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Späte Denkmal-Liebe

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Wenn sie „Europa” hören, verstehen die Salzburger nur Bahnhof. Das hängt damit zusammen, daß gegenüber dem Hauptbahnhof der Mozartstadt ein Hochhaus-Hotel aus den wilden sechziger Jahren steht, welches den zukunftsweisenden Namen „Europa” trägt.

Mit viel Beton und Eloxal verströmt es den anheimelnden Charme der Nachkriegs-Gründerspekulation, der sich über das ganze Viertel verbreitet und dem per Bahn anreisenden Fremden das Kontra-Image einer ehedem fürsterzbischöflichen Kulturstadt entgegenschleudert. Kein kunstbeflissener Fremdenführer, der das schon von Humboldt gerühmte Panorama der Stadt vom Mönchsberg aus erklärte, konnte nach dem Hinweis auf Kirchen, Paläste, Denkmäler und Parks ohne den tadelnden Zeigefinger auskommen: „Und das dort ist der Schandfleck der Salzburger Stadtentwicklung, das Hotel Europa!”

Willig und neugierig folgten die Touristen der Blickrichtung und nickten beifällig. Der 16 Stockwerke hohe Betonklotz, der da im Dunstkreis hinter dem Schloß Mirabell in den Himmel ragt, war und ist ein Fremdkörper, über den auch die Einheimischen jahrzehntelang schimpften. Als Geheimrezept gegen seinen Anblick wurde und wird gepriesen, sich in das Cafe im obersten Stockwerk des „Europa” zu setzen und den herrlichen Ausblick zu genießen. Im „Europa” sieht man das „Europa” nicht.

Im Haß reift manche Liebe. Vor einigen Wochen wurde bekannt, daß eine potente Versicherungsgesellschaft, die den Salzburgern bereits den spektakulären Umbau eines anderen nachkriegsgeschichtli-chen Hotels in eine Seniorenresidenz beschert, das Hotel „Europa” abreißen und an seine Stelle ein Sanatorium errichten will.

Die Kühnheit des Sanatorium-Projekts im lebhaften Bahnhofbereich verrät starke Einfühlung in die heilsamen Kräfte der Umwelt. Aber das stört am wenigsten, da ja eine leicht erreichbare Zugverbindung für Kranke ein großer Vorteil ist.

Was stört und empört, das ist die plötzlich entflammte Liebe. Denen, die jahrzehntelang den Abbruch des Schandflecks gefordert hatten, steht jetzt eine Phalanx von leidenschaftlichen Liebhabern gegenüber. Nein, das „Europa” , darf nicht sterben! Von den Regionalmedien angeheizt entzweit die Europa-Diskussion mittlerweile die Geister der Festspielstadt. Vorläufiger - und wahrscheinlich endgültiger - Höhepunkt ist der Antrag des Denkmalamtes, das „Europa” unter Denkmalschutz zu stellen und damit der Spitzhacke zu entziehen. Besonders bemerkenswert sind einige emotionale Meinungs-Schwenks. Gar so häßlich sei der Bau ja nicht, zeithistorisch sei er ebenso wertvoll wie der Dom und die Residenz. Markanter hat sich noch nie in Österreich eine öffentliche Meinung zur eigenen Zeitgeschichte bekannt. Das ist echter NeoKonservativismus! Soweit der lokale Befund.

Überregional hat das freilich Beispielfolgen. Da sollte der Denkmalschutz für die unsprengbaren Flakbunker von Wien nicht mehr auf sich warten lassen. Die normative Kraft des Faktischen erfaßt endlich die jüngste Architektur. Holleins Haas-Haus vor dem Stephansdom wurde bereits ins Denkmal-Auge gefaßt, aber was ist mit Alt-Erlaa und der Hansson-Siedlung? Und falls übereifrige Kritiker von Hrdlicka-Wortspenden den Albertina-Platz wieder entnazifizieren wollen, wäre ein rechtzeitiger Denkmalschutz eine Kultur-Garantie. An den Heiligenstädter Hof wagte sich hoffentlich keine Spitzhacke, aber was ist mit dem Hundertwasser-Haus und der hübschen Müllverbrennung? Und mit dem neuen AKH? Das große Denkmal-Umdenken setzt ein.

Kommt Zeit, kommt Denkmalschutz! Das „Europa” als Trost für alle, denen am zeitgenössischen Beton, wo immer er sich auftürme, etwas mißfällt. Und - wer weiß - in Amerika sprengen sie schon einige Hochhäuser, in hundert Jahren kommen die Amerikaner nach Österreich, besonders gern nach Salzburg, um dort zu sehen, wie Hochhäuser ausgeschaut haben. Ein mächtiger Impuls für den künftigen Fremdenverkehr!

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