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Soldat - Priester -Heimkehrer

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So manche psychologische Studie aus priesterlichen Felderlebnissen hat „Die Furche“ schon veröffentlicht. Jeder dieser Berichte zeigte eine neue äußerliche und seelische Szenerie, wert festgehalten zu werden. Die gesammelten Erfahrungen weisen anch der Seelsorge der Friedenszeit, dem Dienste am christlichen Leben, neue Wege. Ein jüngst aus Feld und Gefangenschaft zurückgekehrter Wiener Ordensmann ist der Verfasser der nachstehenden Ausführungen. j-c purcjie

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So manche psychologische Studie aus priesterlichen Felderlebnissen hat „Die Furche“ schon veröffentlicht. Jeder dieser Berichte zeigte eine neue äußerliche und seelische Szenerie, wert festgehalten zu werden. Die gesammelten Erfahrungen weisen anch der Seelsorge der Friedenszeit, dem Dienste am christlichen Leben, neue Wege. Ein jüngst aus Feld und Gefangenschaft zurückgekehrter Wiener Ordensmann ist der Verfasser der nachstehenden Ausführungen. j-c purcjie

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Die Tendenz des Dritten Reiches, die größte Kulturmacht der Welt, das Christentum, niederzuwerfen, ist klar erwiesen worden. Die Einberufung der Theologiestudierenden und fast aller jungen Geistlichen zum Militärdienst und ihre Verwendung in vorderster Front gehörte zur Methode. Der Priesterstand sollte dezimiert werden. Die Zahl derer, die auf dem Schlachtfeld geblieben sind, ist groß, aber auch dieses Blut wurde Samen für das Christentum*. Das untergegangene System hat das Gegenteil seines dämonischen Zieles gerade zufolge jener Methode erreicht: zwischen dem Priester und dem Mann aus dem Volke ist es zu einer kameradschaftlichen Berührung gekommen, so eng, wie ganz selten zuvor; viele, die nie mit einem Mann der Kirche zu tun hatten, lernten auch seine menschliche Seite kennen und schätzen, Vorurteile überwinden und sind so der Kirche näher gekommen. Das Urteil über den „Pfarrer“ wurde revidiert, die Geltung des katholischen Priesters stieg in den eigenen Kreisen und auch bei den Glaubensbrüdern der evangelischen Kirche. Die außerordentlichen Verhältnisse, in denen man lebte, rissen alle Schranken zwischen den Menschen nieder.

• Wiewohl es allen Priestern, die nicht als Kriegspfarrer eingesetzt waren, sondern in irgendwelchen anderen militärischen Verwendungen, unter Strafe verboten war, sich seelsorgerisch zu betätigen, konnte trotzdem in der Stille viel getan werden, zumal im Felde draußen, wo eine Kontrolle nicht leicht möglich war.

Wir haben oftmals in Rußland ohne Kriegspfarrer Gottesdienst gefeiert. In den weiten Steppen der russischen Ebene, von vielen Gefahren umdroht, Gefahren aus der Luft, vom Land und vom Meer. Wir haben unseren einfachen Altar aufgestellt! Wer es gesehen hat, wie wetterharte hunderte, tausende Männer mit dem Rosenkranz in der Hand dort knieten, beteten und sangen, der wird es nie vergessen können.

. * Die verhältnismäßig größten Verlustziffern fn der deutschen Wehrmacht weisen die Theologiestudierenden der evangelischen Bekenntniskirche auf, die mit besonderer Rücksichtslosigkeit an der vordersten Front eingesetzt wurden.

Auch in den Kinosälen russischer Großstädte und in den herrlichen Kathedralen

Frankreichs haben wir uns zum Opfermahle versammelt.

Weihnachten 1944 wurde von uns in der Nähe von Köln gefeiert. Es war eine bom-benneiche Zeit. Ein evangelischer Pastor überließ mir seine Kirche und zur mitternächtigen Stunde hielten wir den Weihnachtsgottesdienst. Außer den Soldaten erschienen, von weither kommend, auch Zivilisten in der Kirche, Katholiken und auch Evangelische und Gläubige, und zögernd, aber doch, mancher bisher Ungläubige. Die Liebe Christi hatte alle diese buntzusammengewürfelte Menschen zu einer Einheit verbunden.

Diese religiösen Erlebnisse an der Front wurden durch das, was wir in der Gefangenschaft erlebten, vollkommen in den Schatten gestellt. Es war eine ungemein harte Zeit und doch war sie für uns hoch bedeutsam. Ein riesiges Lager mit ganz primitiven Lebensverhältnissen nahm uns zuerst auf. Unter freiem Himmel haben wir oft und oft Gottesdienst gehalten. Die Männer standen zu Tausenden um den Altar geschart. Nie wurde der Gottesdienst ihnen zu lang, obwohl der Hunger alle quälte und die Sonne des Südens erbarmungslos auf sie niederbrannte. Mitunter haben fünf Priester die Beichten abgenommen, irgendwo in einem Winkel der Stacheldrahtverzäunung. Die Männer standen in Schlange und es waren solche unter ihnen, die seit dem letzten Schultag nicht mehr in einer Kirche waren. Es war eine Volksmission, wie wir sie seit Menschengedenken nicht mehr erlebt hatten. Ich möchte sagen: In dem Geschehen über uns hielt der Herrgott selbst die Missionspredigten, und wir Priester sind nur seine Handlanger gewesen, die die Früchte zu sammeln und heimzutragen hatten.

Von diesem großen Lager ging es später in ein kleineres Arbeitslager. Die Gefangenen mußten schwer arbeiten, dennoch nützten sie ihre freien Stunden, um ein Holzkirchlein zu schaffen, einfach und so schön, daß auch eine Heimatgemeinde darauf stolz sein könnte. Ein primitiver Altar wurde aufgestellt, ein Kreuz geschnitzt, aus Mehlsäcken wurde ein Altartuch und eine gotische Kasula genäht, aus Konservenbüchsen entstand ein Weihrauchfaß, das wert wäre, ih -in* Ausstellung aufgenommen zu werden.Das Wachs, mit dem die überseeischen Lebensmittelpackungen überzogen waren, wurde abgeschabt, um daraus Kerzen herzustellen. Alte Kartuschen verwandelten sich in eine Altarglocke. Jeden Abend hielten wir in jenem Kirchlein Gottesdienst, und immer war eine Schar Männer zu gemeinsamem Gebet und zum allabendlichen gemeinsamen Gesang unseres Lagerliedes „Maria, breit den Mantel aus ...“ versammelt.

Groß war die Nachfrage nach der Heiligen Schrift und viel wurde in der Gefangenschaft gepredigt, mitunter sogar jeden Abend.

Wir wollen nicht zu optimistisch sein. Manche werden, wenn es ihnen wieder besser geht, wenn sie ihr Stücklein Brot selbst abschneiden können, wenn sie wieder ein Dach überm Kopf haben, die Zeit, da sie in Not waren und sie seelische Kraft in der Hinkehr zu ihrem Schöpfer fanden, wieder vergessen. Es sei auch nicht verschwiegen, daß in unseren Lagern Kräfte am Werke waren, die das niederzureißen versuchten, was wir aufbauten. Trotzdem ist die Zahl, die das kostbar Gewonnene festhalten, bedeutsam groß. Diese Männer sind unsere Hoffnung in dem heute über allen gesetzten Aufbau einer einträchtigen, von keiner Bedrängnis zu besiegenden Gemeinschaft, die ein christlicher Geist zu brüderlicher Einheit ordnet.

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