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Regenbogen Phantasie

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VERMESSENES GEBIET. Von Alfred G e s s we 1 n. Otto-Müller-Verla;, Salzburg, 1967. 9 Seiten. S 65.—. — KONFIGURATIONEN 67. Jahrbuch für Literatur und Kunst. 1967. 3. 3g. Herausgeber: Alois Vogel, Alfred Gtllwein, Peter Baum: Auslieferung: A. Vogel, Afrikanergasse 2/9, 1620 Wien. 100 Selten. S 38.-.

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VERMESSENES GEBIET. Von Alfred G e s s we 1 n. Otto-Müller-Verla;, Salzburg, 1967. 9 Seiten. S 65.—. — KONFIGURATIONEN 67. Jahrbuch für Literatur und Kunst. 1967. 3. 3g. Herausgeber: Alois Vogel, Alfred Gtllwein, Peter Baum: Auslieferung: A. Vogel, Afrikanergasse 2/9, 1620 Wien. 100 Selten. S 38.-.

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Ludwig von Ficker schätzte den Lyriker Alfred Gesswein als echte Begabung und setzte sich für ihn ein. Man begegnet ihm in den „Konfigurationen“ als Mitherausgeber und Autor. Zwei Gediohtbände, „Leg in den Wind dein Herz“ und „An den Schläfen der Hügel“, liegen bereits vor und verraten schon in der Titel- gebung etwas vom „romantischen“ Geist des Autors. Doch dürfen aus dieser Charakterisierung keine falschen Schlüsse gezogen werden. Auch Stanislaus Lee, der scharfe Aphoristiker, bekannte sich gern zur Romantik, auch wenn ihn darob die Gassenbuben verlachen sollten. Es gibt genügend Anzeichen, daß auch die Moderne von der und in der Romantik lebt, wenn man nur Klischeevorstellungen von ihr abbaut. Auch der vorliegende Titel „Vermessenes Gebiet“ ist bezeichnend. Seine Kürze zeigt, welchen Weg Gesswein eingeschlagen hat, zu immer größerer Prägnanz und Genauigkeit der Bilder, keineswegs gefühlsreiche Amplifikationen, „die Mondscheibe ist abgeschossen“. „Morgens“, „Abends“, „Veränderlich“ sind die kurzen Bezeichnungen für ebenso kurze Gedichte am Beginn, die alles Überflüssige meiden und aus der impressionistischen Oberfläche der bezeichneten Eindrücke den bezeichnenden Kern herauslösen und damit die Thematik des ganzen Bandes entwerfen. Die Zeitlichkeit zwischen morgens und abends, das kreischende Hereinbrechen des Tages, in einem vermes senen Gebiet und unter einen parzellierten Himmel, sie enthält jedoch auch die Verheißung: bald werden wir voll Sterne sein. Inmitten der Betriebsamkeit der Stadt und ihrer pflügenden Preßlufthämmer erscheinen Sterne, wenn die spielerische Phantasie ausbricht in unbeaufsichtigten Gedanken; sie sind es, die den Menschen davor bewahren, ein arbeitendes Tier zu werden. Die Stunden fallen wie Eintagsfliegen von der Wand, unaufhaltsam brök- kelt der Mörtel ab, zu früh schwimmen die Häuser davon, aber dazwischen wird die Landschaft sichtbar, unter einem Regenbogen, mit einem Wind, in dem unser Herz hängt, grün von Hoffnung das Wasser. Worte blühen auf, verschließen nicht, sondern öffnen Türen, Geschmack von Ewigkeit auf der Zunge, das Marineblau des Himmels zeigt keine nukleare Veränderung.

Die Genauigkeit des Dichters entdeckt mehr als die Genauigkeit des technischen Verstandes. Die Bezeichnung Genauigkeit ist mit Bedacht gewählt. Gegen rauschhafte Befreiungsversuche oder unterbewußte, irrationale Entladungen steht bei Gesswein die Genauigkeit der Beobachtung, ein kunstvolles, mit Bedacht geflochtenes Gewebe strenger Diktion und eindringlicher Zeichensetzung, die nichts Unkontrolliertes durch die Maschen gehen läßt und alles zu einem Bild und einer Einheit wandelt. Möglich nur aus einer meditativen Kraft, die, in der Tiefe der Nacht oder auf der

Höhe der Abenteuer der Milchstraßenreise, je nachdem, alle Dinge sich verbinden sieht in paradoxen Verknüpfungen ihrer sie bezeichnenden Worte ohne trennende Interpunktionen. Doch ohne billige Vertrauensseligkeit: Heiserkeit ist über die Welt gekommen, der Tod durchschlägt wia ein unhörbares Geschoß die Luft, unlösbare Formeln am Himmel. Der Mensch hat wohl seine berechnenden Netze übers Land geworfen und doch sind wie versehentlich in das Gewirr der Straßen, Orte geknüpft, die Ausgänge und Türen öffnen, zu etwas anderem, zu einem Land Parsfleth; wo mag es sein? Wir halten Ausschau wie von einem Turm, an seinem Fuß kriechen die Schatten gebückter Nacken, unser Herz flattert im Wind wie eine Fahne, ausgeliefert und gleichzeitig anvertraut den Wind- und Himmelsrichtungen, welche wird tragen? ...

Daß Gesswein nicht nur sich selbst trägt, verrät seine Mitherausgeber schaft bei den „Konfigurationen“, von denen nun der dritte Band 1967 vorliegt. Sie haben sich gut eingeführt, alle früheren Ausgaben sind vergriffen. Die persönlichen Opfer des Herausgeberteams haben Früchte getragen. Die Sammlung von Prosa, Lyrik und Essay aus dem zeitgenössischen Österreich weiß auch diesmal aus der ihr auferlegten Beschränkung einen repräsentativen Überblick zu geben, dem die Qualität über die Quantität geht. Keine Konzessionen, weder an allzu Modisches noch an allzu Konventionelles, werden gemacht. Und die beiden Essays über Kunstförderung und Österreich als kulturelle Brücke, unter welchen Titeln so oft die herrlichsten Gemeinplätze zu finden sind, werden vom Gehalt des schmalen Bandes gerechtfertigt. Und hoffentlich auch vom Publikum und den Auflagen der nächsten Jahre.

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