6711175-1964_21_11.jpg
Digital In Arbeit

Rassenproblem der Südstaatler

Werbung
Werbung
Werbung

DIE HOCHZEIT. Von Eudora W e 1 t y. Aus dem Englischen von Elisabeth Schnack. Diogenes-Verlag, Zürich. 373 Selten. Preis 19.80 sFr.

Die bevorstehende Hochzeit der Tochter Dabney hat eine Unzahl von Verwandten und Mitgliedern der Familie Fairchild ins Herrenhaus Shellmound zusammengerufen. Die Fairchilds halten viel auf Tradition und haben ein ausgeprägtes Familien- und Standesbewußtsein. Von den Wänden blicken Generationen gutmütiger und trutziger Gesichter auf die fröhlich und hemmungslos tobende Kinderschar herab. Das ganze Deltaland gehört den Fairchilds: das Gut „The Grove“ und das gesamte Dorf „Fairchilds“ mit seinen Baumwollmühlen und der Bahnstation, und jenseits des Yazoo-Flusses liegt das Schloß „Marmion“, in das Dabney nach ihrer Heirat einziehen wird.

Die Verwandtschaftsgespräche der Großtanten, Onkel und Schwäger, die selbstbewußte Haltung der Kinder gegenüber den Bediensteten und der verfeinerte Lebensstil der Fair-

childs scheinen das Milieu Alteuropas vor 1914 widerzuspiegeln. Doch es ist nicht Europa, das Delta liegt in den Südstaaten der Vereinigten Staaten, und man schreibt das Jahr 1923. Ist es ein Wunder, wenn diese traditionsbewußten Südstaatler auf die gänzlich stillosen Yankees herabblicken? Die Yankees, die in die Familie der Fairchild eingeheiratet haben und sich durch ihre Ge-hetztheit, ihre Kitschigkeit und durch den Verlust jeglicher Beziehung zum Land und zu echt aristokratischen Werten unangenehm abheben, finden nur Verachtung. Im Bewußtsein dieser Deltaleute hat das pimperliche Mitleid der nordischen Bleichgesichter mit den abergläubischen, aufsässigen und dann wieder kindlich anhänglichen „Niggern“ keinen Platz. Die Gesetze auf dem Land sind Jahrtausende alt und sie erwachen spontan dort, wo noch ein Verhältnis des Menschen zur Ordnung der Natur besteht. Hier, im Deltaland, gibt es keine Rassenprobleme ...

Und doch unterscheiden sich die Gesetze der Deltaleute von denen der alten zerstörten europäischen Führungsschicht: es herrschen die Frauen. Das Land vererbt sich auf die Töchter, die dieses ab und zu an ihre Brüder weiterverleihen, aber trotzdem die Zügel in den Händen behalten. Dieses eigenartige Zerrbild unserer eigenen Tradition in den Südstaaten hat Eudora Welty in einem breit angelegten Familienroman, der auch in seinem Stil an ähnliches in Europa erinnert, dargestellt.

*

UHR OHNE ZEIGER. Von Carson M c C u l-1 e r s. Aus dem Englischen von Elisabeth Schnack. Diogenes-Verlag, Zürich. 356 Seiten. Preis 19.80 sFr.

Eine kleine Stadt im Süden der Vereinigten Staaten ist der Schauplatz zu diesem neuen Roman von Carson McCullers. Hier ist der amerikanische Bürgerkrieg noch lange nicht entschieden. Hundert Jahre sind vergangen, seitdem die Sklaverei aufgehoben wurde, aber dei unerbittliche Aufeinanderprall zweier Rassen, im engsten Raum vereint, explodiert in Form von Bomben, ent-

ladt sich in Massenmetzeleien. Rücksichtslose Leidenschaft und ein Wahnbild von Gerechtigkeit markieren die beiden Extrempositionen. Beide Seiten haben ihre Gründe, jede kann durch die Greueltaten der anderen ihre Ehrenhaftigkeit beweisen.

Da ist ein alter Richter, ehemaliger Senator. Natürlich ist er für Gerechtigkeit. Natürlich will er keine Gewalttaten dulden. Aber soll man zulassen, daß sich „Nigger“ an weißen Frauen vergreifen, daß sie sich mit Schmutz und Faulheit immer mehr in ihrer Mitte einnisten? Wenn also die Nordstaatler, die aus ihren Städten ein modernes Babel gemacht haben, untragbare Gesetze erlassen, so muß zur Selbsthilfe gegriffen werden.

Da ist ein junger schwarzer Diener, der vom alten Richter wie der eigene Sohn behandelt und verwöhnt wird. Doch je mehr man ihn verzieht, um so größer wird sein Haß gegen die Weißen, die völlig ungerechtfertigt und ebenso selbstbewußt auf vage Beschuldigungen hin morden und verurteilen. Er braucht kein Mitleid. Nur eins

möchte er: auffallen. Einmal Mittelpunkt sein.

Und schließlich ist da noch der mit abstrakten Theorien von Gerechtigkeit „modern“ und rational denkende Enkel des Richters, der sich die Freundschaft des Dieners erwerben will und von jenem nur Spott und Ungemach als Gegenleistung erhält.

Diese drei Figuren umreißen die ganze unauflösliche Verschränktheit des Rassenproblems in den amerikanischen Südstaaten. Wobei es Carson McCullers weniger um die äußere Handlung geht als um die seelischen Wirren und Nöte, die durch natürliche und willkürliche Rassenschranken gesetzt sind und den Bürgerkrieg von 1861 hinter den eigentlichen Ereignissen weitertoben lassen. Der Süden der Vereinigten Staaten ist ebenso traditionsreich wie voll von existentiellen Problemen. Aber gerade deshalb ist es kein Wunder, wenn das einzige, was Amerika kulturell Europa gegenüberstellen kann, aus eben diesen Südstaaten gekommen und aus eben diesen Problemen erwachsen ist.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung