalt hat, wie bis jetzt bekannt wurde, insgesamt 14 Anzeigen und Privatklagen im Namen der Opfer der Schwabinger Prügelnächte dieses Sommers gegen die Stadtverwaltung und den Oberbürgermeister Münchens eingereicht.

Daß die Prügelszenen in Schwabing natürlich auch bei den bayrischen Landtagswahlen im heurigen Spätherbst eine gewisse, und für die bayrische SP recht unangenehme Rolle spielen werden, steht fest. Münchens Polizei steht ja unter SP-Kommando ... Jetzt, nachdem die Erregung über diese Zwischenfälle längst abgeklungen ist, fragt man sich, worauf sie überhaupt zurückzuführen waren.

War es der „Durchbruch des Polizeistaates“, wie östliche Stimmen behaupten und daraus ableiten, daß die alte Nazimentalität in der heutigen Bundesrepublik wieder „fröhliche Urständ“ feiert, oder waren es beängstigende Demonstrationen jugendlicher Anarchisten, gegen die der Staat viel zu spät und noch viel zu zaghaft vorgegangen ist, wie von besorgten Konservativen ins Treffen geführt wird.

Erinnern wir uns: Die Schwabinger Krawalle begannen ganz harmlos. Drei Studenten, die auch schon in Paris und anderen Städten auf der Straße musiziert hatten, begannen auf der Leopoldstraße, dem „Boulevard Saint Michel“ Schwabings, auf ihren Gitarren zu spielen. Das ist auch schon früher vorgekommen. Da die drei aber besonders gut spielten, hatten sie bald ein größeres Auditorium, das zuhörte und mitsang. Dadurch behinderten sie etwas den Verkehr und störten einige Münchner Bürger, die schon schlafen wollten und deshalb die Polizei verständigten.

Und jetzt begannen die Komplikationen. Die braven Münchner Bürger in Polizeiuniformen, die den Wienern aus den Fernsehstreifen „Funkstreife Isar 12“ als so sympathisch und menschlich bekannt - und die auch im AJltag liebenswürdig, nett und höflich sind - zeigten sich diesmal völlig humorlos. Sie fühlten sich von so viel Unbekümmertheit und Bohemientum provoziert, und als sie sahen, daß sie von den jugendlichen Musikfreunden nicht so als Hüter der Ordnung respektiert wurden, wie sie es gerne gesehen hätten, taten sie das, was alle Kleinbürger in solchen Situationen tun: obwohl sie selbst Polizei waren, riefen sie die Polizei, in diesem Falle das Einsatzkommando. Und dann ging es los.

Dabei verlief der erste Abend der Krawalle noch recht harmlos. Aber an diesem Abend verhärteten sich die Fronten. Denn jetzt fühlte sich auch die andere Seite, die Schwabinger Bohemiens und alle diejenigen, die auch nur so tun, in tiefster Seele provoziert.'

Sie mobilisierten alle Freunde und Gesinnungsgenossen, aber auch die Halbstarkenbanden aus ganz München zu ihrer Verstärkung im Kampf um die Freiheit, die sie meinten.

Es wäre nun ganz falsch, dieses heitere Volk etwa als finstere Anarchisten anzusehen, weil sie gegen .die Polizei vorgingen. Sie sind natürlich auch keine „tapferen Vorkämpfer für die demokratischen Gründfreiheiten“, als welche sie sich nun gerne ausgeben wollten. Diese jungen Menschen, deren revolutionäre Haltung sich im Tragen von Vollbärten, Löwenmähnen, Rollkragenpullovern und zerbeulten Ofenrohrhosen manifestiert, sind harmlos. Sie nehmen nur die alten studentischen Freiheiten für sich heraus, auch wenn sie keine Studenten sind. Es gibt heute viele junge erfolgreiche Anwälte, Assessoren und Ärzte, gut erzogen und sehr gesittet, die noch vor wenigen Jahren zu dieser Gilde der Vollbartrevoluzzer gezählt haben, sich auf den Stühlen der Boulevard-Cafes in der Leopoldstraße räkelten und von Sartre und Kirkegaard philosophierten, während sie den hübschen Mädchen nachsahen, die vorbeitrippelten.

Sie sind nicht anders als ihre Kollegen etwa in Paris, in den kleinen Bistros am Montparnasse oder in St. Germain des Pres — die von den Parisern milde belächelt und von den Wirten als Touristenattraktion sehr geschätzt werden — und die vor allem niemand wirklich ernst nimmt.

Und es wäre auch falsch, sie ernst zu nehmen, denn sie sind natürlich alles andere als wirkliche Revolutionäre. Es sind Menschen, die sich mit Äußerlichkeiten auflehnen, die ihr Anders-sein-Wollen offen demonstrieren zu müssen glauben — und die darüber hinaus davon offenbar überzeugt sind, daß „Freiheit“ vor allem darin besteht, sich nicht täglich rasieren zu müssen ...

Viel ernster zu nehmen sind die gar nicht bohemienmäßig angezogenen Jugendlichen mit dem Gangsterfilmjargon in anderen Kneipen Münchens, die elegant angezogenen Zuhältertypen in den Nachtlokalen der Münchner Innenstadt und die jugendlichen Rabaukentypen, die in ihrem Innersten noch immer nicht vom Herrenmenschtum abgekommen sind.

Aber diese Typen traten bei den Schwabinger Krawallen nicht in Erscheinung und auch die Unterwelt ging dem.massiven Treffen mit der Polizei wohlweislich aus dem Weg.

Diese Kleinbürger im Existenzia-listendreß, mit ihrer ungezielten jugendlichen Opposition gegen alles — das heißt gegen nichts — bekamen nun ein Ziel: Die Polizei, die gegen sie einschritt, wurde nun zur Verkörperung alles dessen, das sie gefühlsmäßig ablehnen, der bürgerlichen Wohlanständigkeit und des Zwanges. Und damit nahmen die Dinge eine gefährliche Wendung. Denn dazu kam, daß sie sich in der Masse plötzlich stark fühlten und nun im Gefühl dieser Stärke — dem altbekannten „run-ning-in-pack“-Machtrausch — ihre Mitmenschen und die Polizei provozierten.

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