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Renner und osterreich

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KARL RENNER UND SEINE ZEIT. Versuch einer Biographie. Von Jacques Hinnik. Europa-Verls;, Wien. 780 Seiten. Frei 320 S

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KARL RENNER UND SEINE ZEIT. Versuch einer Biographie. Von Jacques Hinnik. Europa-Verls;, Wien. 780 Seiten. Frei 320 S

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Die bevorstehenden Feiern zum zwanzigsten Geburtstag der Zweiten Republik werfen auch literarische Schatten voraus. Den zu erwartenden Publikationsreigen eröffnet der von Jacques Hannak vorgelegte „Versuch einer Biographie“ des Staatskanzlers und ersten Bundespräsidenten des neuen Österreichs: Dr. Karl Renner. Der Untertitel scheint bei einem 720 Seiten umfassenden Werk natürlich wie eine kleine Koketterie, ist es jedoch nicht. Es ist nämlich gar nicht leicht, sich als Biograph eines Mannes zu versuchen, der durch zahlreiche Veröffentlichungen, vor allem aber durch seine Autobiographie „An der Wende zweier Zeiten“ (Danubia-Verlag, Wien 1946) und durch das aus persönlicher Sicht geschriebene Buch „Aus der Ersten zur Zweiten Republik“ (Verlag der Wiener Volksbuchhandlung, 1953) selbst und noch dazu mit geübter Eloquenz und stilistischer Meisterschaft Zeugnis von seinem Werden und Wirken abgelegt hat. Jacques Hannak, der Karl Renner und dessen Familie persönlich freundschaftlich verbunden war, tut daher in weiser Selbstbescheidung das beste, wenn er Karl Renner möglichst oft persönlich zu Wort kommen läßt und sich nur bemüht, die politische Persönlichkeit des Mannes, der vom Bauernbuben in Untertannowitz zum heiß befehdeten Parteipolitiker, schließlich zum allgemein anerkannten Staatsmann aufstieg, in den Ablauf der österreichischen Geschichte einzuordnen. Mit wechselndem Geschick. In weiten Teilen des vorliegenden Werkes ist ein starker, früheren Publikationen des Verfassers fehlender „ire-nischer“ Zug zu erkennen. Bei allem Stolz auf den so hoch gestiegenen Parteifreund wird doch darauf Bedacht genommen, ihn hauptsächlich als Vorkämpfer und Symbol der Zusammenarbeit aller staatserhaltenden Kräfte zu interpretieren. Freilich: in einzelnen Kapiteln —1934 ist noch immer eine „neuralgische Jahreszahl“ — bricht das Temperament des jahrzehntelangen sozialistischen Parteijournalisten unverkennbar durch und schlägt dem Historiker ein Schnippchen.

Anerkennung verdient, daß der Verfasser trotz aller Verehrung für den toten Partei- und Staatsmann nicht in eine Hagiographie verfällt und die beiden „schwachen Punkte“ im Leben des Mannes, der seinem Namen mit der Geschichte unseres Landes ohne Zweifel auf immer verbunden hat, weder verschweigt noch schönzufärben versucht. Wir sprechen von Karl Renners unbedachter Demission als Nationalratspräsident im März 1933, die den Weg zur Selbstausschaltung des Parlaments einleitete, und von dem bekannten Interview im „Neuen Wiener Tag-blatf im April 1938.

Wenn Jacques Hannaks Renner-Biographie auch keine neuen Züge an dem vor der Geschichte abgerundeten Porträt Renners aufdecken kann, so war sein Verfasser doch durch die Vorlage einer Reihe bisher unbekannter Dokumente imstande, Einblicke in die Gedankenwelt Renners zu erschließen, die nicht ohne Reiz sind. Hier ist zunächst der Briefwechsel Renner-Miklas 1945 zu erwähnen, in den der Verfasser durch den Leiter des Instituts für Zeitgeschichte, Univ.-Doz. Doktor Ludwig Jedlicka, Einblick bekam. Dann die Vorlage eines umfangreichen Auszugs aus den Vernehmungsprotokollen Karl Renners während der Zeit seiner Haft nach dem Februar 1934. Noch interessanter aber ist der dem Friedrich-Adler-Archiv entnommene Briefwechsel zwischen Dr. Renner und Friedrich Adler aus dem Jahre 1937 sowie die Briefe eines Vertrauensmannes aus Paris an Otto Bauer in Brünn nach einem Gespräch mit Karl Renner. Hier schildert Renner nicht nur schonungslos die ziemlich desperate innere Situation des sozialdemokratischen Lagers nach den Februarereignissen, die sich von der auch heute noch herumgereichten heroischen Interpretation der Parteigeschichte jener Jahre weit abhebt. Hier spricht Renner auch immer wieder und mit besonderer Eindringlichkeit seine Sorge aus „über den Nazieinbruch in unserer Jugend“, welchen er „das wohl ernsteste Problem“ nennt.

Nun: Die Jungsozialisten, die damals Renner wegen ihrer geringen Immunität gegen den braunen Bazillus solche Sorge bereiteten, sind inzwischen lange schon in den Schoß der SPÖ zurückgekehrt. Mehr noch: Sie haben inzwischen bereits auch auf Staatssekretär- und Ministerstühlen Platz genommen. Eine Entwicklung, die Renner wohl nicht vorausgesehen hat. Weder der in der inneren Emigration lebende Parteipolitiker von 1937 noch der Bundespräsident der Jahre nach 1945.

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