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Retiro für „Manager Gottes”

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„Ein jeder weiß, daß eine Welle des Zweifels, des Unbehagens und der Unruhe über viele Priester gekommen ist.” Mit diesen Worten sprach Papst Paul VI. im September 1966 das aus, was schon während des Zweiten Vatikanums immer wieder in den einzelnen Konzilssessionen angedeutet wurde: die ganze, oft tragische Situation des Priesters von heute, die unsagbar vielen Verlok- kungen. die ‘heute auf den Priester einstürmen, aber auch die Erschütterungen, die das neue Weltbild mit sich brachte. Der Priester von heute ist nicht mehr der „Hochwürden” von einst, ist nicht mehr der gemütliche, joviale Dorfpfarrer, der Uhren reparierte, Rosen züchtete und mit Lehrer, Bürgermeister und Notar allabendlich seine Runde Tarock spielte. Der Priester von heute ist. ein „Manager Christi” geworden, und als solcher ist er allen Gefahren; ausgesetzt, die auch dem weltlichen Manager drohen.

Sind die Priester den Anforderungen gewachsen?

Der Priester von heute, der Seelsorger, vereinigt wie nie zuvor eine Unmenge von Berufen in seiner Person: Er ist Eheberater und Baumeister., er ist Beichtvater (lies Psychiater) und er ist Werbefachmann, er muß sich in der Beatmusik ebenso auskennen wie in der Publicity. Nie zuvor wurde vom Priester verlangt, daß er ein absoluter All- roundtyp sei. Kein Wunder, daß viele ob der ungeheuren Aufgaben, die auf sie einstürmen und die von ihnen bewältigt werden müssen, mit Begriffen wie „Gnade”, „Weihe , „Gesalbte dies Henrn” so gut wie nichts mehr anfangen können. Sie plagen sich mit Bauplänen für neue Kirchen oder Jiugendzentren ab, sie müssen Fachschriften über die „Pille” studieren, sie werden als Schiedsrichter bei Familienstreitigkeiten herangezogen, sie leben, mit anderen Worten, so intensiv mit und in der Welt wie ąoch nię zuvor. Daß sie das äußere Symbol des Priesters, Talar und Collar, abgelegt haben, nehmen heute nur noch die Alten übel. Aber mit dem Verschwinden dieses Standeskleides im Alltag verschwand auch der „Hochwürden”. Der Priester von heute steht nicht mehr über seiner Herde, er steht mitten drinnen.

Aber wenn man in die Menge tritt, betritt man auch die Gefahr. Junge Priester, die eine Jazzband in einem Keller leiten, leben gefährlicher, als Priester, die in einem Rosengarten ihr Brevier beten. Junge Priester, die die Beichten von heute hören, erfahren Dinge, die ihre Vorgänger nie oder nur selten hörten. All das soll spurlos an diesen Priesitem vorübergehen? Die Bischöfe aller Diözesen in unseren Ländern wissen, wie viele Priester — die meisten davon zwischen 30 und 50 — den auf sie einstürmenden Versuchungen nicht mehr widerstehen können, wie viele voll innerstem Entsetzen ob ihres eigenen Versagens bitten, Weihe und Gnade zurückgeben zu dürfen. Es sind erschütternde Dinge, die hier oft zur Sprache kommen zwischen Presbyter und Episcopus; Dinge die vor 50 Jahren unmöglich gewesen wären.

Am westlichen Ortsrand der Gemeinde Silz im Tiroler Oberinntal, kaum fünf Kilometer vom alten Stift Stams enrfemt, steht Schloß Petersberg. Seine Gründung reicht in die merowingische Zeit zurück; es gehörte einst den Welfen und wurde im Totenbuch des Klosters Weingarten um 1090 erstmals namentlich erwähnt. Immer wieder wechselte das stolze Schloß seinen Besitzer. Auch Elisabeth, die Gemahlin Meinhards II. von Tirol, die Mutter des letzten Hohenstaufen, Konradins, lebte in diesen Mauern. Dann gehörte es den Bischöfen von Brdxen später den Grafen von Wolkenstein. 1857 brannte das Schloß ab; nach dem Wiederaufbau erwarb es Kaiser Franz Joseph I. Seine Enkelin, Hedwig von Habsburg, erbte den Ansitz. Ihr Gemahl, Graf Stolberg, ließ das Schloß erneut ausbauen. Bis 1965 blieb es im Besitz des Grafen Stolberg, dann kaufte es die Innsbrucker Sahutzengelbrüderscshaft bzw. deren Gründer, der Pfarrer von’ Galtür im Paznauntal, Bitterlich.

