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Se. Exzellenz: Der Kaffee

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„Exzellenz, Sie werden allmählich das Enfant terrible der freien Welt“, wagte ein deutscher Journalist kürzlich dem brasilianschen Bundespräsidenten ins Gesicht zu sagen. „Ich bin es schon“, war die Entgegnung. Wenn wir Auslandsjournalisten vor ihm auftauchen, kneift er die Augen zu. Wiederholt hat er uns schon verdächtigt, eine „praga" zu sein, Schädlinge. Zugegeben, daß gerade deutsche Korrespondenten bei den großen Wahlen im Oktober keinen guten Faden an ihm ließen. Man kann aber keineswegs loben, daß in der Kaffeezone von Pa- ranä der nächtliche Himmel von den brennenden Kaffeebergen glüht.

Londrina meldet eben, das Total der Einäscherung habe 2 Millionen Sack Kaffee erreicht. In einem Lande, das sich gerne unter die Unterentwik- kelten reihen läßt, wenn es sich um Dollarhilfe handelt, sollte von dem Überfluß seines Reichtums einen besseren Gebrauch machen. Während sich in Montevideo die Vertreter des amerikanischen Kontinentes die Köpfe zerbrechen, wie jedem Volke mit dem „Bündnis für den Fortschritt“ geholfen werden kann, brennen in Parana die Kaffeeberge. Das ist ein Rückschritt. Um die „Superproduktion“ zu steuern, gibt es andere Wege. Der Weltbedarf liegt ungefähr bei 30 Millionen Sack pro Jahr, wovon die Vereinigten Staaten allein fast zwei Drittel beanspruchen, etwa 250 Liter pro Kopf der Bevölkerung.

Der Fluch der Monokultur wirkt sich heute in Brasilien aus. Um die Jahrhundertwende war der Kaffeeberg bereits auf fünfeinhalb Millionen Sack angeschwollen, um 1931 einen Rekord von 17,9 Millionen Sack zu erreichen, was 70 Prozent der brasilianischen Gesamtausfuhr bedeutete. Mit rund 2 Milliarden Kaffeebäumen auf einer Fläche von 3,250.000 Hektar erzeugt heute Brasilien, an der Spitze der Staat Sao Paulo, 52 Prozent der Weltproduktion. Diese Daten gehören zu dem traurigen Kapitel: Wie machen sich die unterentwickelten Länder unterentwickelt? Dazu braucht es heute keiner Belege mehr. Die ganze Welt weiß, daß ein großer Teil der 65 Millionen Brasilianer sich nicht sattessen kann. Es gibt keinen kläglicheren Kontrast zu den goldenen Kaffeebergen als die Hungergebiete. Seine Exzellenz, der Kaffee, wurde schon wiederholt von der Regierung als vogelfrei erklärt, als Verderber der Volkswirtschaft.

Es ist wahr, der „Mann mit dem Besen“ möchte auch hier Ordnung schaffen, er hat eine diktatorische Ader. Es war schon eine harte Nuß, dieses Antitrustgesetz. Aber die Kaffeebarone sind gewohnt, die Politik zu machen, selbstverständlich zum Wohl ihres Vaterlandes, ähnlich wie einst die Krautjunker von Osteibien, und auch Janio wird hier seine Grenze finden. Da der Superproduktion nicht von heute auf morgen gesteuert werden kann, sucht er den Globus ab nach neuen Absatzmärkten für den Kaffee, unversehens solchermaßen zum Helfershelfer der Kaffeebarone werdend. Er ist ihres Beifalls sicher, sie schlucken dabei, obwohl erzkonservativ und patriotisch, den gesamten So-wjetblock, und man hat nicht gehört, daß er ihnen irgendwelche Übelkeit W Bühne hinter den Kulissen. Der Zuschauer sieht nur das harmonische Spiel der Regierung, die mit der Maxime „Unabhängigkeit“ bis nach Moskau und Peking ihre freundlichen Grüße schickt. Janio braucht nicht einmal sein Anliegen anzudeuten, man begreift dort sehr schnell. Und dann liest der Brasilianer in seiner Zeitung: Die Russen und die Chinesen werden Kaffee trinken lernen. Selbstverständlich nicht Kaffee aus Kolumbien oder aus Afrika, sondern den echten „cafe brasileiro“.

Im „Palast der Morgenröte“ in Brasilia wird nur Politik der Zukunft gemacht, von hier aus läuft die neue Straße zur Großmacht. Janio Quadros ist sich bewußt, daß Brasilien auf dem besten Wege dazu ist, wenn es nur will. Im Lichte der Morgenröte konnte man hier auch nicht begreifen, warum es in Bonn soviel Aufregung wegen eines Handelsabkommens zwischen Brasilien und der Sowjetzone gab, nachdem schon jahrelang diesem ein Warenaustausch vorausgeht. Die deutschfreundliche Presse veröffentlichte eine Statistik über den Handel zwischen den westeuropäischen und den osteuropäischen Ländern, dabei unterstreichend, daß mit 223 Millionen Dollar die Bundesrepublik den Rekord halte. Mit Genugtuung wird verzeichnet, daß Brasilien mit acht Ländern des Ostens für die nächsten fünf Jahre ein Abkommen in der Höhe von 1,5 Millionen Dollar beiderseits abgeschlossen habe, was gegenüber dem Vorjahr ein Plus von 336 Prozent bedeutet.

Seine Exzellenz, der Kaffee, war es auch, der Anfang Juli die Handelsmission aus Peking empfing. Die Öffentlichkeit machte sich lustig, als sie den Hofbericht las: Die Chinesen lernen bereits Kaffee trinken, so erzählte Herr Nan Han-Chen den Journalisten. Und zehntausend Artikel enthält der Katalog, den er Quadros überreichte. Es war eine reizende Szene: die Nachfolger des „Sohnes des Himmels“, des Kaisers, vor dem Palast der Morgenröte. Das Lächeln war so bestrickend, daß eine brasilianische Delegation gleich darauf den Spuren der heimkehrenden Chinesen folgte. In ihrem Katalog standen zehn Millionen Sack Kaffee.

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