In einem Interview sagte Pfarrer Bitterlich (ein Bruder der bekannten Tiroler Künstlerin Raswöitha Bitterlich, die vor allem durch ihre religiösen Kunstwerke weit über Österreich hinaus bekannt geworden ist): „Ich habe in meinem Leben so viele unglückliche Priester getroffen, daß ich mich einfach dazu gedrängt fühlte, ihnen irgendwie Hilfe zu bringen. Aber wie kann man Manschen helfen, die an Gott und der Welt verzweifeln? Ich wollte ihnen ein Heim schaffen, ein Haus der Begegnung, der Aussprache, der Besinnung, der Einkehr und des Mutfassens. Die Schutzengelbrüderschaft, die nach dem Krieg gegründet wurde und die heute Mitglieder in Österreich, Deutschland, der Schweiz, Portugal, Italien, Holland und sogar in Amerika hat, mußte diese Aufgabe übernehmen, kam ein solches Werk doch wie kein anderes ihrer Aufgabe — „Schutzengel” zu sein — am nächsten. Die Spenden der rund 40.000 Mitglieder erbrachten so viel, daß ich das Schloß Petersberg kaufen konnte — um weniger als eine Million Schilling!” Aber nicht genug damit: Das Tiroler Landesdenkmalamt hatte die immensen Restaurationskosten mit 20 Millionen Schilling veranschlagt. Pfarrer Bitterlich gelang es, diese Kosten um die Hälfte zu senken. Die Mittel: ausschließlich Spenden der Schutzengelbrüderschaft!

… wieder den Glauben an sich selbst finden

In bestem Einvernehmen mit dem Denkmalamt wurden die alten Räume gründlich modernisiert, ausgebaut und wohnlich gestaltet. Zentralheizungen wurden installiert, elektrische Leitungen wurden verlegt, die Zimmer wurden mit Fließwasser ausgestattet. Eine Pioniereinheit half wacker mit, als es galt, den steilen Weg zum Schloß auszu- bauen und zu verbreitern, so daß man heute sogar mit dem Auto zum Schloß fahren kann. Auch der Bauorden stellte Kräfte zur Verfügung. Und ein besonders anerkennenswerter Beitrag zu diesem „Haus der Priester” wurde von Zöglingen der Erziehungsanstalt für Knaben in Kleinvolderberg geleistet. Mit Direktor Aull arbeiteten zahlreiche junge Menschen, die selbst eine harte Hand und ein verständnisvolles Herz brauchen, an diesem „Bethanien für Priester”, obwohl sie selbst aus einem „Bethanien” kommen…

Die historische Kapelle wird zur Zeit vom Landesdenkmalamt auf alte Fresken untersucht. Schon sind einige freigelegt. Die Kapelle, das Zentrum des Schlosses, wird bald schon in neuer und gleichzeitig alter Schönheit erstanden sein. Wie viele Gebete werden hier gesprochen werden, wie viele Sorgen werden hier auf den Altar gelegt werden, wieviel Kraft aber auch wird hier neu erworben werden! Hier soll der Priester, der Mensch, wieder dien Glauben an sich selbsit, an die Hand, die ihn führt, und an die Kraft der Gnade finden. Hier soll der Priester, der andere aufzurichten berufen ist, sich selbst wieder aufrichten können. Hier sollen Zweifel beseitigt werden, hier soll Gott seinen Dienern wieder nahekommen.

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